Darum gehts
- Willem Dafoe spricht über seine Rolle als Bösewicht und Schauspielkunst
- Privat mag es Dafoe friedlich – er lebt teils mit Alpakas in Italien
- Der 70-jährige Schauspieler hat in über 150 Rollen gespielt
Er strahlt mich mit einem breiten Lachen an, offen und freundlich. Wenn Willem Dafoe (70) auf der Leinwand grinst, wirkt es oft gruselig und unberechenbar. Der US-Filmstar ist berühmt für komplexe Charaktere. Am Filmfestival Locarno nimmt er sich Zeit für ein kurzes Interview.
Blick: Sie spielen schon wieder einen Bösewicht. Macht Ihnen das Spass?
Willem Dafoe: Bösewichte und Figuren mit starker Handlung haben für mich einen besonderen Reiz. Die Kluft zwischen öffentlichem Gesicht und Innenleben fasziniert mich.
Sie scheinen ein ziemlich netter Typ zu sein, lockt darum die andere Seite?
Vielleicht! (Lacht.) Das Dunkle zu verkörpern, ist eine Art «Guilty Pleasure», mein heimlicher Spass am Bösen. Ich nehme keine Drogen, war nie im Gefängnis, die Gesellschaft hat mich gut sozialisiert. Aber als Schauspieler darf ich Dinge tun, die im echten Leben unmöglich wären. Schreckliche Dinge und schöne.
Wie schlüpfen Sie in eine Rolle hinein?
Es geht ums Tun, nicht ums Erzählen. Ich beschreibe niemanden, ich bin diese Person. Manche Schauspieler bauen einen inneren Handlungsbogen, ich nicht.
Wie machen Sie das?
Wenn man zu viel plant, steht man ausserhalb des Geschehens. Das ist, als würde ich jetzt beim Reden ans Abendessen denken. Dann bin ich nicht präsent. (Dafoe schaut mich mit seinen hellen Augen direkt an, es ist ein intensiver und zugleich offener Blick.) Ich konzentriere mich lieber ganz auf jede einzelne Szene, spiele sie mit vollem Einsatz. Ich gebe mir selbst die Autorität, diesen Menschen glaubwürdig zu verkörpern. Dafür aktiviere ich für die Rolle dieses Patriarchen den griechischen, kontrollierenden, ehrgeizigen Teil in mir.
Haben Sie das alles in sich?
Ja. Jeder hat alles in sich. Es geht nur darum, diese Anteile einzuladen – und die richtigen Auslöser zu finden, um sie freizusetzen.
Haben Sie immer so gearbeitet?
Ich glaube schon. Schauspiel ist Eintauchen in eine andere Existenz. Man muss wissen, was einen verführt, jemand anders zu sein. Man muss sich selbst loslassen.
Was verführt Sie am Schauspiel?
Wenn man wirklich in eine andere Rolle eintaucht, kann man nicht mehr sich selbst sein. Das ist das Schöne. Ich bin kein Method Actor, der immer in der Rolle bleibt. Aber wenn man dreht, verlässt man sein Zuhause, seine Gewohnheiten, schafft eine neue Realität. Das heisst nicht, dass ich gleich mit meinem Co-Star ins Bett steige. Man muss aufrichtig und ohne Ego spielen. Dann verschwindet der Schauspieler, nur die Figur bleibt.
Sie haben über 150 Rollen gespielt, in über 40 Jahren.
Verrückt, aber man nimmt immer nur eine nach der anderen. Schritt für Schritt. Und bevor man es merkt, türmen sich die Leichen (lacht). Natürlich im übertragenen Sinne.
Sie gelten als kompromisslos, zeigen sich auch nackt in Ihren Rollen.
Ich bin gerne nackt! (Lacht.) Ich komme aus dem physischen Theater, der Körper ist essenziell – nicht nur mein eigener, sondern der menschliche Körper an sich. Das ist Magie: Millionen Prozesse geschehen ohne unser Zutun. (Dafoe blickt mich an.) Deshalb liebe ich Tanz, Gestik, Bewegung. Der Kopf steht oft im Weg, die Wahrheit liegt im Körper.
Er gehört zu den wandlungsfähigsten Schauspielern Hollywoods: Willem Dafoe (70). Ob als Bösewicht in «Spider-Man» oder als sensibler Hotelmanager in «The Florida Project». Vierfach oscarnominiert ist er nun in Locarno mit dem Film «The Birthday Party» zu sehen – als Patriarch auf einer Mittelmeerinsel in den 1970er-Jahren.
Er gehört zu den wandlungsfähigsten Schauspielern Hollywoods: Willem Dafoe (70). Ob als Bösewicht in «Spider-Man» oder als sensibler Hotelmanager in «The Florida Project». Vierfach oscarnominiert ist er nun in Locarno mit dem Film «The Birthday Party» zu sehen – als Patriarch auf einer Mittelmeerinsel in den 1970er-Jahren.
Ist Texte lernen anstrengend?
Nicht wirklich. Text ist mit Handlung verbunden. Ich merke mir Worte über Assoziationen. (Dafoe steht auf, schaut von oben.) Wenn ich Sie anschaue, sehe ich eine Linie über den Augen, dieses Bild verknüpft sich mit der Szene.
Sie sind mit einer Italienerin verheiratet und leben teils auch in der Nähe Roms – zusammen mit Alpakas?
Ja, das ist irgendwie erstaunlich. Ich hatte mein ganzes Leben lang nie ein Haustier – und jetzt eine halbe Arche Noah. Früher fand ich Leute, die so eng an Tiere gebunden sind, befremdlich. Es ist leicht, sich einem Tier überlegen zu fühlen, weil es keinen Intellekt hat. Besonders ein Hund ist wegen seiner Anhänglichkeit abhängig. Das stösst mich ab.
Und heute?
Das mag ich noch immer nicht besonders. Aber ich liebe es, wenn unsere Tiere geboren werden, sie aufwachsen zu sehen – der Kreislauf des Lebens fasziniert mich. Ich versuche, ihnen ein gutes Leben zu geben, und verzichte auf Fleisch. Vielleicht naiv, aber ich lerne viel von ihnen. Sie bringen mich der Natur näher, dem Wesen der Dinge.