Sportpsychologin Romana Feldmann über Ueli Steck und das Leben am Limit
Aussergewöhnlich als Mensch, ungeeignet als Vorbild

Was zeichnet Extrembergsteiger aus? Weshalb sollte man sie dennoch nicht zu Vorbildern nehmen? Sportpsychologin Romana Feldmann (36) erklärt den Drang des Menschen nach immer extremeren Empfindungen.
Publiziert: 02.05.2017 um 12:02 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 05:50 Uhr
Immer wieder eine neue Sensation: Extremsportler Ueli Steck in der Eigernordwand.
Foto: SEVERIN NOWACKI
Aufzeichnung: Dominik Hug

«Ueli Steck starb, weil er einen Rekord brechen wollte. Seit Urzeiten streben die Menschen danach, Grenzen zu erforschen und ans Limit zu gehen. Das ist es auch, was uns als Gesellschaft weitergebracht hat. Sei es im Sport, in der Medizin, in der Wirtschaft ... Ohne solche extremen Errungenschaften würden wir noch immer in Höhlen wohnen.

Extremsportler sind Menschen wie du und ich. Was sie aber auszeichnet, ist der Drang nach extremen Erfahrungen. Sie haben ein stark ausgeprägtes Leistungsmotiv und wollen sich ständig verbessern. Die Sensation zu suchen, ist ihr Persönlichkeitsmerkmal. Es zu befriedigen, braucht ungemein viel Egoismus. Aussergewöhnliche Leistungen kann man in der Regel nur dann erbringen, wenn man nach den eigenen Bedürfnissen lebt.

Romana Feldmann (36) aus Küsnacht ZH ist seit 2008 selbständige Sportpsychologin. Neben der Tätigkeit als Vorstandsmitglied von Swiss Association of Sport Psychology ist sie Leiterin von Projekten im Bereich Prävention und notfallpsychologische Akut- und Nachbetreuung. Feldmann coacht Sportler, Trainer, Eltern, Betreuer, Führungspersonen und macht Wettkampfbegleitung.
Foto: Herve Le Cunff

Egoisten mit kontrollierter Angst vor dem Tod

Extrembergsteiger verspüren durchaus das Gefühl der Angst, sie haben im Gegensatz zu gewöhnlichen Menschen aber sehr viel Erfahrung im Umgang mit diesem Gefühl. Weil sie diesem Gefühl eben schon oft ausgesetzt waren. Anders gesagt: Die Angst vor dem Tod schwindet, je öfter man ihm ins Auge geschaut hat. Darin liegt auch der Unterschied zwischen einem Extremsportler und einem Hobbysportler: Ersterer kann die Angst kontrollieren.

Die Menschen sind fasziniert von Individuen wie Ueli Steck. Das hat damit zu tun, dass uns allen imponiert, wenn jemand konsequent und scheinbar frei von Angst krasse Situationen meistert. Was Steck vollbrachte, sprengt die Vorstellungskraft der meisten. Umso mehr, da es in der freien Natur stattfand. Die Natur ist bekanntlich nie zu hundert Prozent kontrollierbar.

Wo die Sucht beginnt

Intensive Erfahrungen zu machen, kann zu einer Sucht werden. Tatsächlich sind heute mehr Menschen von dieser Sucht betroffen als früher. Das hat mehrere Gründe: Einerseits haben die Menschen inzwischen mehr Freizeit. Anderseits ist der Alltag in Bezug auf existenzielle Faktoren stressfreier geworden. Früher musste man Essen suchen und Feuer machen, um nicht zu erfrieren. Heute hat man keine solchen Herausforderungen mehr, also sucht man sich den Kick woanders.

Dazu kommt, dass es in der momentanen Leistungsgesellschaft geradezu als chic gilt, wenn jemand auch privat gerne an die Grenzen geht. Leute, die im Beruf top performen, trainieren oft und gerne auch noch intensiv für einen Marathon.

Der Drang nach Extremempfindungen nimmt mit dem Alter erwiesenermassen ab. Mit Mitte 40 ist man nicht mehr derselbe Draufgänger wie mit Mitte 20. Der Körper verträgt einfach auch weniger.

Ueli Steck war in vielerlei Hinsicht ein Vorbild, beispielsweise durch seine Disziplin. Nichtsdestotrotz: Extrembergsteiger sind die extremsten unter den Extremsportlern. Was sie vollbringen, schaffen die allerwenigsten. Wir sollten uns nicht blind an Vorbildern orientieren, sondern immer erkennen, wo unsere eigenen Grenzen sind.»

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