«Respekt ist mir wichtiger als das perfekte Pronomen»
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Chris/Nadia Brönimann:«Respekt ist mir wichtiger als das perfekte Pronomen»

Sie fordert Transitionsverbot vor 18
Fachpersonen widersprechen Nadia Brönimann

Nadia Brönimann, die bekannteste trans Frau der Schweiz, spricht über ihre Detransition und fordert, dass geschlechtsangleichende Massnahmen erst ab 18 Jahren erlaubt sein sollten. Experten halten diese Forderung für problematisch.
Publiziert: 05.11.2024 um 00:51 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2024 um 12:37 Uhr
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Nadia Brönimann forderte am Sonntag im Blick, dass geschlechtsangleichende Massnahmen erst ab 18 durchgeführt werden dürfen.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Nadia Brönimann fordert Geschlechtsangleichungen erst ab 18 Jahren
  • Professor Udo Rauchfleisch kritisiert Brönimanns Forderung als problematisch
  • Geschlechtsangleichende Operationen stiegen von 258 in 2019 auf 525 in 2022
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Nadia Brönimann (55) ist die bekannteste trans Frau der Schweiz. Sie sprach mit Blick über ihren Vorgang der Detransition: «Nun gebe ich Chris mehr und mehr Platz. Wohin meine Reise führt, weiss ich noch nicht», so Brönnimann. Auch fordert sie, dass geschlechtsangleichende Massnahmen wie Operationen und Hormontherapien bei trans Personen erst ab 18 Jahren durchgeführt werden dürfen. Dafür werde sie sich auch am 7. November vor dem Grossen Rat der Menschenrechtskommission in Genf einsetzen. Fachpersonen finden diese Forderung problematisch.

Professor Udo Rauchfleisch beschäftigt sich seit 54 Jahren mit Transidentität in Forschung und therapeutischer Tätigkeit. Er merkt an, dass es problematisch sei, «von einem individuellen Schicksal auszugehen und daraus, wie Frau Brönimann es tut, Aussagen abzuleiten, die Allgemeingültigkeit beanspruchen».

Zahl sei gestiegen, weil Leute sensibilisiert seien

Dass Brönimann gegenüber Blick sagt, dass «Geschlechtsanpassungen» durch soziale Medien «zum woken Lifestyle» verkommen, hält Rauchfleisch für eine «unhaltbare Aussage, die das Leiden der Jugendlichen nicht ernst nimmt». Die Zahl der geschlechtsangleichenden Operationen sind gemäss Bundesamt für Statistik von 258 im Jahr 2019 auf 525 im Jahr 2022 gestiegen. «Die Zunahme der Gesuche liegt zum einen daran, dass Jugendliche und junge Erwachsene heute besser über Transidentität informiert sind und sich nicht, wie in früherer Zeit, Jahre oder Jahrzehnte im Geheimen damit herumquälen wollen», sagt er. «Zum anderen sind Familien heute auch besser informiert und unterstützen sie deshalb eher, als Eltern das früher tun konnten.» 

Die Forderung, Geschlechtsangleichungen und Hormontherapien erst ab 18 durchzuführen, hält er für falsch. «Die Altersangabe 18 Jahre sagt nichts darüber aus, ob Jugendliche die Bedeutung der Schritte, die sie anstreben, beurteilen können», meint er. «Gerade trans Jugendliche verfügen oft über eine grössere Reife als cis-Jugendliche, da sie durch ihre Situation gezwungen sind, sich intensiv mit sich selbst auseinanderzusetzen.»

Ethikrat sagt, Nichtstun sei genauso problematisch

Man könne nicht pauschal von «Geschlechtsangleichungen» und «Hormontherapien» sprechen. «Es geht um ganz verschiedene Massnahmen, die – wie etwa die Pubertätsblockaden – keine bleibenden Folgen habe, wenn die Mittel abgesetzt werden.» Der Ethikrat habe darauf hingewiesen, dass Nichtstun genauso problematisch sei und irreversible Folgen auf die Entwicklung in der Pubertät habe, wie gewisse Massnahmen durchzuführen.

Es sei für Minderjährige auch nicht einfacher, Zugang zu geschlechtsangleichende Massnahmen zu bekommen, als zu einem Tattoo, wie Brönimann betont. «Dies ist eine verallgemeinernde, subjektive, nicht der Realität entsprechende Aussage», sagt Rauchfleisch. Die Erziehungsberechtigten werden dabei miteinbezogen. «Die Abklärungen vor allfälligen Massnahmen erfolgen sehr sorgfältig, unter Einbezug der Eltern und im Kontakt mit den wichtigsten Bezugspersonen wie Schulen und Sportvereinen. Es geht jeweils nur um einzelne Transitionsschritte, die von Fachpersonen begleitet und evaluiert werden.»

Pubertät sei traumatisch für viele trans Personen

Auch sagt Brönimann, die pubertäre Entwicklung solle unversehrt durchlaufen werden, Jugendliche hätten ein Recht darauf. «Dem widerspricht das Erleben, von dem nahezu alle trans Personen im Hinblick auf ihre Pubertät berichten: Es war für sie die schlimmste Zeit, begleitet von Depressionen und unendlichem Leiden, als sich ihr Körper durch die Pubertät veränderte», sagt Rauchfleisch. «Viele waren dem Suizid nahe, und nur die Hoffnung, den Körper irgendwann verändern zu können, hat sie davon abgehalten.»

Das sieht auch Frédéric Mader, Co-Präsident vom Transgender Network Switzerland (TGNS) so. «Eine angemessene Behandlung von trans Jugendlichen ist auch Suizidprävention und ermöglicht ihnen ein gleichberechtigtes Aufwachsen wie anderen Jugendlichen, die keine Geschlechtsinkongruenz haben. Ein Verbot von Hormonblockern unter 18 würde zu mehr Diskriminierung für trans Menschen führen», so Mader. «Pubertätsblocker sind ein risikoarmes Mittel, um trans Jugendlichen Zeit zu verschaffen, den für sie richtigen Weg zu finden. Sie erhalten dadurch die Möglichkeit, eine weniger belastende Pubertät zu erleben.»

Tattoos bereuen mehr Leute als geschlechtsangleichende Massnahme

TGNS betont, dass die Zahl der Personen, die ihre geschlechtsangleichende Massnahme bereuen, sehr tief liegt. Die Organisation verweist dabei auf eine Studie von August 2024, die das «American Journal of Surgery» veröffentlichte. Diese gibt an, dass die «Regret Rate», sozusagen «die Rate des Bereuens», bei geschlechtsangleichenden Massnahmen bei unter einem Prozent liegt. Bei Tattoos seien es 16 Prozent. 

Trotzdem müsse man auch über Erfahrungen wie die von Nadia Brönimann sprechen. «Das TGNS nimmt diese Anliegen ernst und fördert mit allen Beteiligten einen konstruktiven und zukunftsorientierten Dialog», so die Organisation.

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