Eigentlich ist der Eurovision Song Contest eine gemeine Veranstaltung: Eine Party jagt die nächste, jeden Morgen schwingt bei den ESC-Fans die Angst mit, dass es jetzt eigentlich nicht mehr besser werden könnte. Das – in grossen Anführungszeichen – Schlimmste: Das Grande Finale steigt erst morgen Samstag. Dabei hatte die kleine Schweiz schon in fünf Tagen so viel Spektakel wie sonst über ein ganzes Jahr verteilt. Auch das zweite Halbfinale von gestern Donnerstag bewies, dass sowohl Veranstalter als auch Hosts und Acts in der Lage sind, jederzeit noch einen draufzusetzen.
Die Schweiz hat neue Popstars
Während sich das internationale Millionenpublikum sowie wir Schweizerinnen und Schweizer am Dienstag noch verwundert die Augen gerieben haben, macht sich hierzulande tatsächlich so etwas wie verhaltender Nationalstolz breit: Mit Hazel Brugger (31) und Sandra Studer (56) hat die Schweiz zwei neue Weltstars. Am Dienstag spielte das Duo noch mit dem Überraschungseffekt und lieferte nebenbei noch eine inoffizielle neue Nationalhymne, am Donnerstag liess sich Brugger bereits in Rockstar-Manier durch die Menge tragen und saugte mit Studer kurzerhand noch die Bühne sauber. Und die halbe Welt fragt sich: Was haben wir all die Jahre ohne dieses Gespann gemacht?
Das Publikum beweist Feingefühl
Vor allem der Auftritt der Israelin Yuval Raphael (24), die das Hamas-Massaker vom 7. Oktober überlebte, sorgte im Vorfeld für Aufregung. Beim ESC-Auftakt letzten Sonntag wurde Raphael von pro-palästinensischen Demonstrierenden angefeindet, Vorjahres-Star Nemo (25) forderte öffentlich den Ausschluss Israels vom ESC. Und Raphael? Die junge Frau liess sich bei ihrem gestrigen Auftritt nicht von den Nebengeräuschen irritieren und lieferte einen Gänsehaut-Auftritt ab. Und das Publikum? 95 Prozent der Fans in der Halle verzichteten auf Buh-Rufe und Pfiffe – und spendeten der Israelin Applaus und Jubel für ihre musikalische Leistung auf der Bühne.
Sex mit Stil
Die finnische Sängerin Erika Vikman (32) ist schon jetzt absoluter Publikumsliebling – ob sie sich mit ihrem zweideutigen Song «Ich komme» auch auf den ESC-Thron hieven kann, ist fast zweitrangig. Vikman bewies bei ihrer Performance, dass musikalische Sexiness genauso zum Eurovision Song Contest gehört wie tiefgründige Balladen. Das Publikum dankt mit Jubelstürmen.
Sind die Spice Girls zurück?
Spoiler: Nein. Aber mit Remember Monday haben die Briten endlich wieder eine Girlgroup, die ihrem Namen alle Ehre macht – und schon jetzt ein echter Fan-Favorit ist. Mit ihrem Song «What the Hell Just Happened?» haben sie zwar nicht die Popwelt neu erfunden, Grossbritannien aber zumindest wieder mit Ausrufezeichen auf die ESC-Karte manövriert.
Party ohne Ende
Das grösste Plus der gestrigen Show waren zum wiederholten Male Tausende von Fans in der Basler St. Jakobshalle. Völlig unabhängig von Nationalität oder Qualität des Songs bewiesen sie ein weiteres Mal, dass das Motto des Eurovision Song Contest eben doch Sinn macht: «United By Music» ist in Basel keine Floskel, sondern wird gelebt – und das jeden Tag noch mehr.