Durchbruch in der Corona-Forschung
«Ende 2020 hat die Schweiz den Impfstoff»

Die Biotech-Firmen Moderna und Biontech preschen im Rennen der Corona-Forscher vor. Plötzlich scheint ein Impfstoff noch vor Jahresende möglich.
Publiziert: 02.08.2020 um 11:24 Uhr
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Aktualisiert: 23.10.2020 um 06:29 Uhr
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Die Corona-Forschung läuft auf Hochtouren. Weltweit befinden sich 27 Impfstoffkandidaten in klinischen Tests. Fünf von ihnen sind bereits in der dritten und letzten Phase.
Foto: AP
Danny Schlumpf

Die Corona-Forschung läuft auf Hochtouren. Weltweit befinden sich 27 Impfstoffkandidaten im Stadium klinischer Tests. Fünf davon sind ­bereits in der dritten und letzten Phase, darunter die mRNA-Impfstoffe der Biopharma-Unter­nehmen Moderna aus den USA und Biontech aus Deutschland. Beide haben angekündigt, bis Ende Jahr Hunderte Millionen Dosen zu produzieren.

Ist das nur Marketing-Pro­paganda? «Nein», sagt Steve Pascolo (49), mRNA-Forscher an der Uni Zürich. «Die publizierten Ergebnisse der ersten beiden Testphasen sind ausgezeichnet. Und es ging noch schneller als gedacht.»

Weitere klinische Versuche notwendig

Auch der Epidemiologe Marcel Tanner (67) vom Schweizer Tropen- und Public-Health-Institut Basel hat die Ergebnisse von Moderna und Biontech studiert: «Ihr Impfstoffkandidat zeigt kaum Nebenwirkungen und produziert neutralisierende Antikörper. Jetzt müssen die weiteren klinischen Versuche zeigen, dass sie auch schützen.»

Bei der mRNA-Technologie werden keine Viren oder Viren­eiweisse geimpft, sondern ein synthetischer Teil von Viren­erbgut. Der Körper selbst produziert anschliessend ungefähr­liche Oberflächenproteine des Virus und baut einen Immunschutz auf.

60 Gramm mRNA reicht für das ganze Land

Das gelingt mittlerweile mit erstaunlich kleinen Dosen: Noch vor kurzem brauchte es 100 Mikrogramm, damit mRNA Wirkung entfaltete – bei einer Maus! Für die nächste Studie der dritten Phase verwendet Biontech eine Dosis von 30 Mikrogramm – pro Mensch. «So lassen sich in kurzer Zeit sehr viele Dosen produzieren», sagt Pascolo.

Das beeinflusst den Zeitpunkt, zu dem die Schweiz im globalen Wettlauf um den Impfstoff zum Zug kommt. Pascolo: «Es ist wahrscheinlich nicht sinnvoll, sofort die gesamte Bevölkerung zu impfen, sondern – wie bei der Grippe – vor allem Ärzte, Pflegepersonal, ältere Menschen und Risikogruppen.» Für die Schweiz brauche es daher zunächst ­ungefähr eine Million Dosen: 60 Gramm mRNA für das ganze Land. «Diese Menge erhalten wir auch als Kleinstaat in kurzer Zeit.» Für Pascolo ist deshalb klar: «Ende 2020 hat die Schweiz den Impfstoff – vorausgesetzt, es gibt bei den nächsten Studien kein schwerwiegendes Problem. Das würde den Prozess ernsthaft verzögern.»

Moderna und Biontech rechnen mit einer Zulassung durch die US-Aufsichtsbehörde FDA im Oktober. Sollten die beiden tatsächlich als Erste einen Impfstoff anbieten, muss die Schweiz Verträge mit ihnen abgeschlossen haben. Sonst riskiert sie, leer auszugehen. Denn der Kampf um die Vakzine ist längst entbrannt: Die USA haben bei ­Biontech und Moderna bereits Impfstoff im Wert von insgesamt drei Milliarden US-Dollar bestellt. In der Schweiz ist die Impfstoff-­Beschaffungsgruppe beim BAG zuständig für die Versorgung. Sie ist mit mehreren Unternehmen im Gespräch, darunter wohl auch Moderna und Biontech. Bestätigen will das BAG dies nicht.

BAG setzt auf ausländische Anbieter

Gehören auch Schweizer Unternehmen dazu? «Das BAG will sich auf die Schnellsten kon­zentrieren», sagt Daniel Speiser (65), Mitglied der Taskforce ­Covid-19 und Leiter der Gruppe Impfstoffentwicklung. «Die Schweizer Impfstoffentwickler gehören nicht dazu – das BAG will die vorhandenen finanziellen Mittel für die Impfstoffe reservieren, die bereits jetzt klinisch geprüft werden.»

Doch ausländische Geldgeber setzen durchaus auf Schweizer Technologie: Die Zürcher Biotech-Firma Molecular Partners hat soeben Geld von amerika­nischen Investoren erhalten. Das Unternehmen arbeitet mit Darpins – einer Art multispezi­fischer Mini-Antikörper, mit denen infizierte Patienten behandelt werden können.

Darpins lassen sich aber auch prophylaktisch einsetzen: Idealerweise würden sie bis zu drei Monate lang vor einer Ansteckung schützen. Im Herbst startet die klinische Testphase.

Ist das nicht zu spät? «Nein», sagt CEO Patrick Amstutz (45). «Zuerst müssen sich Impfstoffe in ihrer Aktivität und Sicherheit bewähren.» Vor allem in der ­Risikogruppe der älteren Menschen erwarte man keinen guten Impfschutz. «Zudem werden selbst im Idealfall nicht alle Menschen sofort geimpft.»

Impfstoff schon dieses Jahr?

Dass ein Impfstoff schon in diesem Jahr verfügbar sein wird, hält Taskforce-Mitglied Speiser ohnehin für fraglich. US-Industrie und -Politik seien zurzeit sehr aggressiv, sagt der ­Forscher. Auch die Ankün­digung Russlands, demnächst ein Vakzin zu besitzen, sei mit Vorsicht zu geniessen: «Wir kennen noch nicht einmal die benutzten Technologien.»

Doch was, wenn das Virus mutiert? Wirkt dann ein Impfstoff überhaupt noch? Epidemiologe Tanner: «Bis jetzt zeigt das Coronavirus eine hohe Stabilität und hat an keiner entscheidenden Stelle mutiert, die eine andere Impfstrategie verlangen würde. Das gibt gute Ausblicke für die Impfstoffentwicklung.»

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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