Es ist vorbei: Die feierlichen Festtage liegen hinter uns, die rührigen Reden hallen nach, und der graue Alltag hat uns wieder. Doch genau jetzt erheben etliche ihre Stimmen, lesen uns die Leviten für Ausschweifungen der vergangenen Tage und predigen uns voll moralischer Inbrunst den Bussgang. Es sind nicht Geistliche, die da von der Kanzel herab reden, sondern körperbetonte Fitnessapostel im Internet.
«Sugar Free January», «Dry January» und «Veganuary» heissen die Zauberworte, mit denen sie uns jetzt gebetsmühlenartig beschwören. Sie wollen uns zum Verzicht von Zucker, Alkohol oder Fleisch bekehren – zumindest während des laufenden Monats. Und sogar fürs Qualm-Ende soll der Jahres-Anfang mit seinen ersten 31 Tagen der geeignetste sein: «January is quit smoking month!», steht auf Websites zu lesen.
Gewiss, wir versüssen unsere Lebensmittel zu sehr, haben an Silvester vielleicht einen oder zwei über den Durst getrunken und essen grundsätzlich zu viele Hamburger und Hotdogs. Aber müssen wir ausgerechnet im Januar dafür büssen, dem tristesten aller Monate? Die Weihnachtslichter, die den Dezember noch erhellten, sind aus – jetzt ist es nur noch dunkel und kalt. Und nun sollen wir durch Verzicht noch mehr leiden?
Nicht mit mir! Im Januar genehmige ich mir bei Kerzenlicht gerne Lebkuchen und heissen Schwarztee mit einem Schuss Rum, denn – wie sagte schon der deutsche Dichter Heinrich Heine (1797–1856): «Gleichfalls eine bessre Wärme / wärmt dem Menschen die Gedärme, / wenn er Glühwein trinkt und Punsch / oder Grog nach Herzenswunsch.» Und einem saftigen Waadtländer Saucisson auf Lauchbett mit Kartoffelgratin wäre ich dieser Tage auch nicht abgeneigt.
Ich verzichte dafür gerne von April bis September, denn dann bietet mir die Natur genügend Ablenkung und Vergnügen: Wenn ich in einem warmen See schwimme, auf einer längeren Wanderung bin oder mit dem Velo im Wald herumradle, dann reichen eine Flasche mit Wasser und ein Apfel zur Verpflegung. Und ein heller, warmer Sommerabend kann so beglückend sein, dass ich darob Hunger und Durst glatt vergesse.
Man möge mir mit dem «Dry May» kommen, den Frühlingswochen ohne Alkohol. Oder mit dem «ohni Juni», während dem ich auf Zucker verzichten soll. Oder dem «Gewichtsverlust August», in dessen Dauer meine Kilos durch vegetarische Ernährung purzeln. Aber bitte keine Verhaltensanweisung für den Januar! Sonst rauche ich sofort – auch wenn ich das bis jetzt noch nicht tat.