Der Körperkontakt kehrt zurück
Sollen wir uns zur Begrüssung wieder küssen?

Mit den Lockerungen der Corona-Massnahmen halten sich immer weniger Menschen an die Distanzregeln. Man schüttelt sich wieder die Hände, umarmt und küsst sich. Doch ist das eine gute Entwicklung? Die Debatte!
Publiziert: 18.07.2021 um 18:49 Uhr
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Anna Uebelhart, Praktikantin beim SonntagsBlick Magazin, spricht sich für Zurückhaltung aus. Dass vor Umarmungen nun vermehrt nach dem Einverständnis gefragt wird, schätzt sie.
Foto: Zvg
Anna Uebelhart, Jonas Dreyfus

Ja, schreibt Blick-Journalist Jonas Dreyfus:

«Ich freue mich, wenn sie endlich Geschichte sind – Situationen, in denen man jemanden trifft und nicht weiss, wie man ihn begrüssen soll. Denn seien wir ehrlich: Wir Schweizer haben dieses Ritual perfekt geregelt: Die Hand geben wir jemandem, den wir nicht oder nicht so gut kennen. Drei Küsse gibts für Freunde und gute Kollegen – sofern wir ihnen ausserhalb des beruflichen Umfelds begegnen.

Ganz wichtig: Man küsst in die Luft und deutet das nur an. Schmatzgeräusche sind tabu. Dabei muss man nicht einmal unbedingt die Wange des Gegenübers berühren. Ich habe diesen einen Bekannten, der mir zur Begrüssung drei nasse Küsse gibt. Dabei dreht er seinen Kopf so, dass er in einem 90-Grad-Winkel zu meinem steht, und drückt seine Lippen auf meine Backe. Er hat das Konzept überhaupt nicht verstanden.

Händeschütteln ist sowieso das Angenehmste. Hände sind edle Körperteile, die sich an der Peripherie des Körpers befinden. Ist doch schön, wenn man sie sich gegenseitig gibt. Warum soll ich als Alternative meinen Ellbogen an einem anderen Ellbogen reiben – und der Person dabei so nahe kommen, dass ich ihren Atem im Gesicht spüre? Und der Fist Bump – ernsthaft? Ich bin nicht mehr 18. Jemand hat kürzlich vorgeschlagen, dass wir uns in Zukunft voreinander verbeugen sollen, wie es die Japaner tun. Ich sehe es weniger.

Dann wäre da noch das Umarmen. Man kommt sich schon recht nahe dabei, oder nicht? Und wenn Timing und Intensität nicht stimmen, wirds peinlich. Deshalb: Bringt das Altbewährte zurück! Und seid bitte nicht beleidigt, wenn euer Gegenüber nach dem Händeschütteln sofort die Finger desinfiziert. Ich werde es tun. Und wenn ich mir die Wangen desinfiziere, wisst ihr, dass ihr etwas falsch gemacht habt.»

Nein, schreibt Blick-Journalistin Anna Uebelhart:

«Ich mag Familienfeste und Geburtstagsfeiern. Sie sind die perfekte Gelegenheit, Zeit mit Verwandten und Bekannten zu verbringen, die man sonst nur selten sieht. Sei es, weil man etwas weiter weg wohnt oder weil man in komplett anderen Lebensphasen steckt. Schon vor der Pandemie hielt ich diese gemeinsamen Momente für kostbar, jetzt hat ihr Wert exponentiell zugenommen.

Doch es gibt etwas, das ich bei solchen Feiern noch nie ausstehen konnte: Körperkontakt. Vor Corona spielte sich die Ankunft bei einem solchen Fest in etwa so ab: Kaum den Raum betreten, schon liege ich in den Armen einer viel zu stark parfümierten Person, wahrscheinlich irgendeiner Tante dritten Grades, und bekomme einen etwas zu nassen Kuss auf die Wange gedrückt. Natürlich ist die Geste lieb gemeint, wohl gefühlt habe ich mich dabei trotzdem nicht. Jetzt ist das Aufeinandertreffen anders. Menschen fragen vor einer Umarmung zuerst nach meinem Einverständnis, was ich sehr angenehm finde.

Das Problem ist nicht der Körperkontakt an sich. Das Problem liegt eher darin, dass wir manchmal nicht spüren, was sich das Gegenüber wünscht und wo seine Grenzen liegen. Auch wenn die Freude über gelockerte Massnahmen uns manchmal überschwänglich werden lässt, sollten wir nicht vergessen, dass Menschen unterschiedlich mit körperlicher Nähe umgehen. Ein zurückhaltender Umgang mit Körperkontakt hat ausserdem den positiven Nebeneffekt, dass die Zärtlichkeiten, die wir austauschen, umso schöner und oft bedeutungsvoller sind.»

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