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Er nahm von Anfang an wahr, wer Hitler war

Den Mutigen gehört die Welt, heisst es gemeinhin. Das stimmt leider nicht. Aber: Der Mutige betört die Welt – spätestens nach der Lektüre dieser Biografie muss man den furchtlosen Emil Oprecht lieben.
Publiziert: 11.02.2020 um 10:01 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Es muss Ende der 1980er-Jahre sein, als ich an der Rämistrasse 5 beim Zürcher Bellevue die Türe öffne und eintrete. Gebannt bleibe ich stehen: Vor einem Bücherregal hinten im Raum bückt sich ein kleiner, alter Mann mit dem Rücken zu mir – weisses, welliges Haar, den Regenmantel bis zu den Waden runter. Der kleine Mann ist der grosse Schriftsteller Elias Canetti (1905–1994), Literaturnobelpreisträger von 1981.

Ja, in der Buchhandlung «Dr. Oprecht AG» lag nicht nur lesenswerte Literatur in den Gestellen, oftmals standen auch bedeutende Literaten davor. Denn gleich ums Eck vom Dichtercafé Odeon führte Emil Oprecht (1895–1952) ab 1925 nicht bloss einen Bücherladen, dort war nach der Machtübernahme der Nazis ab 1933 auch eine Anlaufstelle für verfolgte Autoren und der von Oprecht gegründete Europa-Verlag für antifaschistische Literatur.

«Durch ein aufsehenerregendes Schaufenster mit dem Scheiterhaufen war die kleine Buchhandlung am Bellevue zum Stadtgespräch geworden», schreibt Christoph Emanuel Dejung (76) in der Biografie «Emil Oprecht – Verleger der Exilautoren», dem ersten umfassenden Lebensbild des mutigen Schweizers. Während 1933 im Dritten Reich Studenten Bücher verbrannten, schichtete Oprecht ebensolche Werke von Heinrich Mann, Erich Kästner, Kurt Tucholsky und anderen in der Auslage wie einen Holzstoss auf und schrieb dazu: «Diese Autoren stellen wir aus!»

«Von Anfang an nahm er Mussolini und Hitler als die wahr, die sie waren», schreibt Dejung. Oprecht veröffentlichte denn auch schon 1936 die gemäss Historiker Joachim Fest «erste bedeutende Hitler-Biografie»: Konrad Heidens zweibändiges Werk mit den weitsichtigen Titeln «Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit» und «Ein Mann gegen Europa». Frontisten, Nazisympathisanten in der Schweiz, bedrohten in der Folge Oprecht, den Buchhändler sowie Verleger, und ab 1938 zusätzlich Oprecht, den Verwaltungsratspräsidenten der Neuen Schauspielhaus AG: Am Pfauen ermöglichte er Uraufführungen wie «Mutter Courage und ihre Kinder» (1941) von Bertolt Brecht.

Trotz aller politischen Brisanz verpasst es der Zürcher Philosoph und Historiker Dejung nicht, Oprechts persönliche Seite zu beleuchten und die wichtige Rolle seiner Frau Emmie Oprecht (1899–1990) herauszustreichen. So beginnt das Buch auch mit dem Kapitel «Eine Ehe schliessen». Rührend, wenn er in einem am Schluss abgedruckten Brief vom Juli 1952 seinem «lieben Büsi» aus dem Höhenkurort St. Moritz über seine scheinbare Genesung schreibt und sich mit einem lieben Gruss als «Opi» verabschiedet. Am 9. Oktober des gleichen Jahres stirbt Emil Oprecht an Krebs.

2003 schliesst die Buchhandlung aus wirtschaftlichen Gründen, 2015 geht die Eigenständigkeit des Europa-Verlags Zürich verloren – und ich habe kein signiertes Buch von Elias Canetti. Die Buchhändlerin riet mir damals ab, Canetti zu stören. Heute ruht er auf demselben Friedhof wie sein Buchhändler Oprecht, in Fluntern beim Zürcher Zoo.

Christoph Emanuel Dejung, «Emil Oprecht – Verleger der Exilautoren», Rüffer & Rub

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