Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Japs! Keuch! Schnarch!

Gerade in Corona-Zeiten lernen wir es wieder schätzen, frei atmen zu können. Doch wir sollten dem Atem keinen freien Lauf lassen und bewusster Luft holen.
Publiziert: 12.01.2021 um 07:36 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2021 um 17:32 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Für die Lektüre dieser Buchbesprechung brauchen Sie ungefähr 50 Atemzüge. Jetzt schnauft es noch automatisch mit Ihnen. Doch gegen Schluss des Artikels ziehen Sie die Luft bewusster in Ihre Lunge, glauben Sie mir. Denn hier fasse ich für Sie «neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens» zusammen, das der US-Journalist James Nestor in seinem «New York Times»-Bestseller «Breath» ausgebreitet hat; nun liegt das Buch unter dem Titel «Atem» auf Deutsch vor.

Nestors Problem: «Ich hatte mich gerade von einer Lungenentzündung erholt», schreibt er. «Im letzten Jahr hatte ich ebenfalls eine gehabt. Und im Jahr davor.» Der Druck der Arbeit und sein altes, baufälliges Haus setzen ihm zu. Aber nicht nur: Er atmet nicht richtig. Und so nimmt der leidenschaftliche Taucher und Verfasser der Freediving-Bibel «Deep Sea» an einem Experiment der kalifornischen Stanford University teil und lässt sich für zehn Tage die Nase mit Silikon verstopfen, sodass er in dieser Zeit nur mit dem Mund nach Luft schnappen kann.

«Etwa die Hälfte von uns sind chronische Mundatmer», schreibt Nestor, «wobei Frauen und Kinder am meisten betroffen sind.» Meist wegen verstopfter Nase, deren Ursachen von trockener Luft bis Stress, von Entzündungen bis Allergien, von Luftverschmutzung bis Medikamentenunverträglichkeit reichen. Die Hauptursache liegt allerdings in der Evolution: Der schrumpfende Kiefer – wegen weicherer, weil gekochter Nahrung – und das wachsende Gehirn verengten die Nasen- und Mundhöhle.

«In der vergangenen Nacht, meiner ersten mit freiwilliger Nasenverstopfung, habe ich 1300 Prozent mehr geschnarcht, insgesamt 75 Minuten», bilanziert Nestor. Eine Volkskrankheit: 45 Prozent der Erwachsenen schnarchen gelegentlich, ein Viertel der Bevölkerung schnarcht ständig. Mit fatalen Folgen: Bei vielen führt das zur Schlafapnoe, zum Aussetzen des Atems in der Traumphase. Nestors Fazit: «Schlafapnoe und Schnarchen, Asthma und ADHS hängen alle mit Hindernissen in der Mundhöhle zusammen.»

Das Gute: Wir Menschen sind dem Schicksal nicht ausgeliefert. «Die Atmung ist eine autonome Funktion, über die wir die bewusste Kontrolle übernehmen können», schreibt Nestor. Im Gegensatz zum Herzschlag oder der Verdauung, die der Mensch nicht bewusst beschleunigen oder verlangsamen könne, und zum Blutfluss, den er nicht bewusst von einem Organ zum andern umlenken könne, habe er die Möglichkeit, Art und Frequenz seiner Atmung selbst zu regeln. Nestor stellt verschiedene Techniken aus der Praxis von Professoren und Propheten vor.

Das Wichtigste: Wir müssen wieder bewusst durch die Nase Luft holen. «Die Nase ist wichtig, weil sie die Luft reinigt, aufwärmt und anfeuchtet, sodass sie leichter aufgenommen werden kann», so Nestor. Ein weiterer positiver Effekt: Die Nebenhöhlen setzen einen grossen Schub Stickstoffmonoxid (NO) frei, ein Molekül, das für die Förderung des Blutkreislaufs und die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff zuständig ist – und so beeinflusst unsere Nase indirekt Immunsystem, Gewicht, Kreislauf, Stimmung und sogar den Sexualtrieb.

James Nestor, «Breath Atem – neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens», Piper

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