Seidenstrasse, das klingt geschmeidig und fein. Doch der Weg westwärts von China nach Europa, auf dem Menschen seit der Antike Handel mit edlen Stoffen treiben, ist ein hartes Pflaster. Denn wo es um Geld und Geltung geht, da gibt es Gewinner und Gebeutelte. Nun möchte China in seinem Machtstreben diese alte Handelsroute mit der «Belt and Road»-Initiative bis 2049 neu beleben: Mit dem gigantischen Infrastrukturprojekt will der gelbe Riese fast 70 Länder in Asien, Europa und Afrika via Land-, Wasser- und Luftweg an sich binden.
Patrick Rohr (52), bekannt aus Funk und Fernsehen, ist fasziniert, als er im Frühjahr 2019 einen Zeitungsartikel darüber liest. Der ehemalige Moderator der SRF-Sendungen «Schweiz aktuell» und «Arena» beschliesst, einige dieser Länder am Mittel- bzw. Europakorridor zu bereisen. Als ausgebildeter Dokumentar- und Porträtfotograf will er darüber ein Buch veröffentlichen, das nun mit ausdrucksstarken Bildern und eindringlichen Texten vorliegt. Rohr erhebt nicht den Anspruch, die Nationen in ihrer ganzen Vielfalt zu zeigen. Stattdessen wirft er einen wohltuend persönlichen Blick auf Land und Leute.
Zwölf Länder sollten es ursprünglich sein, doch wegen Corona halbierte sich das Vorhaben: Als Rohr in China ankommt, ist die Pandemie noch kein Thema, zwingt ihn aber, anschliessend die westlichsten Nationen Polen, Ukraine und Rumänien zu besuchen, um sich nach dem Abebben der ersten Welle über die Türkei und Kirgistan wieder China zu nähern. Von all diesen Umständen merkt man als Leser allerdings nichts, denn in den Kapiteln reihen sich die Länderporträts fein säuberlich von Ost nach West der Seidenstrasse entlang.
«Es war Liebe auf den ersten Blick», schreibt Rohr über China – und trifft in einer Shanghaier Bar als Erstes auf den Chinesen Tom, der eben von seiner Freundin verlassen wurde. Ob spontane oder arrangierte Treffen, der Schweizer schafft es immer wieder, das Gegenüber zum Reden zu bringen. Doch als er Herrn Li über die rasante Veränderung Shanghais befragt, zeigt dieser lieber seine Briefmarkensammlung. Rohr spürt bei aller Gastfreundschaft die Verschlossenheit des Landes und ist schliesslich froh, China verlassen zu dürfen.
«Auch Religionsführer und Wissenschaftler benutzten die Routen der alten Seidenstrasse, um ihre Weltanschauungen und Ideen über die Welt zu verbreiten», schreibt Rohr. «Neu ist, dass heute vor allem China seine Güter und seine Weltanschauung über die Seidenstrasse in die Welt hinaustragen will.» Im benachbarten Kirgistan birgt das Konfliktstoff, im ex-kommunistischen Rumänien freut man sich auf chinesische Hilfe. Und während Erdogan die Türkei islamisiert, vernichten die Chinesen die muslimischen Uiguren im eigenen Land.
Kein Problem: «2009 nannte Erdogan, der damals noch Premierminister war, Chinas Vorgehen gegen die Uiguren einen ‹Genozid› und liess uigurische Flüchtlinge in grosser Zahl ins Land», schreibt Rohr. «In jüngster Zeit liess die Türkei aber plötzlich Hunderte Uiguren verhaften und nach China zurückschaffen.» Was man nicht alles tut für einen reibungslosen Handel auf der neuen Seidenstrasse.
Patrick Rohr, «Die neue Seidenstrasse. Chinas Weg zur Weltmacht», Orell-Füssli