BLICK auf die USA: US-Korrespondent Nicola Imfeld über die erste TV-Debatte und ein Trinkspiel
Frustsaufen wegen Trump und Biden

Jede Woche schreibt USA-Korrespondent Nicola Imfeld in seiner Kolumne über ein Thema, das jenseits des Atlantiks für Aufsehen sorgt. Heute geht es um den Frust der Amerikaner über die erste TV-Debatte – und wie sie damit umgehen.
Publiziert: 02.10.2020 um 06:07 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2020 um 03:43 Uhr
Foto: Zvg
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Nicola Imfeld aus San Diego (USA)

Meine amerikanischen Freunde haben mich diese Woche gefragt, was denn die Schweizer von der US-Politik halten. Der Scham war ihnen anzuhören – oder im Falle meiner Nachbarin anzusehen.

Auf die erste TV-Debatte zwischen Donald Trump (74) und Joe Biden (77) hat man sich in Amerika eigentlich gefreut. In den sozialen Netzwerken war davon die Rede, dass dieses Duell wie der Super Bowl und Thanksgiving gleichzeitig sein wird. Erlebt hat man am Dienstagabend aber ein totales Chaos, dass den Familienstreit am letzten Weihnachtsfest wieder in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Dabei hätte die Debatte ein riesiger Erfolg für die Demokratie werden können: Über 73 Millionen Amerikaner haben das Duell verfolgt. Nur das erste Aufeinandertreffen von Trump und Hillary Clinton (72) vor vier Jahren zog noch mehr Menschen vor die Bildschirme. Die Amerikaner sind im Jahr 2020 aber nicht plötzlich übermässig an der Politik interessiert – eher das Gegenteil ist der Fall.

Amerikaner wollen von Duell unterhalten werden

Ich habe Anfang Woche Freunde und Bekannte aus den verschiedensten Bundesstaaten und jeder Altersgruppe gefragt, ob und weshalb sie sich die Debatte anschauen werden. Ausschliesslich jeder hat versprochen, zumindest kurz einschalten zu wollen. Und fast jeder hat als einer der Hauptgründe den Unterhaltungsfaktor angegeben.

Repräsentativ ist meine Umfrage nicht. Sie deckt sich aber mit den Erkenntnissen aus dem Jahr 2016. Politikwissenschaftler haben angegeben, dass die hohen Einschaltquoten unter anderem auf den Unterhaltungsfaktor zurückzuführen war – vor allem jungen Menschen war dies besonders wichtig.

Auch das entspricht meinen Erfahrungen. Viele meiner jungen Kolleginnen und Kollegen in den Mittzwanzigern – teils politisch interessiert, teils überhaupt nicht – haben die TV-Debatte am Dienstag zu einem Event gemacht. Besonders beliebt ist ein Trinkspiel: Wenn Trump oder Biden ein zuvor abgemachtes Wort aussprechen, muss die eine oder andere Gruppe trinken.

Trinkspiel wird zum Frustsaufen

Förderlich ist ein solches Trinkspiel für die Demokratie nicht. Eine politische Debatte sollte vorderhand nicht unterhalten, sondern informieren. In der Schweiz pflegen die Mitte-Parteien zu sagen, dass ihre langweilige Politik das Erfolgsrezept unseres Landes sei. Ob sie recht haben, sei dahingestellt. Aber: Haben Sie einen Bekannten, der bei der «SRF Arena» ein Trinkspiel spielt? Eben.

Dieses Jahr hat die TV-Debatte nun nicht einmal mehr unterhalten – sondern die Menschen verärgert. Zwei von drei Befragten haben nach dem 90-minütigen Polit-Spektakel in einer Umfrage von US-Medien angegeben, unzufrieden mit der Debatte gewesen zu sein. Und das ist für die Demokratie nochmals schlimmer als der Wunsch nach Entertainment. Denn wenn man sich von der Politik abwendet, kann man auch nicht informiert werden.

Bei jenen aber, die beim nächsten Mal trotzdem nochmals einschalten, wird das Trinkspiel viel eher zu einem Frustsaufen verkommen. Auch nicht förderlich.

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