Editorial zum Zollstreit mit Trump
Aussenpolitik im Blindflug

Die Politiker in Bern versprechen seit bald drei Wochen einen Handelsdeal mit den USA – und warten und warten und warten. Überschätzt sich die Schweiz?
Publiziert: 10:05 Uhr
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Aktualisiert: 12:16 Uhr
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Reza Rafi, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Philippe Rossier
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Die Schweiz hat Liebeskummer. Der Eindruck entsteht, wenn man die Stimmung in Bundesbern gegenüber den Vereinigten Staaten betrachtet. Täglich warten die Eidgenossen auf Post aus dem Weissen Haus. Ein Handelsdeal muss her. Doch der Briefkasten bleibt leer.

Das weckt ungute Erinnerungen – hat man sich nicht schon einmal am 2. April so böse in Donald Trump getäuscht? Er übertölpelte damals die Schweiz mit einem 31-Prozent-Zoll. 

Seither laufen die Bemühungen, sich mit den USA zu einigen, auf Hochtouren. Die politischen Entscheidungsträger beschwichtigen die Öffentlichkeit. «Die Gespräche befinden sich auf den letzten Metern», stellte Seco-Chefin Helene Budliger Artieda in Aussicht. Im besten Fall werde es einen Pauschaltarif von 10 Prozent geben. Und Ex-US-Botschafter Edward McMullen jubelte via «NZZ»: «Die Schweiz ist auf der Überholspur in Washington.» Wo ist er heute?

Die Ankündigung der Staatssekretärin ist bald drei Wochen her. Auch am US-Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli, kam – entgegen aller Hoffnungen – kein Brief. Hinter den Kulissen stand die Bundesverwaltung auf Standby für eine Medienkonferenz. Die nächste Deadline wurde am 9. Juli gesetzt – ohne Signal aus Washington. Man musste weiter warten. Neuste Hoffnung ist der 1. August. Gibts ein transatlantisches Geschenk zum Nationalfeiertag? Niemand weiss es. 

Währenddessen liess sich Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter zu einer kühnen Selbsteinschätzung hinreissen: «Irgendwie habe ich den Zugang zu Trump gefunden», frohlockte sie im Blick-Interview.

Wenn sich Spitzenpolitiker für ihren Zugang zu Trump rühmen, ist Vorsicht geboten. Der deutsche Kanzler Friedrich Merz schwärmte unlängst von seinem «guten persönlichen Draht» zum US-Präsidenten. Wohin das führte, sah man gestern Samstag: Trump düpierte die EU mit einem 30-Prozent-Zoll auf ihre Produkte.

Gut möglich, dass die Schweiz bald erlöst wird – oder auch nicht. Im Umgang mit dem US-Präsidenten scheint für Bern bisher nur eine Konstante erkennbar: Wir sind für Trump einfach nicht so wichtig. Alles andere ist naiv.

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