Literatur-Shootingstar Stefanie Sargnagel
«Im echten Leben bin ich viel netter»

Stefanie Sargnagel (31) ist der Shootingstar der Literaturszene. Die Wienerin über den Erfolg – und wie er ihr Leben als Faulenzerin verändert hat.
Publiziert: 26.07.2017 um 15:41 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:54 Uhr
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Stefanie Sargnagel sorgt immer wieder und immer gern für Kontroversen.
Foto: Peter. Rigaud
Franziska K. Müller

SonntagsBlick: Frau Sargnagel, wir ­treffen uns in Ihrem Lieblingsquartier, das zur kaufschwächsten Gegend von ganz Österreich zählt. Was mögen Sie an dieser heruntergekommenen Ecke?
Stefanie Sargnagel: Alles. Mein ­uraltes Stammcafé ist hier und gleich daneben das muffige Einkaufszentrum Lugner-City. Dort gibt es mein Lieblings­essen: Buffet. Was ich im 15. und 16. Bezirk auch mag, sind die ­Arbeiter, die Obdachlosen und die vielen Leute mit ­Migrationshintergrund.

Die Wiener Tristesse ist eines ­Ihrer grossen Themen. Auch im neuen Buch wimmelt es von ­Figuren, die ein flaues Gefühl in der Magengegend hinterlassen. Was wollen Ihre Bücher genau?
Mir ist wichtig, dass meine Texte tragisch-komisch und sehr präzise rüberkommen. Menschen, die man in anderen Ländern vielleicht als Randfiguren der Gesellschaft bezeichnen würde, sind in meiner Wiener Realität eine Selbstverständlichkeit. Ich fühle mich ihnen zugehörig.

Das prekäre Wien gilt gerade als trendig, und so ähnlich wie der Stadt geht es auch Ihnen: Plötzlich werden Sie von vielen neuen Menschen verstanden.
Ja, vor allem auch reiche, ältere ­Damen mögen mich heute. Ich glaube, es ist der schrullige Humor, der uns verbindet.

Ihre Heimatstadt wollte nie hip sein, und jetzt ist sie es doch ­geworden: Haben Sie eine Erklärung dafür?
Einerseits hat das Exzentrische und Skurrile hier eine lange Tradition. Andererseits ist Wien keine eigentliche Kultur- oder Modestadt und auch kein Finanzplatz. Das macht, dass die Leute nicht cool, ­erfolgreich, modern und jung sein müssen. Daraus entwickelte sich ein eigenständiger Stil, aber auch ein Lebensgefühl, das man Sub­kultur nennen könnte.

Wie hat sich dieser Lifestyle auf Ihr Dasein ausgewirkt?
Absolut positiv. Würde ich in New York leben, müsste ich allein einen 40-Stunden-Job bewerkstelligen, um meine Miete bezahlen zu können. Hier lebe ich in einer städtischen Wohnung, arbeitete bis vor zwei Jahren zwanzig Stunden pro Woche im Callcenter und führte – völlig unbehelligt von eigenen oder gesellschaftlichen Ansprüchen – das prekäre, aber inspirierende ­Leben einer Tagediebin, die aufschreibt, was sie sieht und erlebt.

Dieses Jahr erschien Sargnagels drittes Buch «Status-Meldungen». Und eine satirische Marokko-Reportage verursachte einen Skandal.

Ihre Bücher sind Sammlungen von ausgewählten Facebook-­Texten, schmerzhaft und witzig, auch politisch und feministisch. Wird der Begriff Internet-Poetin, Ihrer Bedeutung eigentlich gerecht?
Gegen diese Bezeichnung gibt es nichts einzuwenden. Allerdings habe ich meine Texte in den frühen Jahren selbst kopiert, zusammengeheftet und verkauft. Strassen­magazine und Underground-Zeitschriften haben mich auch schon immer abgedruckt.

Wo liegt die literarische Qualität Ihrer sehr kurzen Texte?
Ich praktiziere die zugespitzte Form. Das Beschreibende – ob die Kaffeetasse blau oder rot ist – interessiert mich und offenbar auch viele Leser nicht. Meine Texte sind eher wie Cartoons: mit wenigen Strichen werden die Figuren zum Leben erweckt.

Sie entlarvten den Fake, das ­Unzulängliche, die Lüge und ­konzentrierten sich darauf, was Ihnen authentisch erscheint, schrieb ein Literaturkritiker kürzlich. Ist das Unterprivilegierte ­eigentlich immer wahr und echt, oder entdecken Sie auch in diesem Bereich, Dinge die Ihnen nicht gefallen?
Verlogenheit und Verschlagenheit gibt es überall. Im bürgerlichen ­Milieu sind die Menschen vor allem reservierter. Sie folgen den jeweiligen gesellschaftlichen Kodexen. Das bedeutet für mich, dass man nicht so viel Lustiges und Abartiges erleben kann. Ich mag es, wenn Leute aus ihrer Rolle fallen.

Mit Ihrem zweiten Buch gelang Ihnen der Sprung nach Deutschland. Leserreisen und die Teilnahme am wichtigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb folgten. Sie gewannen den Publikumspreis und wurden Stadtschreiberin von Klagenfurt. Sind Sie trotz allem ein ehrgeiziger Mensch?
Zielstrebig bin ich bestimmt nicht. Auch hat meine Karriere eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Aber Ärger und neuen Herausforderungen gehe ich nicht aus dem Weg.

Wie hat sich der Alltag mit dem grossen Erfolg verändert?
In letzter Zeit habe ich tatsächlich viel gearbeitet. Zudem fuhr ich viel herum, übernachtete in Hotels, hielt Lesungen. Trotzdem erlebte ich weniger als früher.

Backstage wartet jetzt eine gekühlte Flasche Weisswein und im stillen Hotelzimmer ein hübsch arrangierter Früchtekorb. Kann man sagen, der Erfolg hat Sie schwer getroffen?
Na ja, so schlimm ist es nicht. Aber die Hotels sind schon sehr fad, dort finde ich nicht, was ich suche. Der Komfort geht auf Kosten von Erlebnissen und spannenden Bekanntschaften, die man beim Autostopp macht und wenn man in der Jugendherberge übernachten muss.

Wenn man aus dem Untergrund kommt und sich die eigene Person aber auch das Werk über dieses Image definieren: Besteht die Gefahr, mit kommerziellem Erfolg Authentizität einzubüssen?
Da bin ich an die Rapper erinnert, die früher über das prekäre Leben sprachen und dann nur noch über die Bitches, die Brillanten, das Geld. Zu meiner Errettung: Ich wohne noch immer im Gemeindebau und brauche nicht viel zum ­Leben.

Die Nachmittage mit alten TV-Serien wie «Melrose Place» verplempern, Enten füttern, sich im Obdachlosenpark die Nächte um die Ohren schlagen: Kommen Sie noch dazu?
Freilich. Ich hänge ja noch mit den gleiche Leuten ab, und mein Leben wird auch in den kommenden ­Jahren nicht komplett langweilig werden. Lustige Geschichten und ­Beobachtungen gibt es in meiner eigenen Welt – also in der arbeitsfreien Zeit. Doch heute muss ich für mein Faulenzertum und die damit zusammenhängenden Inspirationsquellen mehr kämpfen.

Sie trinken nicht mehr so viel und verdienen dafür mehr?
Das ist richtig. In trunkenen Nächten geschehen natürlich aberwitzige Dinge. Und man lernt Menschen auch auf einer anderen Ebene kennen. Der zweite Punkt ist eben: Plötzlich hat man mehr Geld. Was macht man mit der Kohle? Ich lege sie zur Seite. Plötzlich habe ich ­Verlustängste und verstehe die reichen Menschen: Je mehr man hat, desto grösser wird die Angst, dass es einem wieder abhandenkommen könnte.

Österreichs neuer Literatur-Star

Stefanie Sargnagel (31) wurde unter dem bürgerlichen Namen Spreng-nagel in Wien geboren und wuchs dort im -Arbeitermilieu auf. -Das Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste brach sie ab, arbeitete jahrelang bei der Telefonauskunft und tat nebenbei, was sie am liebsten macht: rauchen, Bier trinken und die Trostlosigkeit analysieren. Ihre Texte erreichten Kultstatus, noch bevor ihr erstes Buch erschien. Sargnagel ist Mitbegründerin der feministischen Burschenschaft Hysteria und äussert sich gern pointiert zu politischen Themen. Sie wird mit-unter bereits als wichtigste österreichische Autorin des 21. Jahrhundert bezeichnet. 

Stefanie Sargnagel (31) wurde unter dem bürgerlichen Namen Spreng-nagel in Wien geboren und wuchs dort im -Arbeitermilieu auf. -Das Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste brach sie ab, arbeitete jahrelang bei der Telefonauskunft und tat nebenbei, was sie am liebsten macht: rauchen, Bier trinken und die Trostlosigkeit analysieren. Ihre Texte erreichten Kultstatus, noch bevor ihr erstes Buch erschien. Sargnagel ist Mitbegründerin der feministischen Burschenschaft Hysteria und äussert sich gern pointiert zu politischen Themen. Sie wird mit-unter bereits als wichtigste österreichische Autorin des 21. Jahrhundert bezeichnet. 

Sie schreiben selbst, die grosse Pointe Ihrer schriftstellerischen Karriere könnte sein, dass Sie bald wieder im Callcenter arbeiten. Wäre das schlimm?
Nicht wirklich. Die Frische der ganz jungen Jahre geht irgendwann sowieso verloren, das ist normal. Dann rücken andere, vielleicht jüngere Künstler und Künstlerinnen nach. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass man sich weiterentwickelt: Vielleicht schreibe ich irgendwann ein ganzes Buch über das Leben der Enten, die ich nun schon seit so vielen Jahren beobachte. Die sind so lieb und gleichzeitig so böse.

Bereits heute sind Sie nicht nur eine gefeierte Poetin, sondern auch ein politischer Mensch. Oder müsste man eher sagen, ein politisch unkorrekter Mensch?
Das politisch Unkorrekte setze ich als Stilmittel ein, versuche aber ­respektvoll zu bleiben, auch wenn die Texte bisweilen bitterböse ­daherkommen.

Sind Sie in der Realität eigentlich netter als im Internet?
Definitiv. Offline bin ich überhaupt nicht streitsüchtig. Virtuell kann man Auseinandersetzungen ohne physische Konfrontation mit jenen austragen, die man aufs Korn nimmt. Das baut vermutlich so manche Hemmschwellen ab.

So ähnlich geht es vermutlich auch Ihren Gegnern, denen Sie es mit der umstrittenen Marokko-Reportage allerdings auch leicht gemacht haben. Sie schrieben unter anderen, dass Sie ohne BH herumliefen und sich endlich ­etwas zu kiffen besorgen konnten. Waren Sie von den extremen Reaktionen dennoch überrascht?
Ja. Beim Reisebericht für die Zeitung «Der Standard» handelte es sich offensichtlich um eine Satire. Die «Kronen Zeitung» nahm den ­Bericht als Vorwand, um eine Kampagne gegen mich zu fahren. Das aufgrund meiner kritischen Aus­einandersetzung mit der rechtskonservativen FPÖ und anderen Politikern aus dem rechten Spektrum.

Sie schrieben, dass Sie Shitstorms mögen. Immer noch?
Tatsächlich war es dieses Mal stressig. Ich schrieb am neuen Buch, gleichzeitig musste ich mich mit dieser Thematik auseinandersetzen, die sich zu einer eigentlichen Schlammschlacht ausweitete.

Die Kärntner «Krone» bezeichnete Sie aufgrund dieser Reportage als «bekifft» und «willig» und gab einen Hinweis auf Ihre Wohnung in Klagenfurt. Hat jemand bei Ihnen geklingelt?
Nein, Hass und Anschuldigungen haben sich bezeichnenderweise virtuell abgespielt. Die meisten Leute haben den Text aber richtig interpretiert. Das weiss ich, weil ich auf der Strasse oder im Wirtshaus kein einziges Mal angepöbelt wurde. Ganz im Gegenteil: Von vielen Menschen erhielt ich in der Realität Unterstützung und Ermunterung, weiterzumachen.

Seitdem Sie den Publikumspreis am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb gewonnen haben, sind Sie öfters in Klagenfurt anzutreffen. Wie muss man sich Ihr Leben dort vorstellen? Etwa bürgerlich?
Als Stadtschreiberin gehört es zum Job, das Stadtleben und die Menschen genau zu beobachten. Ich wurde in Klagenfurt gut aufgenommen – ich habe mich aber auch gut benommen.

Ist das Leben so ganz ohne ­Alkohol eigentlich langweiliger?
Absolut. Dafür ist man nicht ver­katert und fühlt sich weniger deprimiert.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Ich arbeite diszipliniert daran, weniger zu arbeiten. 

  
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