Wo Rauch ist, da ist Feuer. Und wo Feuer ist, da ist seit 1,5 Millionen Jahren der Mensch – zunächst vor Überresten unkontrollierter Buschbrände, später vor domestizierten Herdstellen und Cheminées. Keiner brachte diesen zutiefst humanistischen und heimeligen Aspekt besser auf den Punkt als Bertolt Brecht (1898–1956) in seinem Gedicht «Der Rauch»: «Das kleine Haus unter Bäumen am See / Vom Dach steigt Rauch / Fehlte er / Wie trostlos dann wären / Haus, Bäume und See.»
Wo Rauch aufsteigt, da ist ein Mensch zu Hause. Dieser gemütliche Aspekt hat ungemütliche Folgen, denn neben Russpartikeln gelangt Kohlendioxid in die Luft. Letzteres ist mitverantwortlich für die weltweite Klimaerwärmung mit Eisschmelze an den Polen. International initiiert 2018 Greta Thunberg (18) die Schulstreikbewegung «Fridays for Future» dagegen. National stimmt die Schweizer Bevölkerung am 13. Juni 2021 über das CO2-Gesetz ab – dies weil der Verband Kaminfeger Schweiz im Verein mit der Erdölindustrie das Referendum ergriff. Und regional beschloss der Zürcher Kantonsrat Ende März 2021 den «Klima-Deal».
Wo kein Feuer brennt, gibt es keinen Russ
Damit will der grüne Zürcher Regierungsrat Martin Neukom (34) Anreize schaffen, die immer noch rund 120'000 Öl- und Gasheizungen im Kanton durch klimafreundliche Heizsysteme wie etwa Wärmepumpen zu ersetzen. Denn die mit fossiler Energie betriebenen Heizungen seien heute für 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Andere Kantone dürften dem Beispiel folgen; Basel-Stadt will sich gar für den European Green Capital Award anmelden und 2025 zeigen, wie klimabewusst man am Rheinknie ist.
«Tschüss, Chämifeger», titelte der «Tages-Anzeiger» kürzlich und rechnete vor, dass allein durch den kantonalen «Klima-Deal» rund 1000 Jobs in ölabhängigen Branchen – darunter bei den Kaminfegern – gefährdet seien. Und die Zeitung zitierte den Chef des kantonalen Kaminfegerverbands: «Öl- und Gasheizungen machen einen Grossteil unserer Arbeit aus», so Werner Zbinden aus Illnau ZH. Und wo kein Feuer brennt, gibts keinen Rauch und Russ, den Kaminfeger wegkratzen können.
«Chämifäger schwarze Ma, / het es ruessigs Hemmli a. / Nimmt de Bäse und dä Lumpe, / macht die böse Buebe z gumpe.» So geht das Schweizer Kinderlied, mit dem man den widerspenstigen Nachwuchs gefügig machte, denn im 19. Jahrhundert schickten Kaminfeger Knaben zu Reinigungszwecken häufig den Schornstein runter. «'s ist ein schmutziges Handwerk», heisst es im Roman «Oliver Twist» (1838) von Charles Dickens (1812–1870), «Knaben sind schon in Schornsteinen erstickt.»
«Chämifäger schwarze Ma, / treit e längi Leitere na. / Will er s Chämi uuf und abe, / muess dä tuusigs Ruess abschabe.» Doch statt auf dem Dach sind wir jetzt im Keller einer Kreuzlinger Grossüberbauung, statt eines finsteren Kinderschinders lächelt uns ein freundlicher Kaminfegermeister an. «Auf das Dach geht man fast nicht mehr», sagt der Appenzell Ausserrhoder Walter Tanner (44). «Und es ist auch nicht so, dass man jeden Tag einen schwarzen Kopf hat.» Tanner ist Vizepräsident von Kaminfeger Schweiz mit Sitz in Aarau und führt in Kreuzlingen TG ein Kleinunternehmen mit fünf Angestellten und zwei Lernenden – Männer und Frauen halten sich im Betrieb die Waage.
Rund 360 Betriebe im Verband Kaminfeger Schweiz
Elena Ellerkamp (18) ist im dritten Lehrjahr und steht im Heizungskeller des Kreuzlinger Mehrfamilienhauses. Wegen der elektronischen Geräte ist die Ausbildung zur Kaminfegerin mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis heute vielfältiger und technischer, doch sie bleibt physisch anspruchsvoll. Ellerkamp sagt: «Bei der Lehrstellensuche wollte meine Mutter, dass ich zur Abschreckung eine körperliche Tätigkeit ausprobiere.» Denn die Tochter wusste zunächst nicht, welchen Beruf sie ergreifen sollte. So machte sie eine Schnupperlehre bei der Tanner GmbH – und blieb zum Erstaunen der Eltern.
Die Lernende steckt ihren Kopf tief in die Pelletheizung und entfernt mit einem Staubsauger Russreste, während Kaminfeger Remo Nater (24) oben das Abzugsrohr überprüft. Pellets, kleine Stäbchen aus gepresstem Sägemehl, sind gemäss Tanner eine gute Alternative fürs Heizöl. Es wäre also auch nach einem allfälligen Ja zum CO2-Gesetz noch nicht Ende Feuer. «Holzfeuerungen sind CO2-neutral und nehmen in den nächsten Jahren zu», sagt Tanner. In der Schweiz nutze man den einheimischen Brennstoff Holz noch viel zu wenig, weil diese Branche keine grosse Lobby habe.
Mit der Änderung der Thurgauer Feuerschutzgesetzes ist dieses Jahr in der Ostschweiz das Kaminfegermonopol gefallen – nach Kantonen wie Luzern oder Solothurn. Waren es bisher Gemeinden, die bestimmten, welcher Kaminfeger in Ortsbauten Heiz- und Lüftungssysteme überprüft, obliegt diese Aufgabe nun jedem einzelnen Hausbesitzer. Das verstärkt den Kampf unter Kaminfegern, was Tanner durchaus als Chance begreift: «Ab 2021 sind wir im ganzen Kanton für Sie tätig», bewirbt er seine Firma neu im Internet.
Das Kreuzlinger Kaminfegergeschäft Tanner ist fast doppelt so gross wie die durchschnittliche landesweite Konkurrenz: Die rund 360 im Verband Kaminfeger Schweiz zusammengeschlossenen Betriebe zählen durchschnittlich je vier Mitarbeiter, was auf eine Gesamtzahl von 1500 Kaminfegerinnen und Kaminfegern schliessen lässt; rechnet man die verbandsunabhängigen dazu, kommt man ungefähr auf 1700. Der Jahresumsatz, den die Branche erwirtschaftet, beläuft sich auf rund 150 Millionen Franken, was etwa dem des Schweizer Buchzentrums oder der Kabelwerke Brugg entspricht.
Ungemein traditionsbewusste Berufsleute
«Etwa die Hälfte der Betriebe ist für die Zukunft gerüstet», sagt Tanner, «in den nächsten zehn Jahren wird viel gehen.» Die Ölheizungen, die jetzt noch installiert werden, seien die letzten, ist Tanner überzeugt. Damit geht die Zeit von «Bäseli ine, Bäseli use» definitiv zu Ende. Tanner hat sich deshalb weitergebildet und ist nicht nur Kaminfegermeister, sondern auch «eidg. dipl. Energie- und Effizienzberater» und hat eine Ausbildung zur Lüftungsreinigung und eine «Hygieneschulung Kat. A» hinter sich.
Ist da Kaminfeger noch die richtige Berufsbezeichnung? Erst Ende Februar sagte der Kaminfeger-Schweiz-Präsident Paul Grässli auf Radio SRF 1, dass sich seine Branchenmitglieder dereinst vermutlich anders nennen werden, «technischer Energiefachmann oder wie auch immer» – und er fügte die Hoffnung an, dass das nicht schon in den nächsten Jahren passieren werde. Denn Kaminfeger sind ungemein traditionsbewusste Berufsleute.
Auch Walter Tanner. Zu Hause wirft er sich fürs Foto in standesgemässe Kleidung, legt ein rotes Tuch um den Hals («in Deutschland wäre es weiss», sagt er) und setzt den Zylinder auf, das Zeichen eines ausgelernten Kaminfegers und früher Eintrittsbillett in noble Häuser. Wahlweise nimmt er Stahldrahtrute, Rollrute oder Kratzer zur Hand – ein stattlicher Anblick. «Seine Begegnung gilt allgemein als gutes Vorzeichen», steht im «Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens» zum Stichwort «Kaminfeger».
Als Grund nennt das Lexikon, «dass die Kaminfegergesellen zu Neujahr die Jahresrechnung in den Häusern einkassierten und unter Glückwünschen Gaben für sich sammelten.» Sie hätten dafür bis in die jüngste Zeit ein Blatt mit einem Kalender überreicht. Dieses Blatt enthalte einen Glückwunsch, wurde auf einer Tür, meist der Schlafzimmertür, befestigt und bot den Bewohnern für das ganze Jahr den Kalender. «Die Kaminfeger waren so die ersten Neujahrsgratulanten.»
Lisa Tetzner erschüttert von «kleinen Schweizer Sklaven»
Tanner sieht noch einen praktischen Grund für das gute Image des Kaminfegers: Der Glücksbringer befreit im wahrsten Sinn des Worts vom Pech – der teerartigen Ablagerung in Kaminen, die sich durch schlechte Verbrennung ergibt und sich entzünden kann. «Kaminfeger bewahren so Häuser vor Bränden», sagt Tanner. Zudem reduzieren sie, so rechnet der Verband Kaminfeger Schweiz vor, durch ihre Reinigungen an wärmetechnischen Anlagen den CO2-Ausstoss um 500'000 Tonnen pro Jahr, was den jährlichen Emissionen von gut 120'000 Schweizerinnen und Schweizern entspricht, etwa so viele, wie in Winterthur ZH leben.
Doch was die einen vom Pech befreit, stürzt die anderen ins Unglück: Der eingangs erwähnte Roman «Oliver Twist» thematisiert das reale Schicksal, das viele Tessiner Knaben im 19. Jahrhundert teilten. Da es in Italien bereits seit dem 14. Jahrhundert steinerne Kamine gibt – früher als in anderen europäischen Ländern –, nimmt auch das Schornsteinfegerhandwerk dort seinen Anfang. Mailand entwickelt sich zum Zentrum von Kaminfegern, und die holen sich bei verarmten Bergbauernfamilien in den Tessiner Tälern kleine Knaben – sogenannte Spazzacamini, die sie zu Reinigungszwecken in Kamine schicken.
«Kleine Schweizer Sklaven» heisst der erschütternde Bericht, auf den die deutsche Kinderbuchautorin Lisa Tetzner (1894–1963) in einer Bibliothek stösst und der sie zu ihrem Bestseller «Die schwarzen Brüder» (1940) anregt: Die Geschichte des kleinen Giorgio aus Sonogno im Verzascatal, der in Mailand als Kaminfeger arbeiten muss und sich mit anderen Jungs verbündet. «Wer sind wir? Die schwarzen Brüder! Was teilen wir? Gut und Blut! Wie lange? Bis an unser Lebensende!»
«Tempi passati!», mag man hier erleichtert ausrufen.
Abdecker
Während der Metzger Tiere schlachtet, suchte der Abdecker einen Bezirk nach Kadavern von Tieren ab, die selber verendet sind. In der Schweiz war für den Abdecker die Berufsbezeichnung «Wasenmeister» noch bis ins 21. Jahrhundert gebräuchlich und verschwand erst mit einer Änderung des Tierseuchengesetzes (TSG) 2013.
Flösser
Um geschlagenes Holz zu transportieren, nutzten die Flösser Flüsse: Sie banden die Baumstämme zu Flössen zusammen und lenkten sie stromabwärts. Unten angekommen liefen die Flösser auf der kürzesten Landstrecke wieder zum Oberlauf – der Aargauer Flösserweg zwischen Laufenburg und Stilli erinnert an diesen Beruf.
Küfer
Die bei uns weniger bekannte Berufsbezeichnung Fassbinder verdeutlicht, was ein Küfer machte – mit Metallreifen band er Holzlatten zu Gefässen zusammen. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erlebte der Beruf einen starken Rückgang: Durch die industrielle Herstellung von Eimern und Wannen aus Blech sank die Nachfrage.
Seiler
Was in Zürich der Seilergraben, ist in Hamburg die Reeperbahn: der Ort, an dem man früher Seile herstellte. Der Seiler spannte zuerst eine Anzahl einzelner sogenannter Reepe und verdrillte oder verflocht diese Reepe später zu dickeren Trossen. Das Standardreep der britischen Marine war über 300 Meter lang.
Wagner
Der Wagner stellte Räder und Wagen aus Holz her. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn im späten 19. Jahrhundert waren seine Fertigkeiten als Waggonbauer begehrt. Seine Kenntnisse benötigte man später auch im Karosseriebau der Autohersteller. Seit der Einführung industrieller Fliessbandfertigung sank die Bedeutung des Berufs.
Abdecker
Während der Metzger Tiere schlachtet, suchte der Abdecker einen Bezirk nach Kadavern von Tieren ab, die selber verendet sind. In der Schweiz war für den Abdecker die Berufsbezeichnung «Wasenmeister» noch bis ins 21. Jahrhundert gebräuchlich und verschwand erst mit einer Änderung des Tierseuchengesetzes (TSG) 2013.
Flösser
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Küfer
Die bei uns weniger bekannte Berufsbezeichnung Fassbinder verdeutlicht, was ein Küfer machte – mit Metallreifen band er Holzlatten zu Gefässen zusammen. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erlebte der Beruf einen starken Rückgang: Durch die industrielle Herstellung von Eimern und Wannen aus Blech sank die Nachfrage.
Seiler
Was in Zürich der Seilergraben, ist in Hamburg die Reeperbahn: der Ort, an dem man früher Seile herstellte. Der Seiler spannte zuerst eine Anzahl einzelner sogenannter Reepe und verdrillte oder verflocht diese Reepe später zu dickeren Trossen. Das Standardreep der britischen Marine war über 300 Meter lang.
Wagner
Der Wagner stellte Räder und Wagen aus Holz her. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn im späten 19. Jahrhundert waren seine Fertigkeiten als Waggonbauer begehrt. Seine Kenntnisse benötigte man später auch im Karosseriebau der Autohersteller. Seit der Einführung industrieller Fliessbandfertigung sank die Bedeutung des Berufs.