Ceballos und seine zwei US-amerikanischen Co-Autoren ermittelten für 515 Arten, dass es bei ihnen jeweils nur noch weniger als 1000 Individuen gibt, wie sie in den «Proceedings» der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA (PNAS) berichteten. Dies seien rund 1,7 Prozent der 29'400 untersuchten Landwirbeltier-Arten.
Vögel am stärksten bedroht
Unter den akut gefährdeten Spezies sind demnach etwa das Sumatra-Nashorn (Dicerorhinus sumatrensis), der Stummelfussfrosch Atelopus varius, der Clariónzaunkönig (Troglodytes tanneri) und der Buntbock (Damaliscus pygargus). 335 der stark bedrohten Arten sind Vogelspezies.
Tropische Gebiete stark betroffen
Die 515 Arten leben laut der Studie hauptsächlich in tropischen und subtropischen Gebieten, die stark unter menschlichen Aktivitäten leiden - die meisten mit 30 Prozent in Südamerika, ein Prozent in Europa. In denselben Gegenden lebe auch die überwiegende Mehrheit der 388 Arten von Landwirbeltieren, von denen es weniger als 5000, aber mindestens 1000 Individuen gebe.
Sechstes Massenaussterben
Nach Ansicht der Forscher erlebt die Erde derzeit ein sechstes Massenaussterben. Dieses beschleunige sich. Zu den menschlichen Aktivitäten, die dabei eine Rolle spielten, gehörten unter anderem die Übernutzung von Ressourcen, die Umweltverschmutzung und der illegale Wildtierhandel.
Seit 1900 seien geschätzt mehr als 540 Landwirbelspezies ausgestorben, so die Forscher. Allein in den kommenden zwei Jahrzehnten könne eine ebenso hohe Zahl folgen. Schätzungen, wonach ein Fünftel aller Arten bis 2050 vom Aussterben bedroht sein könnten, ergäben allmählich Sinn. Dies sei auch für die menschliche Zivilisation eine existenzielle Bedrohung, da Ökosysteme, von denen die Menschheit abhänge, stark verändert würden.
Ohne Feinde keine Beute
Verschwinden Arten, beeinflusst das die Evolution der überlebenden Arten. Verlieren diese ihre natürlichen Feinde, nimmt ihre genetische Vielfalt ab. Dadurch schwindet ihre Anpassungsfähigkeit an die sich verändernde Umwelt, zeigt eine Studie der Universität Zürich.
Experiment mit Fliegen
In einem Feldexperiment in Kalifornien gingen Forschende der Universität Zürich dieser Frage nach. Sie untersuchten, wie sich die Merkmale einer Fliege verändern, wenn ein Teil ihrer natürlichen Feinde verschwindet. Demnach verlieren die Fliegen dadurch ihre vielfältigen Fähigkeiten, sich gegen Feinde zu verteidigen. Die Studie erschien kürzlich im Fachmagazin «Ecology Letters».
Das Experiment führten die Forschenden mit Gallfliegen durch. Diese Fliegenart lebt auf Weidenblättern in zahnförmigen Wucherungen, sogenannten Gallen, die sie im Larvenstadium bildet. Zu ihren Feinden gehören mehrere Arten von Schlupfwespen, die ihre Eier in die Fliegenlarven ablegen und dort ihre Entwicklung durchlaufen. Wenn sie die Galle verlassen, fressen sie die Fliege auf.
Einige Schlupfwespen-Arten greifen die Fliegenlarven an, bevor diese Gallen gebildet haben. Andere parasitieren die Larven später und dringen von aussen in die Galle ein. Letztere hielten die Forschenden im Experiment von den Gallen fern, indem sie diese mit feinen Netzen schützten. Nach drei Monaten sammelten die Evolutionsbiologen etwa 600 Gallen ein und schauten nach, ob die Fliegenlarven überlebt hatten.
Ausserdem untersuchten die Forschenden drei Merkmale, mit der die Fliegen einen Angriff durch Raubparasiten versuchen abzuwehren: die Grösse der Galle, die Anzahl der Fliegen innerhalb einer Galle und das genetische Muster der Weidenbäume, auf der die Fliegen ihre Galle bilden.
Abwehr schwindet
Wurden die Fliegen nicht vor natürlichen Feinden abgeschirmt, nutzten sie unterschiedliche Kombinationen dieser drei Merkmale, um sich vor den Wespen zu schützen. Wenn jedoch ein Teil der natürlichen Feinde fehlte, überlebte die Gallfliege mit dem lateinischen Namen «Iteomyia salicisverruca» nur mit einer ganz bestimmten Kombination der drei Merkmale.
«Dies legt nahe, dass das Aussterben der natürlichen Feinde die Evolution der Fliege in Richtung einer einzigen optimalen Lösung einschränkt», liess sich Studien-Erstautor Matthew Barbourin der Mitteilung der Universität Zürich zitieren. Genetischen Variationen könnten im Erbgut der Fliegen so dauerhaft verloren gehen.
Verlust mit Konsequenzen
Dieser Verlust an Vielfalt könnte Konsequenzen haben: «Eine Vielzahl möglicher Überlebenslösungen dient dazu, die genetische Variabilität für die Merkmale der Gallen zu erhalten», sagte Barbour. Und weil genetische Variation das Rohmaterial für die Evolution liefert, könnte das Wegfallen von natürlichen Feinden die Anpassung der Gallfliegen an künftige Umweltveränderungen erschweren. (SDA)