Darum gehts
- Alte Obstsorten in der Schweiz: Verein Fructus setzt sich für Erhaltung ein
- Vielfalt alter Sorten bietet höhere Widerstandskraft gegen Krankheiten und Klimaveränderungen
- In der Schweiz wachsen noch rund 1200 verschiedene Apfelsorten
Usterapfel, Edelchrüsler oder Wildmuser: So exotisch es klingt, das sind die Namen von Apfelsorten, die in der Schweiz heimisch sind. Heute sind jedoch viele Obstsorten in Vergessenheit geraten und manche sogar bereits ausgestorben.
Der Verein Fructus arbeitet seit 40 Jahren daran, dass alte Obstsorten erhalten bleiben. Im Auftrag des Bundes hat der Verein an verschiedenen Standorten in der Schweiz Obsterhaltungsgärten gepflanzt und pflegt diese. In diesen lebendigen Bibliotheken werden Obstsorten erhalten, die kulturhistorisch für die Schweiz von Bedeutung sind.
Obstgärten als lebendige Bibliotheken
Doch welchen Zweck erfüllen diese Gärten? «Alte Obstsorten sichern einen wertvollen Genpool», sagt Fructus-Projektleiterin Nele Kemper gegenüber Blick. Die grösste Stärke alter Sorten liege gerade in ihrer Unterschiedlichkeit. Diese schaffe insgesamt eine höhere Resilienz gegenüber zukünftigen Herausforderungen wie neuen Krankheiten und Klimaveränderungen.
Heute wachsen in der Schweiz immer noch rund 1200 verschiedene Apfelsorten. Nur ist davon in den Supermärkten nicht viel zu sehen. Dort gibt es in der Regel gerade mal vier bis fünf Sorten, darunter Gala, Golden Delicious, Braeburn, Jonagold oder Pink Lady. Schade, denn alte Sorten sind auch wegen ihrer vielfältigen und oft wertvollen Inhaltsstoffe interessant.
Lebensraum Hochstammbaum
Die Einseitigkeit macht die Bäume zudem anfälliger für Krankheiten und Schädlinge. Mischkulturen mit einer grösseren Sortenvielfalt müssten weniger gespritzt werden. Für die Nachhaltigkeit sind Hochstammbäume auch vorteilhafter, weil sie Lebensräume für nistende Vögel, Insekten, Moosarten und Flechten sind. In den letzten 50 Jahren sind ein grosser Teil der Hochstammobstbäume und damit viele Obstarten verschwunden.
Der beliebteste Apfel der Schweiz, der süsse Gala-Apfel, muss im konventionellen Anbau bis zu 25 Mal behandelt werden, bis er den ästhetischen Ansprüchen des Handels genügt. Das Aussehen spielt eine grosse Rolle, wenn es darum geht, ob ein Apfel gekauft wird.
Raue Schale, weniger Ertrag
Früher galt eine starke und grossflächige Berostung bei Äpfeln als schön. Diese etwas raue Schale, wie man sie vom Boskoopapfel kennt, ist heute ein wenig aus der Mode gekommen. «Viele alte Apfelsorten können den Anforderungen des modernen Handels nicht standhalten», erklärt Nele Kemper.
Zum Beispiel, weil sie nicht ausreichend gut transportiert oder gelagert werden können oder ihre Erträge nicht oder nicht regelmässig genug sind. Wenn die Obstsorten nicht mehr gekauft und angebaut werden, gehen sie verloren. Gemäss Kemper sind besonders Sorten betroffen, die nur lokal verbreitet waren und nicht systematisch dokumentiert oder erhalten wurden.
Die 1100 Fructus-Mitglieder sind Fachleute aus dem Obst- und Gartenbau sowie Laien, die sich für das Thema Förderung der Obstsortenvielfalt und des Hochstamm-Obstbaus interessieren. Der Verein hat sechs Obstsorten ausgewählt, um sie besser bekannt zu machen und 500 Hochstammbäume dieser Sorten zu pflanzen.
Darunter zum Beispiel den Wehntaler Hagapfel, den Niederhelfenschwiler Beeriapfel und die Rote Damason Reinette. Damit das Publikum die wenig bekannten Apfel- und Birnensorten kennenlernen kann, führt Fructus regelmässig Veranstaltungen durch. So hatten die unbekannteren Äpfel zum Beispiel an der Obstsortenausstellung der Expo Fruit Basel oder am jährlichen Herbstmarkt im Botanischen Garten in Zürich Mitte Oktober einen Auftritt.
Birnensorte für Schlorzifladen
Der Verein fördert nicht nur alte Apfel-, sondern auch Birnen-, Pflaumen-, Kirschen-, Nuss-, Aprikosen- und Quittensorten. Als die Toggenburger Schafenbirne als Obstsorte des Jahres 2024 ausgezeichnet wurde, meldete sich ein Produzent, der dachte, dass seine rund 100 Hochstammbäume zu dieser seltenen Sorte gehören. Der Verein Fructus konnte diese Vermutung durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen. Die Schafenbirne ist ein traditioneller Bestandteil des beliebten Toggenburger Schlorzifladens.
So wird mit dem Erhalt der alten Sorten auch ein Stück Kulturgut bewahrt. Denn sie sind Teil der regionalen Geschichte und Identität, erzählen über Traditionen, Landwirtschaft, Esskultur und die Lebensmittelverarbeitung vergangener Generationen. Laut Nele Kemper bieten alte Sorten vielfältige Geschmacksrichtungen, Aromen und Konsistenzen, die im Supermarkt so nicht zu finden sind: «Damit liegt kulinarisch auch viel neues Potenzial in den alten Sorten, beispielsweise im Bereich der Spitzengastronomie.»