Stöbern nach Ortsnamen
Warum mein Wohnort einen komischen Namen hat

Sprachforscher sammeln auf einer Online-Plattform die Ursprünge von Orts- und Flurnamen in der Deutschschweiz. Dort kann jeder danach stöbern, ob sein Dorf mal keltisch war und warum dessen Name zum Beispiel doch nichts mit einer Hose zu tun hat.
Publiziert: 11.03.2019 um 11:22 Uhr
1/4
Schwändi im Kanton Glarus: Der Ortsname weist darauf hin, dass hier im Hochmittelalter intensiv gerodet wurde, was damals nämlich «schwenden» hiess.
Foto: Keystone
Sandro Nydegger @higgsmag

Scherz oder Hosenruck: In der Schweiz gibt es merkwürdige Siedlungsnamen. Meistens ist die ursprüngliche Bedeutung kaum noch erkennbar. So hat «Hosenruck» nichts mit einer verrückten Hose zu tun, sondern bezeichnet einen Berg mit der Form eines Hasenrückens. Scherz wiederum stammt vom keltischen «Skarantia» ab, was so viel wie «wo es steinig ist» bedeutet.

Das Wissen über Ortsnamen ist unzähligen lokalen Wissenschaftlern zu verdanken, die deren Schreibweise mit Hilfe historischer Dokumente über Jahrhunderte nachverfolgt haben. Die meisten Kantone katalogisieren die Forschungsergebnisse in sogenannten Namenbüchern. Diese werden nun in einem Projekt des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und der Schweizerischen Akademie der Sozial- und Geisteswissenschaften (SAGW) zusammengelegt und auf der Webseite ortsnamen.ch veröffentlicht. «Wir versuchen, die verschiedenen Forschungsresultate zu sammeln und einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren», sagt Projektleiter Hans Bickel.

Als die Römer kamen

Auf einer interaktiven Karte können Forschende und Laien nach Orten stöbern, zum Beispiel nach solchen mit ähnlichen Endungen wie «-ingen». Da erscheinen dann Amsoldingen, Zofingen, Wettingen und viele mehr – ein Namenstyp, der hierzulande zwischen 600 und 800 n.Chr. mit der Einwanderung der Alemannen aufkommt. Zusammen mit dem Eigennamen bezeichnet das Suffix «-ingen» eine Sippe, so geht etwa Zofingen aus «Sippe des Zofo» hervor. «Die geografische Verteilung der Namen zeigt, wie sich die alemannischen Sippen während der Völkerwanderung im Schweizer Mittelland und in den Voralpentälern niedergelassen haben», erklärt Hans Bickel. Ins wilde Bündnerland hingegen – auch das zeigt die Karte – wagten sich die Alemannen nicht.

Auf diese Weise können die Forschenden über bestimmte Zeitabschnitte und Regionen Muster entdecken, die ihnen ein Bild über die Besiedelung der Schweiz geben. Eines der ältesten Muster bilden dabei die «-dunum»-Orte: Rund 20 Ortschaften in der Schweiz – beispielsweise Olten (Olodunum) oder Yverdon (Eburodunum) – haben einen Namen, der ursprünglich auf «-dunum» endete. Dieses Suffix bedeutet so viel wie Zaun oder «Burg mit Palisaden» und stammt aus der keltischen Sprache. Es ist also ein Hinweis auf die über 2000 Jahre alten keltischen Ursprünge dieser Orte. Die Namen helfen, die Geschichte der Besiedlung zu verstehen, denn nicht in allen diesen Orten können Archäologen auch keltische Ruinen oder Fundstücke entdecken.

Ortsnamen sind Fenster in die Vergangenheit und weisen auf wichtige Entwicklungen hin, so zum Beispiel den Sieg der Römer über die keltischen Helvetier um die Zeitenwende. Die Romanisierung der Bevölkerung schlug sich in den Ortsnamen nieder: Die Endung «-acum» tritt nun bei vielen Neugründungen auf. Das Suffix steht
für ein Landgut, das verdienten römischen Bürgern vom Imperium verliehen wurde. Das «-acum» ist heute als
«-ach» noch bei vielen Ortsnamen wie Erlach oder Zurzach sichtbar. Ihre Verteilung zeigt die Durchdringung der Schweiz durch den römischen Verwaltungsapparat.

Im Schwändi wurde gerodet

Mit Hilfe der interaktiven Karte können Bickel und seine Kollegen auch spätere regionale Veränderungen sichtbar machen. Im Hochmittelalter beispielsweise gewannen die Menschen durch Rodung Siedlungsflächen, oder wie es damals hiess, durch «schwenden». Ortschaften mit «-schwand» oder «-schwändi» im Namen finden sich darum besonders häufig in den noch wenig erschlossenen Voralpen und Alpen.

«Durch die aktuell rasante Veränderung unserer Natur- und Kulturlandschaft gehen viele alte Orts- und Flurnamen verloren», sagt Hans Bickel, «unsere Arbeit hat darum einen konservierenden Charakter.» Der Germanist und seine Kollegen sind ständig daran, neue Erkenntnisse aus der Namensforschung in die Online-Datenbank einzuspeisen. So kann jeder den Ursprung des Ortes erkunden, etwa in dem er aufgewachsen ist oder in dem er besonders gern zu Besuch ist. Und, wer weiss, vielleicht ungeahnte Ahnen und überraschende Geschichten hinter den teilweise komischen Namen entdecken.

Mehr Wissen auf «higgs» – das Magazin für alle, die es wissen wollen.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?