Digital im Klassenzimmer
Schulen müssen sich grundlegend ändern

Die Digitalisierung verändert unsere Berufswelt. Das beeinflusst auch, was Kinder heute lernen müssen, und vor allem wie und wo sie das tun. Am besten: Nicht mehr nur im Klassenzimmer, sagen einige Pädagogen.
Publiziert: 30.10.2018 um 20:26 Uhr
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Aktualisiert: 30.10.2018 um 20:27 Uhr
Wie im Grossraumbüro: Eine Schülerin arbeitet selbstständig in einem Lernatelier der Sekundarschule Petermoos in Buchs im Kanton Zürich.
Foto: René Ruis
Cornelia Eisenach

Die Atmosphäre gleicht der eines bunten Grossraumbüros: An abgetrennten Tischen wird gearbeitet – hier wird geflüstert, dort wird nebenbei Musik gehört. Kein Arbeitsplatz gleicht dem anderen. Fotos, Post-its und Postkarten zieren die Metallplatten, welche die Schreibtische gegeneinander abgrenzen, auf den Arbeitsflächen liegen persönliche Gegenstände. Stehcomputer sind jederzeit zugänglich, einige Jugendliche haben Laptops auf den Tischen. Lehrer begleiten die individuelle Lernarbeit – hier heissen sie Lern-Coaches.

Wir befinden uns in der Sekundarschule Petermoos in Buchs im Kanton Zürich. Hier verbringen die Schülerinnen und Schüler einen Drittel ihrer Zeit nicht in Klassenzimmern, sondern in Lernateliers. In diesen erfüllen sie selbständig und nach eigener Planung Aufträge, die ihre Lehrer individuell auf sie zuschneiden. Neben dem individualisierten Lernen verfolgt diese Art des Unterricht noch ein ganz anderes Ziel: Die Freude am Lernen zu fördern. Und das ist wichtig, denn in der Schule der Zukunft wird es immer weniger nur um die Vermittlung von Inhalten gehen. Einfach, weil niemand genau weiss, was Kinder später für den Beruf brauchen. Stattdessen wird es immer wichtiger, dass die Kinder sich gut und gerne Neues aneignen.

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten an ihrem individuellen Arbeitsplatz im Lernatelier.
Foto: René Ruis

Ungewisses Wissen

Denn was unsere Kinder in Zukunft wissen und können müssen, sei ungewisser denn je, schreibt der Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari in seinem neuesten Buch «21 Lektionen für das 21. Jahrhundert»: «Wenn Sie 1018 in China lebten, wussten Sie, dass auch im Jahr 1050 die meisten Menschen noch als Bauern und Weber arbeiten würden […]. So lehrten arme chinesische Eltern ihre Kinder 1018, wie man Reis pflanzt oder Seide webt […]. Es war offensichtlich, dass diese Fähigkeiten auch im Jahr 1050 noch benötigt würden.» Tausend Jahre später, das Jahr 2018: Heute ist bei weitem nicht klar, welche Fähigkeiten unsere Kinder im Jahr 2050 brauchen. Denn dann werden Berufe existieren, über die wir jetzt bestenfalls spekulieren: Roboterberater, Abfalldesigner, persönliche Gedächtnisberaterin, Augmented-Reality-Journey-Builder, Datendetektivin, Fitness-Commitment-Counselor und viele mehr.

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Einiges wissen wir aber: Studien zeigen, dass neben Computerfähigkeiten vor allem soziale und analytische Fähigkeiten immer wichtiger werden, sagt Dominik Petko, Prorektor der Pädagogischen Hochschule Schwyz. Zwar blieben komplexe Tätigkeiten vorläufig Aufgabe des Menschen. Aber viele einfachere Tätigkeiten würden künftig mehr und mehr von Computern übernommen. Denn was Computer und digitale Technologien ersetzen können, das werden sie auch ersetzen.

Das bedeutet unter anderem, dass Schülerinnen und Schüler heute lernen müssen, mit Programmen, Algorithmen, Daten und digitalen Medien umzugehen – und dabei soll das neue Modul «Medien und Informatik» helfen. Dieses ist Teil des Lehrplans 21, der als erster gemeinsamer Lehrplan derzeit sukzessive in den Schulen der Deutschschweiz eingeführt wird. «Das ist ein erster Schritt», sagt Dominik Petko. «Informatik und Mediennutzung müssen nun auch fächerübergreifend ein Thema sein.» Denn Digitalisierung bedeute in jedem Fach etwas anderes. In Deutsch geht es nicht mehr nur um Texte und Bücher, sondern um ganz verschiedene Medien wie Websites oder Videos. In Mathematik müsse man nicht mehr nur auf Papier rechnen, sondern auch selbständig mit Programmen und Algorithmen arbeiten können. Dazu müssen in den Schulen Computer und Internet frei zugänglich sein.

Es braucht mehr als nur Tablets

Wer nun aber glaubt, dass die Anschaffung von Smartphones, Tablets und dergleichen reicht, um die Kompetenzen für die digital bestimmte Berufswelt von morgen aufzubauen, der liegt gehörig daneben. Zwar liegen iPad-Schulen und Bring-Your-Own-Device-Konzepte im Trend. Aber solche Hilfsmittel machen nur Sinn, wenn dadurch ein konkretes pädagogisches Ziel erreicht würde, sagt Maja Burkhart, Lehrerin an der Sekundarschule Petermoos in Buchs im Kanton Zürich. «Ich nutze zum Beispiel Smartphones im Französischunterricht, um die Sprachfertigkeit zu überprüfen», sagt Burkhart. Sie bittet ihre Schülerinnen und Schüler, sich selber beim Sprechen auf Video aufzunehmen und ihr dieses dann zu senden. «So haben die Kinder nicht den Druck, vor der Gruppe sprechen zu müssen. Ausserdem kann ich mir so einen besseren Eindruck über ihr Können verschaffen, denn das Video kann ich zurückspulen.» Hier bringen digitale Hilfsmittel also einen konkreten Mehrwert in den Unterricht.

Im Lernatelier darf nur geflüstert werden. Für Teamarbeit und Diskussionen gehen die Schüler und Schülerinnen deshalb nach draussen ins sogenannte Palavrium.
Foto: René Ruis

Aber die Digitalisierung bedeutet nicht nur, dass Schulen digitale Medien nutzen und Medienkompetenz und Grundlagen der Informatik vermitteln müssen. Sie hat noch eine andere, viel grundlegendere Konsequenz: Das Klassenzimmer als Ort der Informationsvermittlung hat wohl ausgedient.

Kinder sollen kreativ denken lernen

Und das nicht nur, weil Lernende sich Informationen heute zu jeder Zeit und an jedem Ort verschaffen könnten, sagt Toni Ritz, Direktor von Educa, der Fachagentur für Bildung und ICT von Bund und Kantonen. «In Zukunft werden zunehmend Kompetenzen wie Kollaborationsfähigkeit, Kreativität, kritisches Denken und Kommunikation über den beruflichen Erfolg entscheiden.» Ein Beispiel: Innovation ist ein wichtiger Treiber der Wirtschaft. Bisher beruhte sie meist darauf, bestehende Geschäftsmodelle oder Produktionsanlagen zu optimieren oder zu perfektionieren. «Solche Arbeiten werden künftig hauptsächlich von Robotern und Systemen mit künstlicher Intelligenz übernommen», sagt Ritz. «Was solche Systeme allerdings nicht können, ist kreativ zu sein.» Und das brauche man, um disruptive Geschäftsmodelle wie Uber oder AirBnB, die heute die Innovation treiben, zu entwickeln. Daher sei es wichtig, dass Kompetenzen wie Kreativität, und Expeditionsgeist sowie eine Fehlerkultur gefördert würden, so Ritz. «Solche Kompetenzen werden kaum im Frontalunterricht erlernt.» Auch Dominik Petko glaubt, dass künftig Projektarbeit und die Arbeit in Teams in der Schule an Bedeutung gewinnen dürften.

Braucht ein Schüler bei seinen Aufträgen Unterstützung, so zeigt er dies mit einem Rettungsring, den er an sein Namensschild heftet.
Foto: René Ruis

Wie genau die Schule der Zukunft aussehen soll – das weiss keiner so genau. Aber in dem uneinheitlichen Bildungssystem der Schweiz werden viele Ansätze in einzelnen Schulen erprobt. Wie eben zum Beispiel in der Schule Petermoos in Buchs. Die öffentliche Schule hat ihr Lernlandschaftsmodell mit individuellen Arbeitsplätzen und speziellen Orten für Teamarbeit schon vor Jahren eingeführt und dafür 2015 auch den Schweizer Schulpreis bekommen.

Die Kids arbeiten häufig am Laptop.
Foto: René Ruis

Klar ist, dass die Neuerungen durch die Digitalisierung noch nicht zu Ende sind. Dass sich also unsere Kinder in Zukunft immer wieder weiterbilden müssen. Dass sie sich immer wieder mit neuen Technologien auseinandersetzen müssen. Die Freude daran soll ihnen schon die Schule mitgeben. Denn die Zukunft mag zwar so ungewiss sein wie nie zuvor. Der stetige Wandel jedoch ist eine der wenigen Gewissheiten.

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