Darum gehts
Geht es um Beziehungen, genauer um deren Ende, macht Autor Thomas Meyer (51) immer wieder mit provokanten Thesen von sich reden. Dass eine kürzlich veröffentlichte Umfrage Fremdgehen vor Auseinanderleben als häufigsten Scheidungsgrund nennt, erstaunt den Trennungscoach indes nicht.
Herr Meyer, ist Fremdgehen die logische Folge des Auseinanderlebens?
Thomas Meyer: Die logische Folge wäre, sich offen über die Gründe zu unterhalten und eine gemeinsame Entscheidung für die Zukunft zu treffen. Weil das aber anstrengend, schmerzhaft und darum unpopulär ist, ist Fremdgehen tatsächlich die in diesem Sinn logische Folge.
Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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Warum gehen wir fremd?
Wir haben nebst körperlichen auch seelische Grundbedürfnisse: Wertschätzung, Intimität, Sicherheit und Lustgewinn. Fehlt das in der Beziehung, ist das Outsourcing naheliegend. Aber es führt zu erheblichem Stress und schweren Zerwürfnissen.
Fremdgehen oder nicht – eine Typ-Frage?
Ich finde schon. Es gibt Leute, die kommen nicht mal auf die Idee, sich für andere Bedürfnisse als die eigenen zu interessieren.
Kann man «happy in love» sein und trotzdem fremdgehen?
Nein. Wozu?
Wegen des Kicks?
Wer wegen des Hochgefühls fremdgeht, hat meiner Meinung nach ein Suchtproblem.
Warum sollten sich Paare rechtzeitig trennen, also vor dem Fremdgehen?
Man vermeidet so Verletzung und Streit, der das Potenzial hat, zum Krieg auszuarten. Davor sind vor allem die Kinder zu schützen. Aber es erfordert ehrliche Kommunikation. Die ist immer der Schlüssel.
«Ich liebe dich nicht mehr» – warum fällt es so schwer, diesen Satz zu sagen?
Weil er extrem schlecht ankommt. Allerdings geht es nicht darum, den anderen zu schonen, wie wir uns gern einreden, sondern sich selbst. Wir wollen von niemandem als schlechter Mensch angesehen werden. Ob wir uns wie einer verhalten, scheint das viel geringere Problem zu sein.
Wer tut sich schwerer damit, Beziehungsprobleme anzusprechen – Mann oder Frau?
Ich habe Hunderte von Zuschriften erhalten, fast alle von Frauen. Auch die Coachings waren vornehmlich mit Frauen. Sie sind in meinen Augen beziehungsinteressierter und -seriöser. Männer haben oft einen geringeren Anspruch an die Beziehung. Die meisten sind schon zufrieden, wenn das Essen auf dem Tisch steht und keine Fragen gestellt werden.
Wie zeigt sich, dass man sich auseinandergelebt hat?
Wenn das mögliche Ende der Beziehung seinen Schrecken verloren hat. Oder sogar an Reiz gewonnen.
«Auseinandergelebt» heisst «nicht mehr lieben»?
Ich würde schon meinen! Es ist übrigens nicht schlimm, wenn das passiert. Schlimm ist, dass viele trotzdem nichts ändern, weil sie die Konsequenzen so fürchten. Angst ist eine starke Hemmkraft.
Viele scheuen die Aussicht, nach einer Trennung finanziell kürzertreten zu müssen und weniger komfortabel leben zu können.
Mit gutem Grund! Frauen, die für die Mutterschaft beruflich zurückgesteckt haben, stehen nicht gut da, wenn er Ernährer wegfällt. Viele landen bei der Sozialhilfe. Und getrennte Väter werden oft aus reinen Rachegründen ausgequetscht. Sie zahlen Tausende Franken pro Monat und sehen ihre Kinder kaum noch.
1974 in Zürich geboren, war Thomas Meyer Jusstudent und Werbetexter, bevor er den Entwicklungsroman «Wolkenbruch» und den Ratgeber «Trennt euch!» schrieb. Einige Jahre arbeitete er als Trennungscoach. Heute ist er Reallehrer und schreibt an einem neuen Buch. Er hat einen 13-jährigen Sohn.
1974 in Zürich geboren, war Thomas Meyer Jusstudent und Werbetexter, bevor er den Entwicklungsroman «Wolkenbruch» und den Ratgeber «Trennt euch!» schrieb. Einige Jahre arbeitete er als Trennungscoach. Heute ist er Reallehrer und schreibt an einem neuen Buch. Er hat einen 13-jährigen Sohn.
Also lieber bequem als glücklich?
Das ist eine persönliche Entscheidung. Für mich war es nie eine Option. Ich fand Missstimmung immer unerträglich. Ausserdem bin ich der Überzeugung, dass man sie einem Kind nicht antun darf. Es lernt sonst, dass Beziehungen freudlos sind.
Hilft eine neue Liebe, sich aus der Ehe zu verabschieden?
Es macht im Gegenteil alles viel komplizierter: Man beginnt etwas Neues, obwohl das Alte noch nicht beendet, geschweige bewältigt worden ist. Aus Rücksicht gegenüber sich selbst, seinen Kindern und künftigen Partnerinnen oder Partnern ist man aufgefordert, sein Leben erst wieder in geordnete Bahnen zu lenken.
Sie vertreten die These: Wenn es nicht passt, wird es nie passen.
Das sehe ich immer noch so. Es braucht zum Passen sehr viel, aber wir ignorieren das in der Partnerwahl, nach dem Motto: Das kommt schon gut. Vermutlich ein Trick der Biologie. Würden wir nachdenken, bevor wir intim werden, wären wir wohl längst ausgestorben.
Warum lässt sich die Liebe nicht wie ein abgelaufener Schuh wieder neu sohlen?
Weil die Liebe nicht besonders robust ist. Man kann sie mit einem einzigen Satz zerstören. Durch gebrochenes Vertrauen sowieso. Emotionale Schäden sind irreparabel, sie bleiben für immer im Raum.
Wie lebt man eine zeitgemässe Ehe?
Indem man sich selbst fragt, was wirklich zu einem passt. Moral und Erziehung sind starke Stimmen, die vieles übertönen. Zeitgemäss ist es übrigens auch, sich nicht zur Ehe verpflichtet zu fühlen. Sie ist ein patriarchales Instrument.
Und welche Beziehungen halten?
Entweder jene, in denen sich beide parallel entwickeln, oder jene, in denen beide zu hasenfüssig sind, einen Schlussstrich zu ziehen.
Sollte man bereits bei der Eheschliessung darüber sprechen, wie man die Ehe beenden will?
Das gilt für jede Beziehung. Man braucht einen Notfallplan. Wie würden wir das machen? Was wären die Gründe? Was würde erstens, zweitens, drittens passieren? Darüber redet kaum jemand, und wenn es dann passiert, sind die Handlungen nur noch emotional und instinktiv.
Die Schweiz ist mit rund 40 Prozent eine Nation mit hoher Scheidungshäufigkeit. Und doch ist über die Hälfte der Heiratenden davon überzeugt, dass die eigene Ehe halten wird. Sind wir romantisch, naiv oder dumm?
Man könnte auch sagen: 40 Prozent haben den nötigen Mut. Und es heisst mitnichten, dass die anderen 60 Prozent glücklich sind. Dass wiederum nur 50 Prozent der Heiratenden überzeugt sind, zusammenzubleiben, darf man als Zeichen eines modernen Realismus deuten. Wir sind eindeutig zu romantisch und zu naiv. Aber das würde ich nicht dumm nennen, sondern menschlich.