Die Gen Z und ihre Angst vor Intimität
«Beim Sex gibt es keinen Instagramfilter»

Zwischen Frauenpower und Tradwives, Bodyshaming, Situationships und Romanzen mit Chatbots: Die Gen Z tickt in der Liebe ganz anders als alle vor ihr. Jugendforscher Simon Schnetzer über eine Generation ohne Mainstream, aber mit unzähligen Möglichkeiten.
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Jugendforscher Simon Schnetzer (r.) und sein Team fühlen der Gen Z immer wieder in Umfragen und Studien den Puls.
Foto: Kroesing Media Group // Dietrich Kühne

Darum gehts

  • Gen Z hat vielfältige Beziehungsvorstellungen und Ängste in der digitalen Welt
  • Situationships zeigen Schwierigkeit, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen
  • Ein Drittel der amerikanischen Gen Z war romantisch mit KI involviert
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sandra CasaliniRedaktorin Gesellschaft

Blick: «Vogue»-Autorin Chanté Joseph brachte kürzlich einen Stein ins Rollen, indem sie schrieb, es sei für junge Frauen heute peinlich, einen Freund zu haben.
Simon Schnetzer:
So eine Aussage kann man nicht generell treffen. Es ist heute schwieriger, sich mit einem anderen Menschen zu zeigen, da dieser sofort online abgecheckt wird. Die Meinung des Freundeskreises über jemanden wird sehr stark von Social Media beeinflusst. Es braucht sehr viel Selbstbewusstsein, sich in so einem Umfeld für jemanden zu entscheiden.

Gleichzeitig romantisieren junge Tradwives auf Tiktok erfolgreich ein Leben wie in den 1950ern. Wie reagieren junge Frauen auf diese Bandbreite an Beziehungsvorbildern?
Ich bin gar nicht so sicher, ob diese Romantisierung wirklich das traditionelle Rollenbild der Frau reflektiert. Ich denke vielmehr, die Nostalgie bezieht sich auf ein Leben, das einfacher war als das heutige. Ich würde daraus nicht folgern, dass junge Frauen auf Machos stehen.

Allgemein scheinen Studien über die Gen Z oft recht widersprüchlich. Gibt es überhaupt so etwas wie einen Mainstream?
Im Gegensatz zu vorherigen Generationen, haben die jungen Menschen der Gen Z unzählige Möglichkeiten, wer sie sein und mit wem sie sich identifizieren möchten. Egal, wofür sie sich entscheiden, sie finden irgendwo eine Gruppe, die gleich tickt, bei der sie Akzeptanz finden. Auf der anderen Seite ist jeder Aspekt des Seins dank Social Media von Sichtbarkeit geprägt, noch nie hatte eine Generation so viel Angst, ihre Aussenwahrnehmung falsch zu gestalten und sich dadurch angreifbar zu machen. Von dem her gesehen gibt es keinen allgemeingültigen Mainstream, jede Gruppierung hat ihren eigenen. Ich würde das Bubble-Mainstreams nennen.

Apropos Bubble: Zu kaum einem anderen Zeitpunkt der Geschichte drifteten junge Frauen und Männer politisch so auseinander wie heute. Was hat das für einen Einfluss auf ihre Einstellung zu Beziehungen?
Die gesellschaftliche Spaltung ist ganz allgemein eine der grössten Sorgen der Gen Z. Es ist aber bei weitem nicht so, dass die jungen Männer ausschliesslich rechts und die Frauen links wählen. Es gibt in beiden Segmenten genügend Datingmöglichkeiten, deshalb glaube ich nicht, dass die vermeintliche politische Spaltung zu einer massiven Veränderung des Beziehungsverhaltens führt. Es ist übrigens ein grosses Anliegen der Jugendforschung, diesen Spaltungen entgegenzuwirken, Brücken zu bauen und Verständnis zwischen den Generationen zu schaffen.

Forscher und Brückenbauer

Geboren und aufgewachsen im deutschen Kempten im Allgäu studierte Simon Schnetzer (46) zunächst Volkswirtschaft. 2004 ging er in die Forschung und war unter anderem Nachhaltigkeitsbeauftragter der Uno. Seit 2010 ist Schnetzer als Jugendforscher selbständig und veröffentlicht mit seinem Team regelmässig namhafte Jugendstudien. Zusätzlich ist er als Speaker und Leadership-Coach tätig. Simon Schnetzers Mission: «Ich möchte mein Wissen und meine Arbeit dazu nutzen, um ein besseres Generationenmiteinander zu gestalten.»

Simon Schnetzer ist seit gut 15 Jahren in der Jugendforschung tätig.
Kroesing Media Group // Dietrich Kühne

Geboren und aufgewachsen im deutschen Kempten im Allgäu studierte Simon Schnetzer (46) zunächst Volkswirtschaft. 2004 ging er in die Forschung und war unter anderem Nachhaltigkeitsbeauftragter der Uno. Seit 2010 ist Schnetzer als Jugendforscher selbständig und veröffentlicht mit seinem Team regelmässig namhafte Jugendstudien. Zusätzlich ist er als Speaker und Leadership-Coach tätig. Simon Schnetzers Mission: «Ich möchte mein Wissen und meine Arbeit dazu nutzen, um ein besseres Generationenmiteinander zu gestalten.»

Beim Thema Sexualität tickt die Gen Z ganz anders als die Generationen zuvor. Sie lehnt One-Night-Stands ab und hat deutlich weniger Sex als zum Beispiel die Millennials. Woran liegt das?
In Zeiten von Social Media und Bodyshaming ist es schwer geworden, sich auf Sexualität einzulassen – beim Sex gibts keinen Instagramfilter, den man drüberlegen kann. Da geht es nicht mehr um schöne Bilder, sondern sprichwörtlich um nackte Tatsachen. Das löst in vielen jungen Menschen Ängste aus. Körperliche Intimität erfordert ein gewisses Mass an Vertrauen, und vor diesen Hintergründen ist es nicht so einfach, dieses aufzubauen.

Diese Generation prägt eine neue Beziehungsform, die sogenannten Situationships: Man ist zusammen, definiert sich aber nicht als festes Paar. Ein Ausdruck für die Sehnsucht nach Sicherheit ohne die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen?
Ich glaube, es ist eher ein Ausdruck für die Schwierigkeit, Entscheidungen zu treffen. Sich zu einer Partnerschaft mit einem anderen Menschen zu bekennen, erscheint als wahnsinnig grosser Schritt. Man hat so viele Möglichkeiten und ständig das Gefühl, sich Chancen zu verbauen. Und wenn man dann mal eine Entscheidung getroffen hat, hinterfragt man sie Dutzende Male.

Könnte das ein Grund sein, dass Heiraten und Familiengründung nicht mehr gross im Trend sind?
Es spielt vielleicht eine Rolle, aber nicht nur. In einer Zeit, die geprägt ist von Krisen, finanziellen Sorgen und Zukunftsängsten, haben viele junge Menschen das Gefühl, nicht einmal das eigene Leben auf die Reihe zu bekommen. Da kann man sich kaum vorstellen, noch die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen.

Ein Drittel der amerikanischen Gen Z gibt an, schon mal romantisch mit KI involviert gewesen zu sein. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Romantik ist eine weitere Entwicklung in der Interaktion zwischen Mensch und KI. Chatbots sind ständig verfügbar, und die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Man kann mit ihnen nicht nur sexuelle Fantasien ausleben, sondern auch intime Themen und Sorgen teilen, und nichts davon wird öffentlich sichtbar. Die Kommunikation ist einfach, man muss weder mit Kritik noch mit Ablehnung klarkommen.

Aber es kann doch auf Dauer nicht befriedigend sein, das gute Gefühl immer nur von einer Maschine vermittelt zu bekommen.
Sie haben recht – wenn man davon ausgeht, dass menschliche Interaktion wertvoller ist als die mit KI. Dies wird eine der grossen Herausforderungen für die kommenden Generationen sein: Kommunikation im realen Leben, aus der Anonymität herauskommen. Die Fähigkeiten im Umgang mit Menschen nicht verkümmern lassen, sich mit anderen auseinandersetzen, mit Ablehnung umgehen lernen, verstehen, dass Ablehnung nicht heisst, dass man keinen Wert hat. Seine Komfortzone zu verlassen, wird künftig vermehrt bedeuten, nicht die einfache Interaktion mit KI zu wählen, sondern die mit Menschen.


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