Die britische Regierung will den Zugang zu Internetpornos einschränken, um Analsex einzudämmen. Macht das Sinn?
Wenn sich eine Beschränkung allein um Analsex dreht, dann ist sie Quatsch. Das lässt es so aussehen, als ob diese Praktik in irgendeiner Form böse oder verwerflich wäre. Gegen Analsex ist nichts einzuwenden, wenn ihn beide Partner wollen und geniessen. Die Experten, die sich für eine Einschränkung einsetzen, haben bestimmt nicht primär oder sogar allein Analsex im Visier.
Sondern?
Es geht darum, zu verhindern, dass Pornos zu einem ominpräsenten Standard werden, was Sexualität angeht. Es ist richtig, dass wir uns als Gesellschaft Gedanken drüber machen, ob wir weiter wollen, dass Pornos derart leicht zugänglich sind. Lange herrschte unter Pornokonsumenten – und das sind sehr, sehr viele – eine unverhohlene Euphorie, wie herrlich praktisch es ist, dass man leicht und erst noch gratis diese Clips sehen kann. Diese Verfügbarkeit hat aber auch Schattenseiten. Pornos können falsche Standards setzen, und wir müssen überlegen, welche Bezugsmöglichkeiten wir wirklich wollen.
Sind Pornos also gefährlich?
Nicht per se. Die Dosis ist das Gift. Pornos können absolut zu einer erfüllten, liebevollen und smarten Sexualität gehören. Egal, ob es um die Paar- oder die Solosexualität geht. Aber neben der Menge spielt auch eine Rolle, in welchem Alter Pornos konsumiert werden können. Stellen sie sich vor, Primarschüler könnten auf dem Pausenplatz problemlos eine Wodkaflasche herumreichen und sich daraus bedienen. Da schauen wir auch nicht einfach weg. Dass Schüler auf ihren Handys Pornos gucken können, wird, auch aus Überforderung, oft hingenommen.
Wie verhindert man das?
Das ist eine sehr gute Frage, um die wir uns als Gesellschaft kümmern müssen. Vermutlich wird es nicht ohne eine gewisse Einschränkung gehen. Man muss sich vor Augen führen, wie sehr sich die Zugänglichkeit von Pornos in unserer Gesellschaft verändert hat. Noch vor wenigen Jahren musste man einige Hürden überwinden, um nur schon an ein Sexheftli zu kommen. Heute kann man mit wenigen Klicks auf seinem Smartphone hartes Material in uneingeschränkter Menge sehen. Egal, wie alt die konsumierende Person ist, egal, welche sexuelle Kompetenz sie hat.
Weshalb spielt die sexuelle Kompetenz eine Rolle? Sie ändert am gezeigten Material nichts.
Aber an der Art, wie ich sie bewerte. Wenn ich eine Pornoszene sehe und mir bewusst bin, dass das inszenierter Sex ist, dann kann ich diese Szene auf eine andere Art in meine persönliche Sexualität integrieren, als wenn ich glaube, dass das Gezeigte eine Art Dokumentarfilm oder gar Anleitung ist. Sexuelle Kompetenz besteht aus Dingen wie Wissen und Geniessen, aber auch Abgrenzen und Nein sagen. Pornos sind nichts für sexuelle Einsteiger. Ich bin überzeugt: Dafür setzen sich die britischen Experten ein. Nicht für einen Kreuzzug gegen Analsex, wie es jetzt seitens der Regierung dargestellt wird.
Wieso gerät dann eine einzelne Praktik ins Visier?
Gut möglich, dass hinter der Haltung der Regierung auch einfach eine verkorkste Kommunikation steckt. Es ist leichter, sich auf eine einzelne Praktik zu stürzen, die für viele Leute tatsächlich ein Tabu und nicht wirklich eine Option ist.
Warum liebäugelt gerade die britische Regierung mit einem Bann?
Weil es im Königreich viel zu tun gibt in Sachen Sexualität. Grossbritannien war lange ein Negativbeispiel, was sexuelle Edukation angeht: Der Staat bot diesbezüglich viel zu wenig. Also holten sich die Jugendlichen die Informationen eben selbst. Die Teenagerschwangerschaften waren und sind im Vergleich mit anderen Ländern hoch. Sexuelles Interesse geht nicht einfach weg, nur weil man nicht darüber spricht. Und wo sieht man auf Knopfdruck Sex, wenn man keine Informationen bekommt? In einem Pornoclip. Und der setzt dann Standards. Wenn ein Zuschauer keine Ahnung hat von echtem Sex, ist es logisch, dass er glaubt, es sei normal, einer Frau ins Gesicht spritzen zu dürfen oder dass er sie ohne Vorwarnung und Vorbereitung in einem Stellungsgehopse auf jede erdenkliche Art penetrieren kann. Die jungen Männer saugen diese Bilder meist offen und dankbar auf und sie hoffen auf eine baldige Umsetzung. Bei den jungen Frauen bleibt eher ein flaues Gefühl zurück. Sie sind unsicher, ob sie das nun wirklich mitmachen und auch noch geniessen sollen.
Kann man aus Pornos auch etwas lernen?
Ich finde: durchaus. Aber nur, wenn man ein solides sexuelles Grundwissen hat und sich abgrenzen kann. Es braucht einen Kompatibilitätscheck mit den eigenen Wünschen, damit Inspiration passieren kann. Ausserdem darf man sich in sinnvoller Dosis bei einem Porno auch mal einfach einen Kick holen, ohne dass mehr dahinter steckt. Auch das gehört zu gutem Sex. Gerade in Bezug auf Analsex sind Pornos aber übrigens eine absolut miese Anleitung. Man kann, pardon, nicht einfach nur losvögeln und dann ist alles toll. Für tollen Analsex braucht es eine umsichtige und langsame Vorbereitung. Für Pornos sind die Vorbereitungen übrigens oft noch länger, als im Privaten, weil die Praktiken und Ansprüche extremer sind. Aber das wird dann natürlich rausgeschnitten.
Brauchen wir sexuelle Lehrfilme statt Pornos?
Warum sollte man sexuelles Wissen nicht auch in bewegten Bildern vermitteln können? Die Nachfrage wäre da. Aufgeschlossene Männer und Frauen in gestandenem Alter schicken immer noch sehr viele Fragen in die Sexberatung, wie etwas geht. Gleichzeitig plädiere ich immer auch dafür, dass Zurückhaltung und Grenzen beim Sex oft wichtig sind. Eine gute Anleitung muss keine Geschlechtsteile in Grossaufnahme beinhalten. Vieles lässt sich mit Sprache vermitteln. Das erlaubt eine Distanz, die ganz wichtig sein kann. Sexualität ist etwas Individuelles. Auch wenn es darum geht, sie zu erforschen.