90 Jahre Antibiotika
Die Wunderwaffe der Medizin verliert ihre Wirkung

Antibiotika sind ein Segen für die Menschheit, aber die Waffe gegen tödliche Infektionen droht 90 Jahre nach der Entdeckung des Penicillins stumpf zu werden. Die WHO schlägt Alarm.
Publiziert: 20.09.2018 um 15:00 Uhr
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Aktualisiert: 20.09.2018 um 14:17 Uhr
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Antibiotika, die Wunderwaffen der Medizin, stammen von bodenbewohnenden Mikroorganismen wie dem Schimmelpilz Penicillium, der das Penicillin produziert
Foto: Keystone

Krebstherapien, Kniegelenkersatz, eine neue Niere - was für Millionen Patienten weltweit selbstverständlich scheint, wäre ohne die Entdeckung von Antibiotika vor 90 Jahren weitaus riskanter. Mit solchen Substanzen werden lebensgefährliche Bakterien, die sich bei Eingriffen verbreiten können, in Schach gehalten. «Zweifellos eine der wichtigsten Entdeckungen der Medizingeschichte», sagt Marc Sprenger von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf.

Immer mehr Keime sind resistent

Seit einigen Jahren aber schlagen Gesundheitsexperten Alarm, weil die Waffe gegen tödliche Infektionen stumpf zu werden droht. Die Zahl der Resistenzen gegen Antibiotika wächst rasant, viele Bakterien lassen sich nicht mehr kleinkriegen - und Schuld daran ist zum grossen Teil der Mensch selbst. Was passiert, wenn die Länder das Problem nicht bald in den Griff bekommen?

«Im schlimmsten Fall sterben Menschen wieder an einfachen Infektionen etwa der Blase oder an Lungenentzündung oder Sepsis, weil die Medikamente nicht wirken», sagt Sprenger, der die WHO-Abteilung für den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen leitet. In der EU sind nach einer Expertenschätzung schon vor zehn Jahren 25'000 Menschen im Jahr an einer Infektion mit Bakterien gestorben, die gegen die eingesetzten Antibiotika resistent waren.

Was sind multiresistente Keime?

Seit der ersten kommerziellen Verwendung von Penicillin zu Beginn der 1940er Jahre ging man davon aus, dass bakterielle Infektionskrankheiten keine Gefahr mehr für die Menschheit bedeuten.

Doch die Bakterien erwiesen sich als hartnäckige Überlebenskünstler, sie sind in der Lage Widerstandsfähigkeiten gegen die in der Behandlung verwendeten Antibiotika zu entwickeln.

Die Entwicklung solcher Resistenzen befolgt dabei die Regeln der Evolution. Diejenigen Bakterien die sich am besten Anpassen können - in diesem Fall mit Resistenz gegenüber dem Antibiotikum - überleben die Therapie und geben ihre Unempfindlichkeit an die nächste Generation weiter.

Durch den übermässigen und teilweise fehlerhaften Einsatz von Antibiotika haben sich gewisse Bakterien in den letzten Jahren so entwickelt, dass sie gegen fast alle der gängigen Antibiotika resistent sind. Sie sind also multiresistent.

Seit der ersten kommerziellen Verwendung von Penicillin zu Beginn der 1940er Jahre ging man davon aus, dass bakterielle Infektionskrankheiten keine Gefahr mehr für die Menschheit bedeuten.

Doch die Bakterien erwiesen sich als hartnäckige Überlebenskünstler, sie sind in der Lage Widerstandsfähigkeiten gegen die in der Behandlung verwendeten Antibiotika zu entwickeln.

Die Entwicklung solcher Resistenzen befolgt dabei die Regeln der Evolution. Diejenigen Bakterien die sich am besten Anpassen können - in diesem Fall mit Resistenz gegenüber dem Antibiotikum - überleben die Therapie und geben ihre Unempfindlichkeit an die nächste Generation weiter.

Durch den übermässigen und teilweise fehlerhaften Einsatz von Antibiotika haben sich gewisse Bakterien in den letzten Jahren so entwickelt, dass sie gegen fast alle der gängigen Antibiotika resistent sind. Sie sind also multiresistent.

Entdeckung von Penicillin

Rückblende. 1928, als einfache Wundinfektionen oder Diphtherie, Lungenentzündung und Tuberkulose für Patienten oft ein Todesurteil waren: Ein schottischer Bakterienforscher merkt nach der Rückkehr aus dem Urlaub, dass sich auf einer Bakterienkultur in seinem Labor ein Schimmelpilz gebildet und die Bakterien vernichtet hat. Der Pilz heisst Penicillium. Alexander Fleming (1881-1955) ist sich seiner bahnbrechenden Entdeckung sofort bewusst. Es dauert aber noch 14 Jahre, bis das erste Penicillin auf den Markt kommt. Fleming erhält 1945 den Medizinnobelpreis.

Ärzte verschlimmern Resistenzproblem noch

Nach dem Penicillin werden weitere gegen Bakterien wirkende Verbindungen gefunden. Doch Bakterien entwickeln auf uralten und natürlichen Wegen Überlebensstrategien gegen Substanzen, die ihnen schaden. Sie werden resistent. Aber auch Ärzte, Patienten und Bauern tragen zu dem Problem bei. Bauern, weil sie Antibiotika lange flächendeckend in der Massentierhaltung eingesetzt haben und teils noch einsetzen, um ihre in der Enge anfälligeren Tiere vor Seuchen zu schützen. Die Antibiotika gelangen über das Fleisch in die Nahrungskette des Menschen und erlauben es Bakterien, sich daran zu gewöhnen.

In der Schweiz zeichnet sich in den letzten zwei Jahren eine gewisse Sensibilisierung unter Tierhaltern und Tierarztpraxen ab. Zumindest ging der Verkauf von Antibiotika für Tiere zurück.

Auch Ärzte und Patienten tragen zum Problem bei. «Es ist ein kulturelles Phänomen», sagt Sprenger. «Auch, wenn viele Infektionen eigentlich nach ein paar Tagen von selbst weggehen, verlangen Patienten oft nach Antibiotika und Ärzte sind zu schnell dabei, ihre Wünsche zu erfüllen.» Während ein Arzt in Westeuropa Patienten inzwischen oft beruhigen und auch mit Hausmitteln nach Hause schicken könne, verlangten Patienten in ärmeren Ländern, die für einen Arztbesuch aus eigener Tasche bezahlen, häufig nach Medikamenten.

Geographische Unterschiede

Schon innerhalb der EU sind die Unterschiede drastisch: In Süd- und Mitteleuropa - etwa Spanien, Italien, Griechenland, Ungarn, Rumänien, Polen - sind teils schon weit über 50 Prozent bestimmter Bakteriengruppen gegen einzelne Antibiotika resistent. In Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien sind es meist deutlich unter zehn Prozent. In Griechenland und Zypern liegt der Verbrauch von Antibiotika pro 1000 Einwohnern etwa doppelt so hoch wie in Deutschland.

In manchen Ländern sind Antibiotika gar an der Strassenecke oder auf den Markt erhältlich. In anderen werden die Wirkstoffe von skrupellosen Geschäftemachern verdünnt. Ein falsches oder unwirksames Mittel oder eine falsche Dosierung sorgen aber dafür, dass Bakterien sich an die Medikamente anpassen, dass sie überleben.

Nötig wären neue Wirkstoffe und Regulierungen

Nötig wären neuartige Wirkstoffe mit neuen Wirkmechanismen, sagt Sprenger. Die Wissenschaft habe aber seit 30 Jahren praktisch keine neuen Angriffsflächen mehr gefunden. «Es sind neue Medikamente in der Forschungspipeline, aber wahrscheinlich haben wir in fünf bis sieben Jahren nur noch ein oder zwei potenzielle neue Präparate», sagt Sprenger. Die Grundlagenforschung ist teuer und der Aufwand, ein Präparat zu entwickeln, das später möglichst wenig eingesetzt wird, lohnt sich für Pharmafirmen eher nicht.

«Wir brauchen starke Gesundheitssysteme, damit Antibiotika nur über Ärzte nach Abklärung der Notwendigkeit ausgegeben werden», sagt Sprenger. Dabei müssten reiche Länder die ärmeren unterstützen. Die WHO verstärke Aufklärungskampagnen für Ärzte und Patienten. In Indien und China, wo viele der Antibiotika hergestellt werden, seien Rückstände aus Fabriken teils in die Umwelt gelangt. Inzwischen seien sich die Länder des Problems bewusst und kümmerten sich. (SDA)

Neue Antibiotika aus Ameisen

Eine Ameise im Kampf gegen die Bakterien. Eine kenianische Art hat es über Nacht zur Berühmtheit gebracht: Tetraponera penzigi. Die Insekten sind von der neu entdeckten Bakterienart Streptomyces formicae besiedelt. Aus diesen konnten Wissenschaftler des John Innes Centre und der University of East Anglia in Norwich die neue Antibiotika-Klasse der Formicamycine isolieren. Der lateinische Ausdruck für Ameise, formica, stand für den Namen Pate.

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