Darum gehts
- Lipödem ist eine chronische Erkrankung mit Fettgewebeeinlagerungen und betrifft hauptsächlich Frauen
- Behandlungsmöglichkeiten sind Lymphdrainagen, Kompressionsstrümpfe und operative Eingriffe
- Auf Social Media wird die Erkrankung sichtbar gemacht und diskutiert
Plötzlich zeigen sich junge Frauen auf Instagram oder Tiktok mit blauen Flecken an den Beinen, erzählen von Schmerzen – und von ihrer Lipödem-Diagnose. Die Fettverteilungsstörung, die lange kaum jemand kannte, wird auf Social Media aktuell zum Trendthema. Tausende hoffen: Endlich eine Erklärung für die Problemzonen, gegen die keine Diät hilft.
Während die einen ihre Erfolge mit Ernährungsumstellung und Sport feiern, zeigen die anderen ihre OP-Geschichte. Denn: Eine Fettabsaugung ist die einzige Möglichkeit, das kranke Fettgewebe dauerhaft zu entfernen.
Lipödem ist nicht nur ein ästhetisches Problem – die Fettverteilungsstörung belastet mit Schmerzen und schränkt die Lebensqualität ein. «Zu 99 Prozent trifft die Erkrankung Frauen. Bereits im jungen Alter kann ein Lipödem aufgrund hormoneller Veränderungen eintreten», sagt der plastische und ästhetische Chirurg Christian Roessing (54) von der Metropolitan Clinic zu Blick.
Es handelt sich dabei um eine chronische Erkrankung, bei der sich Fettgewebe und Wasser einlagern. Das Fettgewebe enthält verstärkt Fettzellen. Besonders trifft das die Ober- und Unterschenkel, seltener Ober- und Unterarme. Im Brust- oder Bauchbereich entwickeln sich die Lipödeme nicht. Wie häufig Lipödeme vorkommen, lasse sich nicht genau sagen, die Dunkelziffer sei jedoch sehr hoch, erklärt Roessing.
Junge Frauen mit Vorwürfen konfrontiert
Je nach Fortschritt der Erkrankung unterscheide man verschiedene Stadien. Anfangs sind die Fettansammlungen von aussen noch nicht sichtbar. Doch bereits im zweiten Stadium sei die Erkrankung mit Schmerzen verbunden, erläutert der Experte. Im Fettgewebe entstehen Knötchen, eine Orangenhaut zeichnet sich ab. Weiter fortgeschritten, verhärtet sich die Haut zu Wülsten und Falten. «Betroffene bekommen sehr schnell blaue Flecken, Treppensteigen und Sport können zum Problem werden», betont der Mediziner.
Auf Social Media werden betroffene Frauen oft mit Vorwürfen konfrontiert: Sie würden nicht genug Sport machen oder keine gute Diät verfolgen. Doch das funktioniere spezifisch für die Erkrankung nicht, erklärt Roessing. Behandlungsmöglichkeiten zielen auf Linderung ab: medizinische Massagen (Lymphdrainagen) regen die Ableitung von Flüssigkeiten an, während angepasste Kompressionsstrümpfe den dadurch reduzierten Umfang halten. «Um den Umfang verstärkt zu reduzieren, hilft nur noch ein operativer Eingriff mittels Fettabsaugung», verdeutlicht Roessing.
Der Druck, abzunehmen
Die Diagnose stellen Fachärzte für Lymphologie oder Gefässmedizin. Bereits die Blickdiagnose der blauen Flecken und teigigen Struktur der Haut gebe gute Anhaltspunkte. Während Social Media bei Selbstdiagnosen oft gefährlich werden kann, sieht Roessing das bei Lipödemen anders: «Im Internet gibt es unzählige Bilder der Krankheit. Die Selbstdiagnose liegt oft nicht allzu falsch», erzählt der Experte. «80 Prozent meiner Patientinnen, die mit einem Verdacht kommen, haben auch wirklich ein Lipödem.» Die restlichen Frauen würden oft unter Fettleibigkeit leiden – hier rät der Chirurg zu einer Diät.
Auch Abnehmspritzen sind in den sozialen Medien ein zentrales Thema. Ein grosses Problem sieht Roessing in der Kombination von Lipödem und Mitteln wie Ozempic: «Es ist wirklich erschreckend. Ich hatte schon Patientinnen, die völlig abgemagert durch die Diätspritze zu mir kamen, während die Stellen mit einem Lipödem immer noch herunterhingen.»
Rolle der sozialen Medien
Die sozialen Medien fasst Roessing dabei in einer ambivalenten Position zusammen: «Positiv ist, dass die Erkrankung viel sichtbarer und bewusster wird. Betroffene Frauen haben viel mehr Möglichkeiten, zu dem Krankheitsbild zu recherchieren.» Auf der anderen Seite bauten die sozialen Medien jedoch ein falsches Bild auf: «Die Fülle an Informationen macht es schwer, zu filtern. Viele Bilder sind zudem gefakt oder Einlagerungen werden durch Stretch-Leggins verborgen.»
Ein weiteres Problem: Dahinter stecke mittlerweile ein ganzes Geschäftsfeld. «Es gibt immer mehr Klinikketten, die sich ausschliesslich auf die operative Behandlung von Lipödemen fokussieren, zu teilweise sehr hohen Preisen.» Auch die durch Social Media fehlgeleiteten Erwartungen schockieren den Arzt immer wieder: «Patientinnen bringen mir teilweise Fotos mit, auf denen eine 130 Kilogramm schwere Frau plötzlich wie ein schlankes Yoga-Model aussieht.» Es gilt: ausführlich informieren und beraten lassen.