Gerhard Polt, ist der Mensch eine Krankheit?
Gerhard Polt: Nein, aber er ist das einzige Lebewesen, das die Möglichkeit hat, sich selbst auszurotten.
Der Titel Ihres neuen Bühnenprogramms und dem Buch dazu lautet «Ekzem Homo». Das klingt nicht gesund.
Ekzem ist ein Hautausschlag. Das haben Menschen häufig, wenn sie psychisch leiden. Und häufig leiden sie an ihren Mitmenschen: Nachbarn empfinden einander oft als unheimlichen Ballast. Deshalb spielt «Ekzem Homo» in drei benachbarten Häusern.
Nachbarschaftskrisen gibt es heute auch vermehrt zwischen Ländern. Vergeht Ihnen angesichts der aktuellen Weltlage manchmal das Lachen?
Dazu braucht man die Aktualität nicht. Denn was man heute sieht und hört, ist bloss vergrössert: Schauen wir in die Geschichte, wissen wir längst, was Menschen in der Lage sind, anderen anzutun – nehmen Sie die Hexenverbrennungen, die Ausrottung der Indianer, die Weltkriege. Für die Überlebenden des Ersten Weltkriegs war es unvorstellbar, dass es innerhalb kurzer Zeit nochmals zu einem solchen Blutvergiessen kommen konnte. Man hat ja immer gehofft, dass die Menschen aus Erfahrung klug werden.
Haben Sie selber Erinnerungen an die -letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs?
Nein, ich war zu klein – einen Tag vor der Kapitulation der Deutschen wurde ich drei Jahre alt. Aber ich kann mich an die Kriegsversehrten erinnern: Als Sechsjähriger sah ich all die Invaliden – Krüppel, die Durchschüsse hatten oder bloss noch Armstümpfe und auf Stelzen und Krücken gingen.
Wo haben Sie in einem solch schrecklichen und ernsten Umfeld lachen gelernt?
Von diesen Menschen. Denn sie haben eine gewisse Form gefunden, mit dem Leiden umzugehen. Besonders die Bayern brachten ein bäuerlich-handwerkliches Element mit, das ihnen half: Sie hatten einen Sarkasmus, der in städtischen Gebieten weniger vorkam. -Darin schwang eine Portion Fatalismus mit, aber auch die Freude darüber, als Krüppel davongekommen zu sein. Es ist so wie bei den «Bremer Stadtmusikanten»: «Etwas -Besseres als den Tod findest du überall.»
Wann hatten Sie in Ihrem Leben am meisten zu lachen?
Es kann jederzeit etwas passieren, das einen zum Lachen bringt. Wird man älter, hat man mehr Déjà-vu-Erlebnisse im Gepäck, über die man lachen kann – die hat man in jungen Jahren logischerweise nicht so.
Sie wollten nie Kabarettist werden.
Das ist so.
Da muss man bei Ihrem Talent froh sein, dass Sie in den Job reingedrängt wurden.
Ja, das war ein Glücksfall – noch heute könnte ich dafür täglich eine Kerze stiften.
Schauspielerin Gisela Schneeberger, mit der Sie später im Film «Man spricht deutsh» spielten, brachte Sie zur Bühne.Genau, sie brachte mich in die Münchner Kammerspiele.
Die TV-Reihe «Fast wia im richtigen Leben» machte Sie beide ab 1979 einem grösseren Publikum bekannt. Heute erachten Sie das Fernsehen nicht mehr als geeignetes Medium für Kabarett. Warum?
Das Fernsehen hat heute einen anderen Stellenwert. Der finanzielle und der zeitliche Druck sind grösser als früher. Zudem ist heute nicht mehr klar, wo und wann eine Sendung ausgestrahlt wird: Läuft auf einem anderen Sender gleichzeitig ein Fussballspiel? Stehe ich hingegen auf einer Bühne, kommen die Leute zu mir, weil sie zu mir wollen.
Werden Sie nie mehr Fernsehproduktionen machen?
Man soll nie nie sagen.
Sie sind bei Facebook und haben einen Twitter-Account.
Ja, aber ich bin trotzdem nicht einer, der sich selber ins Internet begeben muss – ich brauche keine Freunde und keine Klicks fürs Ego.
Ist das Internet für Sie Inspirationsquelle?
Eigentlich kaum. Und wenn, dann nur, weil mich andere Menschen darauf aufmerksam machen.
Und das Netz als Verbreitungskanal? Gerhard Polt als Witze-Twitterer?
Sicher nicht!
Sie sind seit genau 40 Jahren im Business. Ist das Komiklevel der Menschheit immer gleich geblieben oder gab es witzigere und weniger witzige Zeiten?
Der Münchner Komiker Karl Valentin hat mal gesagt: «Ich hab früher wunderbar lachen können, aber während der Inflationszeit hab ich das Lachen verlernt. Ich kann nur noch gezwungen lachen, ungefähr so: hahahahahahaha.»
Die Umstände haben also einen Einfluss darauf, wie lustig das Leben ist.
Klar. Die Themen, die eine Gesellschaft reflektiert, prägen Theater, Film und natürlich auch das Kabarett – die Aufklärung und die Sexualität in den 1960er-Jahren, die Flower-Power-Bewegung in Amerika.
Wo waren Sie während der 1968er-Jugendunruhen, die auch Europa bewegten?
Damals war ich für das Skandinavistik-Studium in Schweden.
Gab es dort auch Krawalle?
Nein, dort blieb es ruhig, denn Schweden wurde wie die Schweiz vom Zweiten Weltkrieg verschont.
In Zürich gab es die Globuskrawalle.
Und in Deutschland haben die Jungen damals ihre Eltern hinterfragt: «Wo wart ihr während der Nazi-Zeit?»
Sie auch? Sie waren damals ja in Schweden.
Mein Vater war bald nach dem Zweiten Weltkrieg tot. Und bei meiner Mutter wusste ich, dass sie gegen Hitler gewesen war. Sie hat ihn gehasst und wurde beim Bund Deutscher Mädel schimpflich rausgeschmissen. Manchmal, wenn es im Fernsehen hiess: «Das haben die Deutschen während des Kriegs getan», hat sie vor sich hingesagt: «Ich nicht.»
Wenige Monate nach Ihrer Geburt ist Ihre Mutter aus München weggezogen, um den Bombenangriffen zu entgehen.
Ja, ich bin im Wallfahrtsort Altötting aufgewachsen. Dort war das Wissen um den Tod allgegenwärtig. Und dieses Wissen schuf Möglichkeiten für mehr Humor, weil man sich selber in Frage stellen muss und weiss: «Ich bin nicht unendlich da.»
Hat man als Bayer auf der Kabarettbühne einen Vorteil? Sie müssen nur den Mund aufmachen, und das Publikum lacht, weil die Sprache so schön gedrechselt klingt.
Mit diesem Dialekt ausgestattet, ist man schon bereichert. Wenn man bei Karl Valentin schaut, dann gibt es Sachen, die man in anderen Dialekten so nicht sagen würde. Auch wenn ich in Österreich oder in der Schweiz auftrete, scheint mir: Das bayerische Idiom findet positiven Anklang.
Wie bei uns das Berndeutsch, das mehr Anklang findet als etwa Baseldeutsch.
Wobei ich als Kind in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks immer den Alfred Rasser gehört habe – auf Baseldeutsch. Und ich war begeistert.
Prägt der Dialekt den Charakter der Menschen, die ihn sprechen?
Der Dialekt vielleicht nicht, aber die Region, wo er herkommt. Und das prägt dann auch, wie jemand in anderen Regionen aufgenommen wird. In Deutschland gibts ein bestimmtes Hochdeutsch, das nicht gut ankommt: das Preussische. Das ist eine Sprache, die viele nicht mögen.
Damit hat man dann auf der Bühne mehr Schwierigkeiten.
Kann sein. Ich habe mich einmal sehr lange mit Loriot unterhalten, der ja selber Preusse war. Er sagte mir, dass er es manchmal schön gefunden hätte, einen Dialekt zu sprechen.
Deswegen verbrachte er seine Ferien gerne und häufig im bayerischen Elmau.
Und wenn ihm dort jemand auf Bayerisch etwas Tragisches sagte, fiel es ihm schwer, das auch tragisch zu empfinden.
In Ihrem neuen Programm «Ekzem Homo» sind die Namen der Figuren und der Darsteller identisch – ausser bei Ihnen. Wollen Sie zwischen Ihrer Figur Brezner und dem Schauspieler Polt eine Grenze ziehen?
Ja, denn als behauptete Figur lässt sich vieles besser darstellen.
Ihre Stärke ist es, Kleingeister wie Brezner auf der Bühne blosszustellen.
Wobei der Kleingeist nicht nur beim Kleinverdiener zu finden ist.
Wie stark färben Ihre Figuren auf Sie ab?
Das kann ich nicht beurteilen, da müssen Sie andere Personen fragen.
Anders gefragt: Worin sind Sie spiessig?
Es gibt bestimmt genügend Reaktionen von mir, die in diese Richtung deuten – ich bin kein Übermensch. Und deshalb bin ich manchmal gedankenloser, um es vorsichtig zu formulieren.
Verfallen Sie im Leben manchmal in eine Ihrer Rollen?
Manchmal erinnere ich mich in einem Gespräch an eine Figur, die ich gespielt habe und die in einer ähnlichen Situation war – das ist dann wie ein Déjà-vu.
Wie fühlen Sie sich in solchen Momenten?
Ich muss innerlich lachen. Und freue mich, dass ich im Voraus gespürt habe, wie der Mensch funktioniert. Müsste ich mich loben, würde ich sagen: «Du warst schon visionär.»
Mögen Sie die Figuren, die Sie darstellen?
In erster Linie möchte ich die Figur, die ich verkörpere, nicht unsympathisch darstellen. Denn unsympathische Leute haben weniger Erfolg: Man lehnt sie ab und hört ihnen nicht zu – tödlich für eine Bühnenfigur.
Wirklich nett sind Ihre Figuren aber nicht.
Es ist zumindest nicht immer offensichtlich. Doch selbst grauenhafte Demagogen haben einen gewissen Charme. Stellt man sie als verzerrte Figur, als Monster dar, begibt man sich auf einen Irrweg.
Selbst Hitler ist als Mensch zu akzeptieren?
Genau. Und selbst dieser Mensch musste – musste! – Eigenschaften haben, mit denen es ihm gelungen ist, andere für sich einzunehmen. Die sympathischen Leute sind meist die gefährlichsten. Oder wie es Kabarettist Franz Hohler einst so schön zusammengefasst hat: «Es si alli so nätt!»
Versuchen Sie die Welt mit Bühnenprogrammen vor Demagogen zu bewahren?
Ich glaube nicht, dass man die Welt mit Humor verändert. Demagogen kommen und gehen. Aber ich erkenne in ihnen jeweils ein Grundmuster: Sie funktionieren wie der Rattenfänger von Hameln. Dann frage ich mich stets: Wer sind diese Ratten, die sich fangen lassen? Und auf welche Musik reagieren die? Diese Melodie möchte ich gerne kennen.
Ändert die Melodie im Laufe der Zeit?
Ja, sie ist immer massgeschneidert – für den Zeitgeschmack aufbereitet.
Wie klingt sie aktuell?
Wir hören sie überall. Wir müssen das, was die Leute reden, nur als Musik empfinden.
Mit Humor lässt sich die Welt nicht verändern, aber dem «Spiegel» sagten Sie: «Man braucht Humor, um sich zu verteidigen.»
Ja, der Humor ist eine Möglichkeit, um ein wenig Distanz zu schaffen. Nach einer Vorstellung kam einmal ein Mann zu mir und übergab mir ein Buch: «Der Witz in Auschwitz» – da zuckte ich zusammen. Aber es war sehr ernst zu nehmen: Der Mann hatte dokumentiert, wie sich die Menschen in den Lagern Witze erzählt haben, um dem drohenden Schicksal geistig entgehen zu können.
Auch wenn die Umstände heute weniger krass sind: Wollen Sie dem Publikum mit Ihrem Humor auch Entlastung bieten?So ist es, ganz klar. Denn: Weil das Leben ernst ist, braucht es Humor.
Sie ziehen Ihre Pointen aus der Beobachtung. Haben sich die lächerlichen Seiten der Leute in den letzten Jahren verändert?Die Grundmöglichkeiten, weshalb sich ein Mensch lächerlich macht, die sind manifest und immer gleich: Eitelkeit, Überambitioniertheit, wirkliche Blödheit und so weiter. Schon die lateinische Literatur führt den eitlen Menschen vor. Heute stellen sich Eitelkeiten optisch einfach anders dar. So lassen in Südamerika beispielsweise Frauen aus Schönheitsgründen die unteren Rippen rausoperieren. Absurd.
Unglaublich, haha!
Sehen Sie: Sie haben gelacht. Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, habe ich so wie Sie gelacht. Gelacht habe ich auch, als mir eine junge Frau erzählt hat, dass sich ihre Mutter entschuldigt habe, ihr als Teenagerin nicht öfters eine Schönheitsoperation zum Geburtstag geschenkt zu haben.
Solche absurden Anekdoten erzählen Sie jeweils auf der Bühne.
Wenn ich etwa in ein Spital gehe und höre, was den Menschen alles widerfährt, dann bin ich mir sicher, dass die grössten Absurditäten tatsächlich passieren. Das ist für mich das Wesentliche: Die Sachen, die mich erstaunen und die mich zum Lachen bringen, hole ich aus der Realität und nicht aus den Medien.
Steigt Ihr Interesse, wenn Sie eine mediale Person in der Realität treffen?
Ich war mit meiner Frau kürzlich in England und habe dem Politiker und Brexit-Befürworter Nigel Farage zugehört. Das finde ich schon sehr interessant, wie man mit solchen Argumenten so viele Leute ansprechen kann. Aber ich würde jetzt nie den Farage auf der Bühne nachmachen wollen.
Wissen Sie immer mit Sicherheit, wann etwas bühnentauglich ist?
Ich höre den Zwischenton, und Sie haben recht: Ich muss nicht alles auf der Bühne erzählen. Wenn Sie mit Karikaturisten reden, dann haben die dasselbe Problem – irgendwann stösst man an Grenzen. Dann zeichnet und sagt man nichts mehr – und schweigt.
- Buch: Gerhard Polt & die Well-Brüder, «Ekzem Homo»,
Kein & Aber, 192 Seiten, 29.90 Franken. - Bühne: Live am 9. Dezember in Biel BE, 10. Dezember
in Aarau und am 11. Dezember in Cham ZG.