Es gibt Menschen, die trifft eine Idee oder ein Konzept derart in ihrem Innern, dass sie nicht anders können, als diesem nachzugehen – koste es, was es wolle. Unsere Gesellschaft verdankt diesen Menschen grosse und kleine Erfindungen und Kunstwerke. Ohne sie wären wir insgesamt ärmer.
Solch ein Mensch ist der Basler Comiczeichner Jan Bachmann (35). 2015 trifft der damalige Student der Deutschen Film- und Fernsehakademie auf die Tagebücher des deutschen Schriftstellers, Poeten, Anarchisten und Bürgersohns Erich Mühsam (1848–1934). Und mit der Filmkarriere ist es vorerst vorbei.
Reizende Mischung zwischen liebevollem Humor, scharfem Blick und trivialen Alltagsproblemen
«Diese Art, die Zeichen seiner Zeit zu sehen – Mühsam hat bereits vor dem Nationalsozialismus gewarnt, also noch kaum jemand die Schrecken erahnte, die auf die Welt zukommen würden – und trotzdem seinen Humor zu behalten. Mit dieser Haltung konnte ich mich identifizieren», sagt Bachmann. «Mühsam war poetisch, selbstironisch, immer parteiisch, nie zynisch. Das inspiriert mich bis heute.»
Mit der Entdeckung Mühsams ist einer der talentiertesten Comiczeichner der Schweiz geboren. Den Lauftext übernimmt er im Originalton aus der Vorlage, die Dialoge erfindet er selbst – und schafft so eine witzige Verdichtung. Drei Jahre lang setzt Bachmann sich hin und verarbeitet die Tagebücher zu einem Comicband, jede Seite zeichnet er drei, vier Mal um, bis er zufrieden ist. Er, der vorher nie richtig ernsthaft gezeichnet hatte.
Noch vor der Beendung des Bands «Mühsam – Anarchist in Anführungszeichen» wird die Arbeit ausgezeichnet, im Jahr 2017 mit dem Comic-Förderpreis der Schweizer Städte. Nominiert wird sie auch für den renommierten Max-und-Moritz-Preis. Wohl auch wegen des Humors: Wie der Bürgersohn/Anarchist auf den Tod des Vaters hofft, um endlich erben zu können, unter chronischen Geldnöten leidet und in einem Schweizer Sanatorium unter chronischer Verstopfung, ist grosse kuriose Humorklasse – genauso wie die Mischung zwischen Liebesproblemen, Alltagsbeobachtungen und ernsthaften politischen Meinungsäusserungen. 2018 erscheint der Erstling schliesslich und wird von der Schweizer und deutschen Presse hoch gelobt.
Bachmann entlarvt die Geschichtsschreibung
«Mittlerweile bin ich aber schneller geworden», sagt Bachmann, der bereits zwei weitere Bände herausgegeben hat – ebenfalls von Mühsam inspiriert, auch wenn der direkt nicht mehr die Hauptrolle spielt. So widmet sich «Der Berg der nackten Wahrheiten» der um 1900 real existierenden Künstlerkommune auf dem Tessiner Berg Monte Verità, die Mühsam einst besucht hatte. In der Kommune, die gerne eine neue Welt- und Lebensordnung ausrufen möchte, verstricken sich Anarchisten und vegane Nudisten in heillosen Querelen – und auch die Dorfbewohner freuen sich nicht wirklich über die «neue Weltordnung». Als wunderbarer Kniff setzt Bachmann eine Ziege ein, die sozusagen den laufenden Kommentar zum Geschehen liefert.
Und auch der dritte, soeben erschienene Band speist sich aus derselben Recherche, wurde doch der Monte Verità nach dem Kollaps der Künstlerkommune von Baron Eduard von der Heydt gekauft, der wiederum als Privatbankier des gestürzten Kaisers Wilhelm II. fungierte.
Dem glücklosen Kaiser widmet sich der jüngste Band «Der Kaiser im Exil». Wieder ist Bachmann in der Historie auf Kurioses gestossen: So fiel Kaiser Wilhelm II. seinem Gastgeber Graf Bentinck, der Wilhelm in seinen niederländischen Ländereien aufnahm, im Exil durchaus zur Last. Er liess etwa aus reiner Freude am Zusehen dessen sämtliche Wälder abholzen. Seine getreuen Mit-Exilanten Sigurd von Ilsemann und Norah Bentinck notierten in der Zwischenzeit hochgetreulich und in rühmendem Tonfall, was der abgesetzte Kaiser zum Frühstück oder zum Abendessen zu sich nahm, als wären dies weltpolitische Wichtigkeiten – derweilen die europäische Welt nach dem Ersten Weltkrieg, den Wilhelm II. angezettelt und 1918 katastrophal verloren hatte, in Trümmern liegt. Bachmann benützt für den Erzähltext wiederum diese originalen Schriften – und schafft mit seinen perspektivisch verzerrten Bildern einen augenfälligen, ironischen Widerspruch zur obrigkeitshörigen Geschichtsschreibung.
Wie kommentiert man die Gegenwart, ohne zu verzweifeln?
Mit dem letzten Band hat Bachmann nun fürs Erste mit der historischen Reihe abgeschlossen: «Falls es ein nächstes Buch gibt, wird sich das unmittelbarer auf unsere Zeit beziehen», sagt Bachmann. Doch der Grad zwischen Zynismus und Depression werde immer schmaler: «Dem Schrecken ins Auge zu blicken, ohne zu verzweifeln, das ist für mich die grosse Herausforderung unserer Zeit. Humor ist eine mögliche Antwort.»
Von Jan Bachmann sind folgende Bände im Comicverlag Edition Moderne erschienen:
«Mühsam – Anarchist in Anführungszeichen»; «Der Berg der nackten Wahrheiten»; «Der Kaiser im Exil».