Darum gehts
- Klaus Willbrand: Mit 82 war er Literatur-Influencer auf Social Media
- Der Antiquar aus Köln beantwortete literarische Fragen in kurzen Videos
- Auf Instagram hat er fast 160'000 Follower, auf Tiktok annähernd 55'000
Linsensuppe, Literatur und Likes: Das sind die Bestandteile, die Klaus Willbrand (1941–2025) zum viel beachteten Influencer machten – und das mit 82 Jahren, ein knappes Jahr vor seinem Tod. Auf Instagram hat er fast 160’000 Follower, auf Tiktok annähernd 55’000, und seinen Youtube-Kanal haben mehrere Tausend abonniert.
Zum Vergleich: Dem gleichaltrigen Eckart Witzigmann folgen auf Instagram 58’000, der gleichaltrigen Senta Berger auf ihrer Tiktok-Fanpage keine 100. Dabei war Willbrand weder Sternekoch noch Star-Schauspielerin. Was der Deutsche mit dem langen schlohweissen Haar bietet, ist vergleichsweise wenig spektakulär.
In über 200 kurzen Videos sitzt er meist in Jackett und mit Schal vor hohen Bücherwänden am dunklen Eichentisch und beantwortet unaufgeregt je eine literarische Frage, die ihm die Germanistin Daria Razumovych (34) stellt: «Was bedeutet Lesen für dich?», «Was sind Klassiker?», «Welches Buch muss ein junger Mensch gelesen haben?»
Über 2 Millionen schauten Tiktok-Video
Das Tiktok-Video zur letzten Frage klickten bis heute 1,2 Millionen Menschen an. Und schon über 2 Millionen wollten wissen, welcher Schriftsteller nach Ansicht von Willbrand der am meisten überschätzte sei. Seine Antwort: «Da muss ich ganz klar sagen: Hermann Hesse.» Der Mann habe krasse Defizite gehabt, seine Lyrik gehöre ins 19. Jahrhundert.
Solche negativen Aussagen sind selten. Statt zu warnen, wirbt der Antiquar aus Köln meist für Schriftsteller und deren Bücher. Mit seiner Weisheit, Güte und Geduld erinnert Willbrand an Schulleiter Albus Dumbledore aus «Harry Potter» – ohne Rauschebart zwar, aber mit magischen Kräften auf die Follower.
«Kaum jemand hat mich mehr zum Lesen motiviert als Klaus Willbrand», lautet eine Stimme. Eine andere formulierte es so: «Dieser Kanal war ein Lichtblick für viele, die Wissen über Literatur und dadurch Menschlichkeit in der digitalen Wüste suchten.» Und das Fazit einer dritten: «Ihre Videos werden mich noch lange begleiten und zur Lektüre verleiten.»
Die Kommentare stehen im Buch «Einfach Literatur» mit und über Willbrand, das Co-Autorin Razumovych nun veröffentlicht. Die beiden begegneten sich erstmals 2021. Damals führte der gelernte Buchhändler Willbrand seit 20 Jahren das Antiquariat im Weyertal in Köln, das mehr schlecht als recht lief. Die Corona-Pandemie gab dem Geschäft den Rest.
Eine Auferstehung, ein wahres Osterwunder!
Für Razumovych, die als Digitalberaterin arbeitet, war klar: Der Laden kann via Social Media ein grösseres Publikum erreichen. «Ein alter Mann auf Tiktok – keiner will das sehen», war Willbrands erste Reaktion. Doch als er das Antiquariat mit seinen rund 25’000 Büchern Anfang 2024 schliessen wollte, gab er der Idee eine letzte Chance.
Am Karfreitag, 29. März 2024, erstellte Razumovych ein Profil des Antiquariats auf Tiktok und Instagram. «10'000 Menschen hatten über Nacht das Video von Klaus und seinem Antiquariat angeklickt», steht in «Einfach Literatur». Eine Auferstehung, ein wahres Osterwunder! Und Junge kamen in den Laden, um Selfies mit dem alten Mann zu machen.
Bei täglicher Linsensuppe heckten Willbrand und Razumovych das weitere Vorgehen aus. «Man sollte auf das Bauchgefühl hören, statt stur allen Regeln zu folgen», sagt die gebürtige Ukrainerin gegenüber Blick. «Wenn Leidenschaft für ein Thema da ist, ergibt sich vieles von selbst.»
Und wie geht es nach dem Tod von Willbrand am 29. Januar 2025 weiter? «Dieser Tage erscheint unser gemeinsames Buch», sagt sie, «dann wird sich hoffentlich auch entscheiden, ob das Antiquariat weiter bestehen darf und ob ich es weiterführen kann.» Bis dahin nehme sie die Followerinnen und Follower auf diesem Weg mit.
Klaus Willbrand/Daria Razumovych, «Einfach Literatur – eine Einladung», S. Fischer
Im Internet ist Willbrand auf Instagram, Tiktok und Youtube zu finden