Inside-Report über einen Single-Event
Ein Abend, 180 Singles – und drei Toilettengänge

Offline-Dating boomt in der Schweiz. Eine Blick-Mitarbeiterin hat den Selbstversuch gewagt. Zwischen Flirts, Drinks und betretenem Schweigen fand sie ihren sichersten Rückzugsort: die Toilette.
Publiziert: 21:00 Uhr
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Aktualisiert: 21:02 Uhr
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Wenn Online-Dating langweilig wird, dann gibt man der Offline-Welt wieder eine Chance.
Foto: pixabay

Darum gehts

  • Online-Dating-Müdigkeit: keine Lust mehr auf Swipen und Ghosting
  • Offline-Dating boomt in der Schweiz
  • Echte Menschen statt geschönter Profile – kostet weniger Nerven, bietet mehr Authentizität
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Schirin RazaviMitarbeiterin

Du findest Dating doof? Welcome to the Club. Mir geht es da nicht anders. Bereits der Gedanke an ein Date bereitet mir Bauchschmerzen. Ich, 38, weiblich und Single, beziehe mich hier hauptsächlich auf meine Online-Dating-Erfahrungen. Ein bewährtes Mittel, wenn man den Statistiken glaubt: Rund 27 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer lernen ihren Partner digital kennen. 

Und dennoch macht sich ein neuer Virus breit, der auch mich befallen hat: Online-Dating-Fatigue. Zu viele langweilige Nachrichten, die zu nichts führen; zu viele Treffen, die zwar nicht nüchtern, aber ernüchternd enden. Das scheint kein Einzelfall zu sein. Seit 2022 verliert Tinder stetig zahlende Abonnenten. Die Antwort auf dieses Problem möchte das Zürcher Start-up Noii liefern. Es organisiert physische Single-Events in Schweizer Städten, die erstaunlich grossen Anklang finden. Einen davon besuche ich in Zürich. Die Begegnungen sind echt, zur Wahrung der Privatsphäre wurden die Namen geändert und die Porträtfotos KI-generiert.

Zwischen Nervosität und Anspannung

Am Tag des Events erhalte ich eine E-Mail mit den wichtigsten Infos. Und schon gibt es die erste Enttäuschung: Von 180 Teilnehmenden sind 60 Prozent Frauen, 40 Prozent Männer. Die Konkurrenz ist also gross. Einmal im hippen Lokal angekommen, versuche ich, mich davon nicht entmutigen zu lassen. Einfacher gesagt als getan. Ein Raum voller Singles kann schon angsteinflössend sein. Ich spüre Blicke auf mir. Dass man ausgecheckt wird, gehört logischerweise zum Konzept. Ganz wohl fühle ich mich dabei jedoch nicht. Zumindest bin ich nicht die Älteste im Raum, wie ich zunächst befürchtet hatte. Und da passiert es auch schon: Der erste Teilnehmer bahnt sich seinen Weg zu mir. 

Leo – der Übereifrige

Foto: ChatGPT

Leo, Mitte 30, war schon an unzähligen Events, wie er begeistert erzählt. Seine Erfahrung ist unverkennbar. Er fällt mit der Tür ins Haus: «Wonach suchst du hier?» «Nicht nach dir», wäre die ehrliche Antwort gewesen. Ich erkläre ihm, dass ich einfach mal raus aus meiner Komfortzone wollte – ganz ohne Erwartungen. Da Leo bereits ein alter Hase im Offline-Dating-Business ist, möchte ich von ihm wissen, was denn das Beste ist, was für ihn dabei herausgesprungen ist. «Freundschaft Plus», verkündet er stolz. Da schon in den ersten drei Sekunden klar war, dass ich mir weder eine Freundschaft noch das Plus mit Leo vorstellen kann, ist dies ein guter Zeitpunkt, um mich mit einer Ausrede zu verabschieden. Der erste von vielen Toilettengängen folgt. 

Julian – der Jüngling

Foto: ChatGPT

Sitzend und ein paar Drinks später kniet Julian vor mir nieder. Eine schwierige Ausgangslage. Er zückt eine der Karten, die der Veranstalter an all diesen Events zur Verfügung stellt, um das Eis zu brechen: «Hast du schon mal in einem Spielfilm mitgemacht?» Ähmmm, nein. Der leicht unbeholfene Julian weckt mein Mitgefühl – zugleich bin ich beeindruckt von seinem Mut. Uns trennen bestimmt 15 Jahre. Ich möchte also nicht unhöflich sein und plaudere drauflos. Schnell stellt sich heraus, dass wir in derselben Gemeinde aufgewachsen sind. Das war es dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Der zweite Toilettengang folgt. 

Milan – der Verheissungsvolle

Foto: ChatGPT

Nicht schlecht, denke ich mir, als ein braungebrannter Sunnyboy in meine Richtung steuert. Typ «Junger Roger Federer im Surferlook». Was ich den ca. 32-jährigen Milan auch wissen lasse. «Die meisten vergleichen mich eher mit Tsitsipas», meint er. Tsi-Was? Ich kenne nur den griechischen Politiker, und dem sieht er nun wirklich nicht ähnlich. Egal, das möchte ich nicht mit ihm vertiefen. Der Vibe stimmt, das erste Erfolgserlebnis des Abends. Wir unterhalten uns über seine Geschäftsreisen nach Angola, seine Leidenschaft für Basketball – anscheinend ein grosses Ding in Serbien, woher er stammt – und sein Studium, das ihn in die Schweiz geführt hat. Auch ich komme dabei zu Wort. Und doch ist nach 45 Minuten irgendwie alles auserzählt. Und hier sitzen wir schweigend. Wir wissen, was folgt … der Toilettengang.

Keine geschönten Bilder, sondern echte Begegnungen

Ein Abend, drei Begegnungen. Von Leos Enthusiasmus und Durchhaltevermögen kann ich mir eine Scheibe abschneiden – ebenso wie von Julians furchtloser Jugendlichkeit. Und das Zusammentreffen mit Milan zeigt mir einmal mehr: Der Kriterienkatalog mag erfüllt sein, doch der letzte Funke springt deswegen noch lange nicht über.

Auch wenn keines der Gespräche zu einem Wiedersehen führt, fällt mein Fazit positiv aus. Ich bekomme, was ich sehe, unverstellt und ohne geschönte Bilder. Endloses Swipen, zielloses Hin- und Herschreiben, um dann doch nur geghostet zu werden – das alles erspart man sich, wenn man an einem solchen Single-Event teilnimmt. Es kostet weniger Nerven und weniger Zeit. Mein Vorsatz fürs nächste Mal: Ich werde mir einen eleganteren Fluchtplan zurechtlegen.

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