Experten-Paar Patricia Lannen und Oskar Jenni bringen gemeinsames Buch heraus
«Kinderhaben ist eines der letzten echten Abenteuer»

Sie gehören zu den renommiertesten Erziehungsfachleuten der Schweiz – und sind privat ein Paar. Jetzt bringen Patricia Lannen und Oskar Jenni gemeinsam ein Buch mit 101 Fragen für Elternpaare heraus. Die erste Frage: «Warum liebst du mich eigentlich?»
Publiziert: 18:10 Uhr
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Aktualisiert: vor 49 Minuten
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Patricia Lannen und Oskar Jenni im Foyer des Kinderspitals Zürich, Jennis Arbeitsort.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • Das Erziehungsexperten-Paar erzählt, was Paare, die sich in Restaurants anschweigen, mit ihrem Buch zu tun haben
  • Patricia Lannen und Oskar Jenni erklären, warum Kindererziehung und Sex in einer Beziehung ständig zu Knatsch führen und wie man ihn löst
  • Das Paar verrät, wo es selbst unterschiedlich tickt und wie es Liebe definiert
  • Warum wollen junge Menschen keine Kinder mehr? Oskar Jenni hat eine Vermutung
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sandra CasaliniRedaktorin Gesellschaft

Die ersten Gedanken zum gemeinsamen Buch des Paars stehen auf der Speisekarte eines Restaurants. «Wir sind im Gespräch beim Essen drauf gekommen, dass es zwar ganz viele von diesen Fragekarten-Spielen für Paare gibt, aber nichts, was Paare als Eltern anspricht. Wir begannen, entsprechende Fragen auf der Menükarte zu notieren, und liessen uns eine zweite bringen, als die erste voll war. Wir haben die Karten immer noch», erzählt Patricia Lannen (48), Entwicklungspsychologin und Leiterin des Marie Meierhofer Instituts für das Kind. Die Restaurantsituation sei bezeichnend, findet Oskar Jenni (58), Leiter der Abteilung Entwicklungspädiatrie des Kinderspitals Zürich, die er 2005 vom wohl bekanntesten Schweizer Kinderexperten Remo Largo (1943–2020) übernahm. «Uns fielen in Restaurants häufig Paare auf, die nicht miteinander reden. Da dachte ich öfter, denen müsste man doch irgendwie helfen können, dass wieder ein Austausch stattfindet», so Jenni. Daraus entstand das Buch «Miteinander reden. 101 Fragen für starke Eltern und glückliche Kinder.»

Blick: Warum ist es eigentlich so schwierig, als Eltern ein Liebespaar zu bleiben?
Patricia Lannen:
Mit Kindern beschäftigt man sich viel mehr mit Alltagsthemen, das geht damit einher, dass man sich weniger vertieft austauscht und einander auch weniger Wertschätzung zeigt. Die Kommunikation verändert sich. Aus Studien weiss man, dass sich die Beziehungsqualität bei Paaren mit Kindern mit der Zeit verschlechtert. 

Sie stellen am Anfang des Buchs die Frage: Was ist für mich eine Liebesbeziehung? Wie beantworten Sie diese persönlich?
Oskar Jenni:
Für mich ist es die Beziehung zu einer Person, bei der ich einen sicheren Raum habe.
Lannen: Diesen Raum teilt man nur zu zweit, und darin herrscht bedingungsloses Vertrauen. Mein Partner ist meine erste Ansprechperson. Was für mich auch zu einer Beziehung gehört, ist, immer wieder zu versuchen, die Perspektive des anderen einzunehmen, um ihn zu verstehen.
Jenni: An einer Paarbeziehung muss man arbeiten, insbesondere wenn man Eltern ist, und das ist anstrengend.
Lannen: Es muss gelingen, sich im Alltag Inseln für die eigenen Bedürfnisse zu schaffen, aber auch für die Bedürfnisse, die man als Paar hat. Denn wenn diese nicht erfüllt sind, können wir auch nicht auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Nur wer als Paar funktioniert, kann auch als Eltern funktionieren. 

Patricia Lannen und Oskar Jenni

Patricia Lannen (48) ist Entwicklungs- und klinische Psychologin. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Kindern in besonderen Lebenslagen. Seit 2023 leitet sie das Marie Meierhofer Institut für das Kind in Zürich. Patricia Lannen ist Mutter zweier Kinder im Alter von 18 und 13 Jahren.

Oskar Jenni (58) ist Kinder- und Jugendarzt sowie Professor für Entwicklungspädiatrie an der Uni Zürich. 2005 übernahm er in der Nachfolge von Remo H. Largo die Leitung der Abteilung Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich. Jenni ist Autor mehrerer Bücher sowie mehrfacher Preisträger von Auszeichnungen. Er hat vier Söhne zwischen 18 und 26 Jahren.

Patricia Lannen und Oskar Jenni leben gemeinsam mit Lannens 18-jähriger Tochter in Basel. Deren 13-jähriger Sohn lebt zu 50 Prozent ebenfalls in dieser Patchworkfamilie. Oskar Jennis drei jüngste Söhne bilden eine WG in Zürich, wo Jenni ein Zimmer hat. Er übernachtet regelmässig dort.

Patricia Lannen und Oskar Jenni in der Bibilothek des Forschungszentrums des Kinderspitals Zürich.
Philippe Rossier

Patricia Lannen (48) ist Entwicklungs- und klinische Psychologin. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Kindern in besonderen Lebenslagen. Seit 2023 leitet sie das Marie Meierhofer Institut für das Kind in Zürich. Patricia Lannen ist Mutter zweier Kinder im Alter von 18 und 13 Jahren.

Oskar Jenni (58) ist Kinder- und Jugendarzt sowie Professor für Entwicklungspädiatrie an der Uni Zürich. 2005 übernahm er in der Nachfolge von Remo H. Largo die Leitung der Abteilung Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich. Jenni ist Autor mehrerer Bücher sowie mehrfacher Preisträger von Auszeichnungen. Er hat vier Söhne zwischen 18 und 26 Jahren.

Patricia Lannen und Oskar Jenni leben gemeinsam mit Lannens 18-jähriger Tochter in Basel. Deren 13-jähriger Sohn lebt zu 50 Prozent ebenfalls in dieser Patchworkfamilie. Oskar Jennis drei jüngste Söhne bilden eine WG in Zürich, wo Jenni ein Zimmer hat. Er übernachtet regelmässig dort.

Sie haben als Patchworkfamilie insgesamt sechs Kinder. Ist es für diese nicht manchmal mühsam, dass Sie Erziehungsprofis sind?
Jenni: (Lacht.) Im Alltag sind wir normale Eltern, die Fehler machen. Nur weil wir viele Studien kennen, heisst das nicht, dass wir perfekt sind. 

Sie werden oft mit Ihrem Vorgänger Remo Largo verglichen, Herr Jenni. Stört Sie der Vergleich?
Jenni: Nein, das stört mich nicht. Remo Largo war mein Mentor. Ich habe seine Haltung verinnerlicht, und ich entwickle sie weiter für die Kinder und Eltern der heutigen Generation. 

Umfragen zeigen, dass Kindererziehung einer der häufigsten Streitpunkte zwischen Elternpaaren ist. Müsste man diese Fragen nicht von Anfang an so klären, dass es keine Diskussionen mehr gibt?
Jenni:
Es braucht ein paar grundsätzliche Regeln des Zusammenlebens. Aber wie man im Alltag mit einzelnen Situationen umgeht, kann und soll auch zu Diskussionen führen. Es ist ein Mythos, dass man als Eltern immer am gleichen Strick ziehen muss. Kinder können damit umgehen, dass Mama und Papa unterschiedliche Ansichten haben. Wichtig ist, dass das Paar darüber spricht und Wege findet, damit umzugehen. Verschiedene Meinungen sind für Kinder ein wichtiges Lernfeld, das sie flexibel und resilient macht.
Lannen: Dazu kommt, dass Kinder unterschiedlich sind, nicht die gleichen Bedürfnisse haben und dementsprechend auch anders behandelt werden müssen. Elternkompetenz ist auch, sich dem jeweiligen Kind anzupassen und nicht einfach für alles strikte Regeln aufzustellen. 

Ebenfalls ein häufiger Diskussionspunkt, sobald Kinder da sind: Sexualität. Warum gibts gerade um dieses Thema so viel Knatsch?
Lannen:
Denn wie bei guter Kommunikation gilt auch hier: Man muss Raum und Zeit dafür haben. Und der Alltag frisst dies oft auf. Wenn man sich diese Zeit – wir nennen sie in unserem Buch «intime Zweisamkeit» – nicht nimmt, kann Distanz entstehen. 

Darf man vor Kindern streiten?
Jenni: Das passiert automatisch. Wichtig ist, dass man den Streit wieder beilegt, sodass die Kinder erleben, dass Konflikte auch in Liebesbeziehungen vorkommen, aber dass man Wege findet, diese zu lösen. 

Gibt es trotzdem Fragen in der Kindererziehung, bei denen Sie es essenziell finden, dass man einer Meinung ist?
Jenni:
Wenn man sich durchs Band nicht einig ist, wirds wohl schwierig.
Lannen: Ich würde diese Frage aus der Kinderperspektive beantworten. Für ein Kind zählt, dass seine grundlegenden Bedürfnisse verlässlich gedeckt sind – Liebe, Sicherheit, Struktur, Grenzen und eine Gemeinschaft, die es trägt. Das sollte zwischen den Eltern klar sein.
Jenni: Ich erlebe in meiner Sprechstunde immer wieder Eltern, die sich da in fundamentalen Fragen nicht einig sind. Da braucht es eine Mediation oder eine Therapie. Da hilft auch unser Buch nicht.

Wo ticken Sie beide unterschiedlich?
Lannen: In Bezug auf Beziehung und Kinder sind wir einander sehr ähnlich. Als Person ist Oskar etwas geerdeter und gelassener als ich.
Jenni: Ich glaube, das liegt tatsächlich an der Elternschaft. Ich habe sehr viel gelernt in den letzten 26 Jahren, zum Beispiel, Dinge auszuhalten, meine Gefühle zu regulieren, Erwartungen anzupassen. 

Um noch mal eine Ihrer eigenen Fragen aufzugreifen: Was ist das Schönste daran, Eltern zu sein?
Lannen:
Zu sehen, wie meine Kinder sich in ihrer eigenen Persönlichkeit entwickeln – und ich mich mit ihnen.
Jenni: Es gibt kein besseres Lernfeld für uns Erwachsene. Kinder machen das Leben wahnsinnig reich. Das war jetzt ein Plädoyer für Elternschaft. 

Woran liegt es denn Ihrer Meinung nach, dass laut Umfragen viele junge Menschen in der Schweiz keine Kinder wollen?
Jenni:
Momentan herrscht sehr viel Hang zum Individualismus, wir sind eine Gesellschaft, in der alle einzigartig sein müssen und sich selbst verwirklichen sollen. Elternschaft passt da nicht rein. Unsere Welt ist extrem komplex und schnell geworden – sich da noch die Verantwortung für andere Menschen aufzuladen, kann überfordern. Dabei ist Kinderhaben vielleicht eines der letzten echten Abenteuer, das man überhaupt noch erleben kann.

«Eltern sollten sich an die drei K halten»
2:10
Kinderarzt im Gespräch:«Eltern sollten sich an die drei K's halten»
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