Darum gehts
Blick: Ist die Abnehmspritze ein Gamechanger bei Übergewicht – oder ein Medikament mit zu grossen Nebenwirkungen?
Marc Donath: Es ist ein Gamechanger, ein historischer Moment in der Medizin. Wir sprechen hier von Übergewicht als einem der grössten Gesundheitsprobleme weltweit – das wird oft unterschätzt. Im Durchschnitt sind 43 Prozent der Bevölkerung übergewichtig, auch in der Schweiz. Die Folgen sind enorm: Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, viele Krebsarten, Alzheimer oder Gelenkprobleme. Während der Pandemie waren die meisten Verstorbenen übergewichtig.
Also geht es nicht bloss um die gute Figur?
Es geht nicht ums Aussehen, sondern um Gesundheit. Studien zeigen, dass Menschen mit diesem Wirkstoff nicht nur Gewicht verlieren, sondern dadurch auch grössere Überlebenschancen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben.
Was ist mit den Nebenwirkungen?
Die gibt es. Meist handelt es sich um Übelkeit, Verstopfung oder Bauchschmerzen. Das vergeht aber in der Regel mit der Zeit und lässt sich über die Dosierung steuern. Wichtig ist, dass die Behandlung gut begleitet wird. Problematisch ist: Man verliert nicht nur Fett, sondern auch Muskelmasse. Bei jungen Menschen ist das meist nicht so schlimm, bei Älteren muss man gut abwägen, wann der Einsatz sinnvoll ist.
Marc Donath ist ehemaliger Chefarzt der Klinik für Endokrinologie, Diabetes und Metabolismus am Universitätsspital Basel sowie designierter Medical Director des Diabeteszentrums am Universitätsspital Montréal, Professor an der Universität Montréal und stv. Leiter der Clinical Trial Unit am Kantonsspital Baden.
Marc Donath ist ehemaliger Chefarzt der Klinik für Endokrinologie, Diabetes und Metabolismus am Universitätsspital Basel sowie designierter Medical Director des Diabeteszentrums am Universitätsspital Montréal, Professor an der Universität Montréal und stv. Leiter der Clinical Trial Unit am Kantonsspital Baden.
Wie wirkt das Medikament genau?
Man spritzt sich ein Hormon, das der Körper eigentlich selbst produziert – das sogenannte GLP-Hormon, ein Sättigungshormon. Der Körper signalisiert dadurch: Ich bin satt. Jeder kennt das Gefühl nach einem üppigen Mahl. Wenn man sich überessen hat, kann das unangenehm sein. So fühlt man sich dann ständig. Man nimmt dann ab, weil man weniger zu sich nimmt. Mit der Spritze kommt also auch ein Verzicht.
Manchen geht es auch emotional schlecht. Warum?
Das Medikament verändert unsere Beziehung zu Genuss. Essen ist mehr als Kalorienaufnahme – es bedeutet auch Trost, Kultur, Ritual. Ich gönne mir manchmal auch ein Stück Schokolade, wenn es mir nicht so gut geht. Wenn das plötzlich wegfällt, kann es sich merkwürdig anfühlen. Darum ist es wichtig, bewusst und genussvoll essen wieder zu lernen – gerade Menschen mit Übergewicht haben das oft verlernt.
Es gibt Berichte, dass mit der Abnehmspritze allgemein die Lust vergeht – sogar auf Sex.
Diese Medikamente greifen tief in unser Belohnungssystem ein. Es gibt Hinweise, dass Menschen weniger Craving empfinden – nicht nur auf Essen, sondern auch auf Alkohol, Nikotin oder eben Sex. Aus meiner Praxis kenne ich aber eher das Gegenteil: Viele entdecken ihre Sexualität wieder neu.
Wie das?
Mit dem Gewichtsverlust verbessert sich das Körperbewusstsein. Man fühlt sich wohler in der eigenen Haut. Und man darf nicht vergessen, wie stigmatisiert Übergewicht ist. Dahinter steckt aber oft mehr als mangelnde Disziplin – viele Betroffene haben traumatische Erfahrungen gemacht oder kämpfen mit psychischer Belastung. Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle.
Was halten Sie davon, wenn sich Normalgewichtige das Medikament spritzen, um in Grösse 36 zu passen?
Das ist ein heikles Thema. Natürlich ist es menschlich, gut aussehen zu wollen – und wir leben in einer Gesellschaft mit extremen Schönheitsidealen, das erzeugt enormen Druck. Wichtig ist, dass die Kosten in solchen Fällen selbst getragen werden und eine medizinische Begleitung erfolgt.
Ab wie vielen Kilos zu viel ist denn eine solche Spritze sinnvoll?
Das hängt vom Einzelfall ab. Ich hatte einen Patienten, der damit zehn Kilo abgenommen hat – mit dem Effekt, dass sich sein Blutdruck und Cholesterinspiegel normalisiert haben. Er konnte dadurch zwei andere Medikamente absetzen.
Was passiert, wenn man das Medikament wieder absetzt? Droht der Jojo-Effekt?
Meistens ja. Studien zeigen, dass das Gewicht häufig zurückkommt – ausser man bewegt sich viel und achtet konsequent auf die Ernährung. Es wird bereits an neuen Medikamenten geforscht, die das verhindern sollen.
Wäre es nicht sinnvoller, ohne Medikamente abzunehmen?
Das wäre sicher der beste Weg. Aber es ist extrem schwierig. Aus meiner Erfahrung schaffen es nur etwa ein Prozent der Betroffenen, ihre Ernährung und Lebensweise langfristig so umzustellen, dass sie dauerhaft schlank bleiben.
Haben Sie den Wirkstoff selbst ausprobiert?
Ja, einmal – um besser nachvollziehen zu können, wie es den Patientinnen und Patienten damit geht. Angenehm ist es nicht.