Darum gehts
- EU plant Chatkontrolle: Messenger sollen Nachrichten vor Versand scannen
- Signal, Whatsapp und Threema lehnen Pläne ab, drohen gar mit EU-Marktaustritt
- Über 300 Sicherheitsforscher bezeichnen die Technik bereits als zutiefst fehlerhaft
Die Europäische Union will private Chats durchleuchten. Der Plan: Messengerdienste wie Whatsapp, Signal oder das Schweizer Threema sollen eine Scanning-Software in ihre Apps einbauen. Diese durchsucht alle Nachrichten, Fotos und Videos – bevor sie verschlüsselt und verschickt werden. Offizielles Ziel: Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch aufzuspüren und deren Verbreitung zu verhindern.
Am 14. Oktober 2025 sollte der EU-Ministerrat darüber abstimmen. Doch die Entscheidung wurde verschoben. Deutschland enthielt sich bisher der Stimme, könnte jetzt jedoch zum Zünglein an der Waage werden, wie deutsche Medien berichten.
Wie soll die Chatkontrolle funktionieren?
Zur Diskussion steht das sogenannte Client-side-Scanning. Heisst: Smartphones würden jeden Inhalt einer Nachricht mit einer Datenbank abgleichen, bevor sie verschickt wird. Schlägt die Software Alarm, landen Inhalt und Nutzerdaten bei den Behörden. Das Problem: Damit wird die sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ausgehebelt. Dabei können bisher nur Sender und Empfänger eine Nachricht lesen.
Messenger denken an Wegzug
Meredith Whittaker, Chefin des Messengerdienstes Signal, sagt der Deutschen Presseagentur (DPA): «Wenn wir vor die Wahl gestellt würden, entweder die Integrität unserer Verschlüsselung zu untergraben oder Europa zu verlassen, würden wir den Markt verlassen.»
Auch Whatsapp, das zu Meta gehört, lehnt die Pläne ab. Eine Sprecherin warnt auf Netzpolitik.org: «Der neueste Vorschlag untergräbt die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und gefährdet die Privatsphäre, Freiheit und digitale Sicherheit aller.» Der Schweizer Messenger Threema teilt diese Kritik. «Wir sind entschieden gegen Massenüberwachung in jeder Form», sagt Pressesprecher Philipp Rieger gegenüber der Plattform. Threema kündigte an, im Ernstfall rechtliche Schritte zu prüfen und ebenfalls einen Rückzug aus der EU zu erwägen.
Hintertür für alle
IT-Experten warnen vor einem Sicherheits-Albtraum. Denn diese Hintertür im System kann nicht nur von Behörden genutzt werden. «Man kann keine Hintertür schaffen, auf die nur die Guten Zugriff haben», kritisiert Signal-Chefin Whittaker auf X.
Über 300 internationale Sicherheitsforscher bezeichneten die Technik in einem offenen Brief bereits 2023 als «zutiefst fehlerhaft». Und der juristische Dienst des EU-Rats hält die Pläne für potenziell rechtswidrig. Deutschlands Datenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider erklärt auf Netzpolitik.org: «Das sind Bereiche, in die wir nicht gehen können und niemals gehen sollten.»
Folgen für Schweiz
Obwohl die Schweiz nicht EU-Mitglied ist, wären wohl auch wir betroffen. Denn die Verordnung gilt für alle Unternehmen, die ihre Dienste in der EU anbieten. Würde Whatsapp die Scanning-Software EU-weit einbauen, würde sie auch auf Schweizer Handys landen. Martin Steiger, Anwalt für IT-Recht, sieht eine gefährliche Dynamik: «Neue Überwachungsmöglichkeiten im Ausland wecken erfahrungsgemäss Begehrlichkeiten bei den Behörden in der Schweiz», sagte er 2024 zu Blick, als die Chatkontrolle das letzte Mal Thema war. Früher oder später würden diese Möglichkeiten auch hierzulande eingeführt, so seine Befürchtung.
Kinderschutz als Vorwand?
Befürworter der Chatkontrolle argumentieren mit dem Kinderschutz. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson spricht von einer «Online-Pandemie». Doch selbst Kinderschutzorganisationen lehnen die Pläne ab. Der Deutsche Kinderverein nennt sie einen «massiven Eingriff in rechtsstaatliche Prinzipien». Kritiker fordern stattdessen mehr Personal bei Ermittlungsbehörden, bessere Prävention und gezielte Ermittlungen mit richterlichen Beschlüssen.
Wie geht es weiter?
Nach der Verschiebung steht für die Abstimmung noch kein neuer Termin fest. Sollte der EU-Ministerrat dem Vorhaben zustimmen, würden EU-Kommission, Ministerrat und EU-Parlament in sogenannten Trilog-Verhandlungen über die finale Fassung verhandeln. Die Europäische Union berät bereits seit drei Jahren über das Gesetz.