Chefarzt Stefan Vetter erklärt, wie man mental am besten mit dem Ukraine-Krieg umgeht
«Den meisten Menschen tut es gut, über ihre Sorgen zu reden»

Putins Truppen greifen nach wie vor die Ukraine an. Welche Auswirkungen hat dieser Krieg auf die Psyche? Und wie geht man mit der mentalen Belastung am besten um? Genau das haben wir Chefarzt Stefan Vetter von der psychiatrischen Uniklinik Zürich gefragt.
Publiziert: 08.04.2022 um 14:21 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2022 um 14:23 Uhr
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Stefan Vetter, Leiter des Zentrum für soziale Psychiatrie und Zentrum für integrative Psychiatrie der Psychiatrischen Uniklinik Zürich, gibt den Leserinnen und Lesern Tipps.
Foto: © FABIAN BIASIO
Emilie Jörgensen

Am 24. Februar 2022 begann die russische Invasion in die Ukraine. Seitdem werden die Angriffe zunehmend härter und brutaler – und vor allem nicht weniger.

Der Konflikt sorgt bereits seit Wochen für weltweite Empörung und Unverständnis. Nicht zuletzt bleibt vor allem eines: grosse Unsicherheit.

Blick hat bei den Leserinnen und Lesern nachgefragt, wie sie mit dem Krieg in der Ukraine umgehen. Klar ist, für viele der Community ist es schwierig, die negativen Schlagzeilen auszublenden.

Wie geht die Blick-Community mit dem Krieg um?

«Ich kann im Moment nicht gut abschalten, mich beschäftigt das Ganze sehr», schreibt Leserin Morena dazu. Doch wie gehen wir mit solchen Sorgen am besten um?

Stefan Vetter (57), Leiter des Zentrums für soziale Psychiatrie und Zentrum für integrative Psychiatrie der Psychiatrischen Uniklinik Zürich, gibt Tipps, wie die Leserinnen und Leser diese mentale Belastung besser bewältigen können.

Leserin Morena rät er daher, die Neuigkeiten rund um den Konflikt in kleinen Portionen aufzunehmen. «Man sollte die Bilder und News nicht konsequent wegdrücken. Man soll sich aber lieber auf die wichtigsten Ereignisse konzentrieren, und sich fixe Zeiten einplanen, wann man diese News konsumieren will», rät der Experte.

«Ich komme kaum aus dem Haus»

Angst und Unsicherheit lösen oft den Reflex aus, sich zu schützen: Sie bauen sich einen Eigenschutz auf. «Den meisten Menschen tut es gut, über ihre Sorgen zu reden. Rund 70 Prozent suchen sogar bewusst das Gespräch. Die anderen 30 Prozent gehen lieber alleine spazieren oder ziehen sich zurück.»

Auch Leser Dragan drückt der Krieg auf die mentale Gesundheit. Er erzählt: «Mir geht es psychisch sehr schlecht, dieser Krieg macht mich fertig. Ich komme kaum aus dem Haus.» Für Vetter ist dies kein Einzelfall. «In solchen Krisenzeiten kann es sein, dass man psychomotorisch gehemmt wird. Das heisst, man hat keinen Antrieb, um raus zu gehen, und bleibt lieber zu Hause.»

Vetter rät Leser Dragan, sich langsam wieder aus seinen vertrauten Wänden zu bewegen. «Am besten verlässt man das Haus zu Tageszeiten, während denen zum Beispiel nur wenige Menschen auf der Strasse anzutreffen sind», sagt Vetter. So könne man sich laut dem Experten besser und langsamer daran gewöhnen, wieder zurück ins alltägliche Leben zu kommen.

Einzelpersonen können ebenfalls viel bewirken

Schwierigkeiten mit der aktuellen Situation hat auch Leser David Glaube. «Wenn etwas Negatives kommt, schalte ich sofort weg. Ist schon ein Eigenschutz, denn ich kann ja sowieso nichts ändern», sagt er. Doch wie hilfreich ist dieser Eigenschutz? Das sofortige Wegschalten befürwortet der Experte Vetter nicht. Er geht lieber auf den Rat an Leserin Morena zurück: nämlich der bewusste Konsum der Informationen.

Doch kann man wirklich nichts an der Situation ändern? «Doch, auch als Einzelperson kann man vieles verändern. Man kann zum Beispiel Produkte und Güter dieser Länder boykottieren, die diesen Konflikt ausgelöst haben», rät er.

Leser begleiten Wut, Trauer und Hoffnungslosigkeit

Das Gefühl von Hilflosigkeit kennt auch er: Leser Beat Kast. «Oft begleiten mich Wut, Trauer, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Unverständnis.» Ihm hilft es aber, aktiv dagegen anzugehen. «Wir haben Hilfsgüter gesammelt und gespendet. Auch habe ich bei meinem Arbeitgeber zu Spenden aufgerufen. Solche Sachen geben mir etwas Mut und Befriedigung in dieser tristen Zeit», erzählt Kast.

Sollten die Gefühle von Wut und Trauer aber zu viel werden, rät Vetter, sich an eine Notfallseelsorge, oder Die Dargebotene Hand, zu wenden. «Diese Anlaufstellen haben jahrelange Erfahrung im Bewältigen von Trauer.»

Gutes Körpergefühl hilft der mentalen Gesundheit

Zu guter Letzt empfiehlt Stefan Vetter auch, auf den Körper zu schauen. «Dabei können Übungen der progressiven Muskelentspannung sehr helfen», rät er. «Durch zu viel Stress versteift oft der Nacken, Rücken und weitere Körperteile. Übungen, die dem entgegenwirken, können auch helfen, die Atmung zu beruhigen und negative Gedanken einfacher zu lösen.»

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