Was ist nur aus Italiens Autoindustrie geworden?
Auto-Italien liegt im Sterben

Italiens Automarken stecken in einer tiefen Krise. Wie es dazu kam und warum noch immer Hoffnung besteht. Stile e Grandezza dürfen nicht sterben.
Publiziert: 06:10 Uhr
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Erstmals gezeigt wurde der Ferrari 250 P5 ...
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Darum gehts

  • Auto-Italien liegt im Sterben – Stellantis-Konzern beweist das Scheitern globaler Autokonzerne
  • Fiat, Alfa Romeo und Lancia kämpfen mit sinkenden Verkaufszahlen und Produktionsstillständen
  • Fiat erreichte 1968 in Italien einen Marktanteil von über 50 Prozent
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Arthur Konrad

Wenn es um Auto-Italien geht, muss ich sehr früh beginnen. Im Frühsommer 1975. Mein erwachsen gewordener Cousin hatte mir seine Matchbox-Modellautosammlung vermacht. Es befanden sich viele begehrenswerte Stücke darin, aber ein Modell schloss ich sofort ins Herz – und habe es bis heute darin behalten. Der Lack war damals schon ziemlich weg und die Plexiglaskuppel verschrammt – trotzdem sah das Ding für mich hinreissend aus. Aber es war mir völlig unbekannt. Zum Glück stand auf der Bodenplatte der Name: Ferrari P5.

Erstmals gezeigt wurde der Ferrari 250 P5 als Unikat und Showcar von Pininfarina am Genfer Autosalon 1968. Die Tragik: Weil mit einem nicht funktionierenden F1-Zwölfzylinder im Heck ausgerüstet, fuhr die Studie keinen Meter aus eigener Kraft und wurde deshalb nach ihrer Autosalon-Karriere wieder zerlegt. Man hatte es damals noch nicht so mit dem Erkennen von Legenden. Sie passierten einfach. Auto-Italien war kreativ und kräftig.

Fiat hatte über 50 Prozent Marktanteil

Die Geschichte des P5 soll erzählen, wie opulent es einst in Auto-Italien zuging. Dank des wirtschaftlichen Erfolgs von Italiens Autoindustrie. 1968 erreichte Fiat in seiner Heimat einen Marktanteil von über 50 Prozent – Alfa Romeo und Lancia noch nicht mitgezählt. Heute schaffen die Italo-Marken beim Heimspiel zusammen keine 10 Prozent mehr.

Auto-Italien liegt praktisch im Sterben. Was ist passiert? Die verkürzte Antwort lautet: Stellantis. Ein 14-Marken-Gebilde aus italienischen, französischen und amerikanischen Managern, mit dem eigentlich nur bewiesen wird, dass die Idee des globalen Autokonzerns noch nie funktioniert hat. Deutsche Marken werden wegen deutscher Ingenieurskunst gekauft, japanische Hersteller punkten mit japanischer Sachlichkeit und Präzision. Und wofür steht noch mal Stellantis?

Aber genau genommen begann der Untergang schon 2018 mit dem Tod von Sergio Marchionne (1952–2018). Der damalige Fiat-CEO brockte dem Konzern zwar das Chrysler-Desaster ein, hatte aber auch bestechende Visionen für die europäische Modellpalette. Seit dem Ende der Ära Marchionne sind die Fiat-Verkäufe um zwei Drittel zurückgegangen, und die Alfa-Zahlen wurden halbiert. In sieben Jahren!

Als Konsequenz standen diesen Herbst wochenlang die Fertigungsbänder still. Die Lagerbestände bei den Händlern sind so gross, dass derzeit in der Schweiz der Fiat Pandina und mit Giulia, Tonale und Stelvio drei Viertel von Alfas Modellpalette nicht konfigurierbar sind. Lancia war zwischendurch scheintot, und die Wiederbelebung der traditionsreichen Marke macht bei weitem nicht die geplanten Fortschritte. Zu bewundern sind die Händler, die in diesem Chaos den Marken trotzdem die Treue halten. Denn ein Arzt würde eine ganz besorgte Miene aufsetzen, um den Angehörigen mitzuteilen, dass sie sich aufs Schlimmste gefasst machen sollten.

Auto-Italien wurde zu viel von seiner Substanz genommen

Also noch einmal: Was ist passiert? Die komplexere Antwort lautet, dass Auto-Italien wohl zu viel von seiner einstigen Substanz genommen wurde. Stil, Grandezza, Ingenieurskunst. Und letztlich auch Qualität. Nicht lachen! Ein ursprünglicher Fiat 500 war in seiner Einfachheit ein praktisch unzerstörbarer Massenmobilisierer. Der 124 wurde aufgrund seiner Robustheit zum Welterfolg. Für eine adäquate Lobpreisung von Stil und Grandezza italienischer Automobile ist hier leider zu wenig Platz.

Zur Ingenieurskunst nur so viel: Der 2002 war ein Geniestreich, der BMW rettete. Aber eine Alfa Giulia war früher da, konnte technisch in jeder Beziehung auf Augenhöhe mithalten und hatte den tausendmal besseren Sound. Der Alfa 164 mit dem formidablen Busso-V6 war die eleganteste, inspirierendste Limousine, die man zu ihrer Zeit haben konnte. Lancia baute wunderbare technische Kunstwerke, und der erste PW-TDI-Diesel lief nicht in einem Audi, sondern im Fiat Croma.

Wo sind diese Innovationskraft, diese Stilsicherheit, dieser Mut geblieben? Dass Auto-Italien noch eine – vermutlich wohl letzte – Chance hat, zeigt das Beispiel Ferrari. Während man sich um Porsche langsam ernsthaft Sorgen machen muss, feiert Ferrari Umsatzrekorde. Sie sind das Ergebnis eines mit viel Kraft und relativ wenig Fehlern aufgebauten Markenimages. Weitere Beispiele, die Hoffnung geben: Die Alfa-SUVs sind die schönsten ihrer Gattung, leiden aber unter den teils lächerlichen technischen Schwächen der Stellantis-Plattformen. Hier zeigt sich, dass Fiat und Alfa viel zu sehr den Bezug zu ihrem Markenkern verloren haben. Bei Fiat stimmt das Preis-Leistungs-Gefüge nicht, Alfa-SUVs fahren sich so indifferent wie ein Opel.

Dacia macht vor, wie smarte, preiswerte und doch grundsolide Autos gehen. Daran sollte sich Fiat ein Beispiel nehmen. Nach diesem Prinzip funktionierten schliesslich auch der Panda und die letzte, leider stark unterschätzte Version des Tipo.

Die Autowelt in Bella Italia muss an ihre Wurzeln anknüpfen

Der neue Lancia Ypsilon stellt vieles dar, wofür die Marke einst stand. Das Ding hat klar den Will-haben-Faktor. Obwohl seit fast zwei Jahren auf dem italienischen Markt, will aber die Vermarktung im deutschsprachigen Raum einfach nicht in Schwung kommen – wohl aufgrund der akuten Finanzschwäche von Stellantis. Der Ypsilon und der 2026 folgende Gamma haben jedenfalls das Zeug, die stärksten Charakterdarsteller im Stellantis-Gemischtwarenladen zu werden.

Denn eines ist sicher: Die Autowelt in Bella Italia ist nur zu retten, wenn sie es schafft, an die Wurzeln anzuknüpfen. Hoffnung gibts, denn beim Autokauf gehts noch immer um Träume und Bilder im Kopf. Und manchmal auch um zerkratzte Automodelle auf dem Schreibtisch.

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