Elektrotechnik macht Autos immer stärker und schneller
Technischer Fortschritt oder sinnbefreite Leistung?

Technischer Fortschritt in Ehren – aber langsam betreiben die Autohersteller bei ihren Topmodellen einen Grad von technischem Overkill, bei dem die Sinnfrage erlaubt sein muss.
Publiziert: 06:05 Uhr
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Damals hatten vom 660 PS starken und nur 1365 Kilogramm schweren Ferrari Enzo Ferrari selbst gestandene Autoprofis einen Mordsrespekt.
Foto: ZVG

Darum gehts

  • Supersportwagen: Von technischer Raffinesse zu sinnbefreiter Leistungsprotzerei und Poser-Kisten
  • Power-Kombis mit extremer Leistung haben im Strassenverkehr nichts verloren
  • BMW M5 Touring wiegt 2550 Kilogramm, 600 Kilogramm mehr als sein Vorgänger
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Arthur Konrad

Ich will ja nicht bluffen. Aber bis vor ein paar Jahren habe ich sie (fast) alle gefahren, berufsbedingt. Über meinem Schreibtisch hängt das Telemetriediagramm meiner Ferrari-Enzo-Runde in Fiorano (I). 660 Sauger-PS trafen auf 1365 Kilogramm Highesttech. Ehrlich gesagt hatte ich in freier Wildbahn ausserhalb des Werksgeländes nicht nur einen Mordsrespekt, sondern eigentlich auch eine Scheissangst vor dem Ding. Zu wenig Talent meinerseits, leider.

Der kurz darauf folgende F430 liess sich viel einfacher bewegen, lag näher an meinen persönlichen Möglichkeiten und machte mir daher um ein Vielfaches mehr Spass – und darauf kommt es ja an. Auf der Ferrari-Werkstrecke von Fiorano war der 430 lächerliche zwei Sekunden langsamer als der Enzo – trotz 200 PS weniger Leistung.

Ungefähr damals, so vor 20 Jahren, begannen die Dinge furchtbar aus dem Ruder zu laufen. Gefühlt hörte der Spass bei etwa 500 PS auf, und die sinnbefreite Leistungsprotzerei begann. Da konnte der damalige «Top Gear»-Star Jeremy Clarkson seine Ohhs und Ahhs über A wie AMG bis Z wie Zenvo (ja, den gab es wirklich) noch so laut ins Mikro brüllen. Die vorgeblichen Leistungstests passierten nur in Form von Rauchschwaden und wilden Drifts in den Weiten eines Flugplatzgeländes.

Dabei ist die Heimat eines Sportwagens ein abgelegenes Landsträsschen. Man erfreut sich an der Exaktheit des Fahrwerks, an der Unmittelbarkeit des Gaseinsatzes, am Sound. Und am besten auch noch am Geruch einer frisch gemähten Wiese. Solange man noch halbwegs bei Sinnen ist, lassen sich in einer solchen Umgebung maximal 30 Prozent der Leistung eines heutigen Supersportwagens nutzen.

Die Heimat der aktuellen PS-Monster scheint dagegen eher die Auffahrt zum Casino von Monte Carlo zu sein, wo dann betagte Herrschaften mit ihren jung gebliebenen Begleitungen mehr oder weniger elegant aus den Cockpithöhlen steigen – so viel Klischee muss sein.

Vergifteter Wahnsinn

Damit soll in aller Härte gesagt sein: Die einstige technische Raffinesse der Supersportwagen wurde vom Elektroboost völlig vergiftet. Bei Bugatti gibt man sich immerhin noch die Mühe, die derzeit maximalen 1600 PS aus einem irrwitzigen W16-Vierfachturbo-Kunstwerk zu quetschen. Bei Vollgas 180 Liter auf 100 Kilometer, das ist noch süsser Wahnsinn à la Ferdinand Piëch. Aber der vollelektrische Rimac Nevera R? 1914 PS? Da stellt sich nur die Frage: Jungs, warum hat es nicht für 2000 PS gereicht? Nachsitzen! Derzeit lässt sich das inzwischen traurige Kapitel der Mega-Supersportler so zusammenfassen: Sie sind im Grund zu Garagenschläfern und puren Poser-Kisten verkommen – und gerade deshalb irgendwie harmlos.

Damit stellt eine andere Kategorie die absolut unnötigste Art des technischen Overkills dar: die Powerkombis, zum Beispiel von Audi (RS6 mit 630 PS), BMW (M5 Touring mit 727 PS) oder Mercedes (AMG E53 mit 585 PS). Bei ihnen existiert ein echter Alltagsanspruch – und eben deshalb haben ihre Leistungswerte im Strassenverkehr eigentlich nichts verloren.

Formel 1 im Alltag

Eines der besten aktuellen Beispiele für einen aufregenden Alltagswagen ist dagegen der Audi RS3, der mit 400 PS für alle Lebenslagen ausreichend motorisiert sein sollte. Viel wichtiger ist jedoch, dass der kernige, fünfzylindertypische Sound auch nach 100’000 Kilometern noch garantiert für Hühnerhaut sorgt. Mir persönlich wäre ein RS6 mit diesem Motor viel lieber als der V8-Bomber.

Aber es ist halt einfacher so für die Ingenieure. Aus der Kombination V8 plus Turbo plus E-Unterstützung lässt sich praktisch jede beliebige Leistung herauspressen: 500, 600, 700 PS – oder darfs noch ein bisschen mehr sein? Das Zusammenspiel von 4x4, E-Motoren und hohem Gewicht – dazu kommen wir noch – erzeugt so viel Druck auf die Räder, dass die Beschleunigungswerte im unteren Bereich, also dort, wo der Strassenverkehr stattfindet, fast schon F1-Dimensionen erreichen. Aber hat wirklich jeder, der das Geld für einen BMW M5 oder Audi RS6 hat, auch das Talent eines F1-Piloten?

Wo bleibt der Fortschritt?

Übrigens: Ein schlauer Influencer kam auf die Idee, den Verbrauch auf deutschen Autobahnen zu messen. Er fuhr den BMW M5 artgerecht – volles Rohr, wo immer es ging. Am Ende resultierte ein Verbrauch von knapp 20 Litern bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 110 km/h. Mein Mercedes 500 SE, Baujahr 1981, schafft auf derselben Strecke vermutlich einen ähnlichen Schnitt bei gleichem Verbrauch. Das Rätsel des fehlenden Fortschritts könnte in der bewegten Masse stecken. Der M5 Touring wiegt nach EU-Norm stolze 2550 Kilogramm und damit – aufgrund der Plug-in-Hybrid-Technologie – rund 600 (!) Kilogramm mehr als sein Vorgänger.

Spätestens nach dem furiosen Beschleunigungsvorgang folgt eine Lehrstunde in Physik. Bekanntlich definiert sich die kinetische Energie eines Körpers proportional zu seiner Masse und proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit. Und auf der Bremse will die Wucht von 2,5 Tonnen noch immer auf vier handflächengrossen Gummistücken abgearbeitet werden. Bei jedem Wetter, unter allen Strassenbedingungen.

Kleines Aperçu zum Schluss: Als 1980 der erste Audi Quattro auf den Markt kam, war die Automobilwelt vom damals revolutionären Vortrieb fasziniert. Am Ende wurden dreimal mehr vordere Stossstangen als Fahrzeuge verkauft ...

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