100 Jahre Citroën Schweiz: Alles ausser gewöhnlich
Von der Gangsterlimousine bis zum Hippie-Mobil

Als Citroën vor 100 Jahren die erste Schweizer Niederlassung eröffnet, sind europäische Grossserien-Hersteller noch rar. Was die Franzosen seit jeher auszeichnet: ungewöhnliche Kreationen mit Mut zur Innovation. Wir zeigen die wichtigsten Citroën aller Epochen.
Publiziert: 06.10.2024 um 15:59 Uhr
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Andreas EngelRedaktor Auto & Mobilität

Als André Citroën (1878–1935) am Abend des 24. September 1924 sein Glas erhebt, zählt seine fünf Jahre junge Automarke bereits zu einem der grössten Hersteller Europas. An der Rue du Mont-Blanc 3 in Genf wird an diesem Tag die erste Schweizer Citroën-Niederlassung gegründet. So vollumfänglich das Gebäude mit seinen Büroflächen, Ausstellungsräumen, den Verkaufsstellen und dem grossen Werkstattbereich im Untergeschoss eingerichtet ist, so pompös wird später gefeiert: Am abendlichen Bankett sollen nicht weniger als 16 Gänge serviert worden sein!

Bis André Citroën mit dem Bau von Autos beginnt, hat er schon viel Geld mit Zahnrädern (daher auch der Doppelwinkel im Logo) und Granaten verdient. Nach dem Vorbild des Model T von Ford in Amerika lässt Citroën sein Erstlingswerk Typ A ab 1919 effizient und kostensparend am Fliessband bauen und wird mit über 100 Autos am Tag zum ersten europäischen Grossserien-Hersteller. Citroën gilt zudem als Werbe-Pionier: Ab 1921 lässt er 165'000 Verkehrsschilder und Wegweiser in ganz Frankreich aufstellen, geschmückt vom Untertitel: «Don de Citroën» – gestiftet von Citroën. Ab 1922 bilden 250'000 Glühbirnen am Pariser Eiffelturm zwölf Jahre lang einen riesigen Citroën-Schriftzug, der so hell leuchtet, dass sich Pilot Charles Lindbergh (1902–1974) bei der ersten Atlantik-Überquerung mit einem Flugzeug 1927 daran orientiert! Ach ja: Autos baut Citroën nebenbei natürlich weiter – und das ziemlich erfolgreich.

1922 – Typ C

An der Rue du Mont-Blanc 3 in Genf wird im September 1924 die erste Schweizer Citroën-Niederlassung gegründet.
Foto: Archives Terre Blanche / Photononstop
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Der nur in Gelb verkaufte Typ C ist gar so erfolgreich, dass Opel die «Zitrone» frech kopiert und daraus den nur grün lackierten 4/12 PS macht – daher rührt auch der Spruch: «Dasselbe in Grün». Der im Volksmund «Laubfrosch» genannte Opel fährt als erstes deutsches Auto aus Fliessbandproduktion ebenfalls zum Grosserfolg.

1934 – Traction Avant

Mit dem ersten Serienmodell mit Frontantrieb – französisch «Traction Avant» – setzt Citroën ab 1934 neue technische Massstäbe.
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Dass Citroëns robust sind, beweist der Hersteller schon in den 1920er-Jahren, als acht Fahrzeuge Afrika von Algerien bis Madagaskar erfolgreich durchqueren. Wenige Jahre später brechen 35 Citroën werbewirksam zu einer Weltreise von Paris nach Peking auf. Fahrerisch setzt Citroën mit dem ersten Serienmodell mit Frontantrieb – französisch «Traction Avant» – Massstäbe: Vor der selbsttragenden Karosserie hängen Motor und Getriebe im Hilfsrahmen. Tiefer Schwerpunkt, breite Spur und langer Radstand sorgen für eine ausgezeichnete Strassenlage, was den Traction Avant auch bei Verbrechern als Fluchtfahrzeug beliebt macht. Das Modell erhält deshalb schnell den Spitznamen «Gangsterlimousine». So gut der Traction Avant technisch auch ist – die hohen Entwicklungskosten führen André Citroën und seine Firma noch im Jahr der Lancierung in den Konkurs. Der Gründervater stirbt im Sommer 1935 an den Folgen eines Tumors – und Pneuhersteller Michelin übernimmt.

1948 – 2CV

Der 2CV mobilisierte ab 1948 ganze Generationen.
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Pierre-Jules Boulanger (1885–1950), einer der beiden neuen Chefs, will seine Idee eines einfachen Autos für die Landbevölkerung umsetzen, muss bis zur Vorstellung des 2CV aber bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs warten. Boulangers Vorgaben an seine Ingenieure: «Entwerfen Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein bietet, mindestens 60 km/h schnell ist und dabei nur drei Liter Benzin auf 100 km verbraucht.» Anfangs belächelt, fährt der Döschwo mit luftgekühltem Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor in die Herzen von Millionen Fans und motorisiert bis 1990 nicht nur Bauern, sondern auch Studentinnen, Hippies und Arbeiter. Auf dem 2CV bauen weitere bekannte Citroën-Modelle wie Dyane, Ami und Méhari auf. Wer mehr Platz brauchte, wählte die Kastenente («Fourgonnette») oder den nicht weniger legendären Transporter Typ H.

1955 – DS

Als Citroën die DS erstmals am Pariser Autosalon der Weltöffentlichkeit präsentiert, ...
Foto: CITROËN COMMUNICATION
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Das Wortspiel, dass DS sich wie «La Déesse», also «die Göttin» ausspricht, war kein Zufall: Als Citroën die DS erstmals am Pariser Autosalon der Weltöffentlichkeit präsentiert, wirkt ihre vom Designer Flaminio Bertoni gestaltete Hülle in den biederen 1950er-Jahren wie von einem anderen Autostern – bis Messeende sind bereits 80'000 Verkaufsverträge unterzeichnet! Mit ihrer hydropneumatischen Schwebefederung setzt die DS auch technisch Massstäbe und geht nach 20 Jahren Bauzeit als automobile Ikone in die Geschichtsbücher ein.

1970 – SM

Das futuristisch designte Sportcoupé SM war windschnittig und dank Maserati-V6 gut motorisiert.
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Dass mit SM auch Sadomasochismus abgekürzt wird, hatten die Köpfe hinter dem Oberklasse-Sportcoupé 15 Jahre nach der DS hingegen nicht auf dem Schirm. Der futuristisch designte SM mit einem damals sensationell tiefen cW-Luftwiderstandswert von 0,33 (u.a. Nummernschild hinter Plexiglas) gilt 1970 dank seines V6-Motors der damaligen Firmentochter Maserati gar als schnellstes bis anhin gebautes Serienauto mit Frontmotor (Spitze: 220 km/h). Doch «Sa Majestié» («Ihre Majestät»), wie Fans der Marke bald scherzen, leidet unter chronischen Qualitätsproblemen und wird auch kommerziell zum Desaster: 1974 wird Citroën von Konkurrent Peugeot übernommen.

1974 – CX

Als letzter «echter» Citroën vor der Peugeot-Ära gilt daher der SM-Nachfolger CX.
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Als letzter «echter» Citroën vor der Peugeot-Ära gilt daher der SM-Nachfolger CX. Die flotte und zugleich sparsame Mittelklasse-Limousine verkauft sich blendend (fast 1,2 Mio. Stück bis 1991) und erreicht in der «Break» genannten Kombi-Ausführung mit gigantischem Laderaum sogar Kultstatus. Als Nachfolger wird 1989 der innovative XM vorgestellt (u.a. erster Serien-PW mit elektronisch gesteuertem Fahrwerk), der aber nicht an die Erfolge des CX anknüpfen kann.

2003 – C3 Pluriel

Der C3 Pluriel zeigt 2003, wie wunderbar verrückt Citroën immer noch sein kann.
Foto: zVg
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Ein Verkaufshit ist Citroën mit dem C3 Pluriel ebenfalls nicht gelungen. Aber die Sonderversion des ab 2002 verkauften Kleinwagens C3 zeigt, wie wunderbar verrückt Citroën immer noch sein kann. Der Cityflitzer lässt sich in wenigen Handgriffen zur Cabrio-Limousine, weiter zum Cabrio und sogar zum Pick-up umbauen. Nach sieben Produktionsjahren und kurzer Pause tritt das DS3 Cabrio 2013 in die Fussstapfen des einstigen «Cabrio des Jahres».

2014 – C4 Cactus

2014 zeigt Citroën mit dem C4 Cactus erneut, dass es nicht immer riesige Investitionen braucht, um innovativ zu sein.
Foto: GREG
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An den Flanken luftgefüllte Plastikbeulen – «Airbumps» oder «Airbömps», wie der Franzose sagt – gegen Rempler, die Federung wunderbar weich, durchgehende Loungebank (je nach Version) statt einzelner Vordersitze: Mit dem C4 Cactus traut sich Citroën erneut, einfach ganz anders zu sein. Der Pioniergeist zeigt sich Jahre später auch im neu aufgelegten Ami: Der 2,41 Meter kurze und maximal 45 km/h schnelle Elektro-Cityzwerg lebt ab 6400 Franken urbane Mobilität der Zukunft vor, während andere Hersteller nur von günstigen Stromern träumen können. Der erste vollwertige E-Kleinwagen aus europäischer Produktion kommt seit Sommer 2024 ebenfalls von Citroën: Wie einst der legendäre Döschwo die Massen mobilisierte, soll nun der neue ë-C3 elektrisches Fahren für alle erschwinglich machen. Ab unter 25'000 Franken bietet er über 300 Kilometer Reichweite, gepaart mit ansehnlichen Fahreigenschaften und gutem Raumangebot – Citroëns nächster Pionier?

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