Wieder Rücktritt des Premierministers
Frankreich erlebt in der Krise eine Polit-Pleite

Frankreichs Premierminister Sébastien Lecornu ist am Montag überraschend zurückgetreten. Emmanuel Macron steckt in der Klemme.
Publiziert: 15:43 Uhr
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Aktualisiert: 16:24 Uhr
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Sébastien Lecornu zahlte einen hohen Preis für seine Nähe zu Emmanuel Macron. Er trat am Montag zurück.
Foto: AFP

Darum gehts

  • Frankreichs Premierminister tritt zurück. Politische Krise verschärft sich
  • Emmanuel Macron ist zunehmend isoliert
  • Frankreichs Rekordverschuldung beträgt unglaubliche 3345 Milliarden Euro
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Richard WerlyKorrespondent Frankreich/Europa

Es ist keine politische Krise mehr. Es ist Chaos, in das Frankreich nach dem überraschenden Rücktritt seines Premierministers am Montag zu versinken scheint. Sébastien Lecornu (39) schmiss noch vor der ersten Sitzung des neuen Kabinetts, die für Montag angesetzt war, hin.

Er wird keine Grundsatzrede vor der Nationalversammlung halten. Emmanuel Macron (47), isolierter denn je im Élysée-Palast, sieht sich direkt infrage gestellt. Selbst die «gemeinsame Basis», der Block von Abgeordneten, die ihn unterstützen, ist in der Nacht von Sonntag auf Montag nach der Bekanntgabe der neuen Regierung explodiert.

Wer ist für das Chaos verantwortlich?

Für diese politische Niederlage gibt es drei Verantwortliche. Der erste ist natürlich der Präsident, der in Frankreich an der Spitze der Machtpyramide steht. Seit seiner höchst umstrittenen Entscheidung, die Nationalversammlung am 9. Juni 2024, am Abend der Europawahlen, der von der Niederlage seines Lagers geprägt war, aufzulösen, hat Emmanuel Macron vergeblich drei Regierungschefs ernannt.

Die ersten beiden, Michel Barnier (September bis Dezember 2024) und François Bayrou (Dezember 2024 bis September 2025), wurden von einer Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt. Der dritte, Sébastien Lecornu, der am 9. September ernannt wurde, konnte sein Amt nicht einmal richtig antreten. In einem beispiellosen und aussergewöhnlichen Schritt trat er zurück, noch bevor er die 18 Minister versammelt hatte, deren Namen am Sonntagabend bekannt gegeben wurden.

Verschuldung als Last

Der zweite Grund für diese Krise ist die finanzielle Situation des Landes. Frankreich geht es schlecht. Seine Rekordverschuldung von 3345 Milliarden Euro belastet die öffentlichen Finanzen in einem Land, in dem der Staat allgegenwärtig ist. Der Beweis? Michel Barnier hatte eine Kürzung der öffentlichen Ausgaben um 60 Milliarden Euro (56 Milliarden Franken) in Aussicht gestellt. Das ist gescheitert! François Bayrou schlug Einsparungen in Höhe von 44 Milliarden Euro vor. Ein Fehlschlag!

Kurz vor Rücktritt hatte Lecornu noch grosse Pläne
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Neue Methode der Machtteilung:Kurz vor Rücktritt hatte Lecornu noch grosse Pläne

Sébastien Lecornu sah sich einer unmöglichen Situation gegenüber. Hinzu kam die Rückkehr des ehemaligen Finanzministers Bruno Le Maire (56) in die Regierung. Er gilt als einer der Verantwortlichen für den plötzlichen Anstieg der Schulden unter Macron seit 2017 (zwischen 800 und 1000 Milliarden). Er war die Bombe, die alles in die Luft jagte. 

Le Maire war am Sonntag zum Verteidigungsminister ernannt worden. Der Mann, der aus dem rechten Flügel der «Republikaner» kam und den er verraten hatte, um sich Macron anzuschliessen. Es waren also die Schulden, die diese Totgeburtsregierung zu Fall brachten, obwohl dem Parlament bis zum 13. Oktober ein Haushaltsentwurf für 2026 vorgelegt werden muss.

Die Niederlage der «gemeinsamen Basis»

Der dritte Verantwortliche für diese politische Niederlage ist die «gemeinsame Basis», der zentrale Block, der den Präsidenten bislang unterstützte, aber in der Nationalversammlung in der Minderheit ist. Er reicht theoretisch von der traditionellen Rechten bis zur linken Mitte. Er scheiterte jedoch mehrfach an den Sozialisten, deren Unterstützung entscheidend ist. Sie waren nicht bereit, einige Massnahmen umzusetzen, wie die Besteuerung der Reichsten oder die Aufhebung der im April 2023 verkündeten Rentenreform.

Der «Zentralblock» ist also nach rechts gerückt. Sein Überleben hing von der Unterstützung der «Republikaner», der ehemaligen Partei von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy (70) und Ex-Premierminister François Fillon (71), ab. Diese zogen jedoch in den Stunden nach der Bekanntgabe der Regierung den Stecker. Parteichef und Innenminister Bruno Retailleau (64) weigerte sich, die Rückkehr von Bruno Le Maire in die Regierung zu unterstützen. Das Spiel war aus. Die Explosion hatte alles mit sich gerissen.

Ein hilfloser Präsident

Der vierte Punkt, der bei dieser politischen Niederlage zu beachten ist und der Emmanuel Macron bis zum Ende seiner Amtszeit im Mai 2027 in einen macht- und mittellosen Präsidenten verwandelt: Zwei Parteien gehen als Sieger aus dieser Krise hervor. Die Rechtspopulisten vom Rassemblement National und La France Insoumise, die radikale Linke. Beide forderten von Anfang an eine erneute Auflösung der Nationalversammlung. Beide fordern den Rücktritt von Emmanuel Macron.

Die politische Explosion, die sich gerade ereignet hat, gibt ihnen recht. Auch die Sozialisten, die Sébastien Lecornu ihre Unterstützung verweigert haben, können darauf hoffen, aus dieser Niederlage als Sieger hervorzugehen.

Kurzum: Die politisch Radikalisierten in Frankreich sind die Sieger. Emmanuel Macron wird pulverisiert. Die Institutionen geraten zum ersten Mal seit der Verkündung der Verfassung von 1958 ins Wanken. Das Land General de Gaulles, bekannt für seine Stabilität, gleicht einem politischen Schiff im Sturm, das auf Eisberge zusteuert.

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