Wie Schweizer gegen Landminen kämpfen
Ein falscher Schritt – und das Leben ist vorbei

Der Bedarf an Minenräumung steigt – doch das Geld versiegt. Schweizer Experten stemmen sich gegen die tödliche Entwicklung in Syrien, der Ukraine und anderswo.
Publiziert: 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 11:16 Uhr
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Eine Minenräumerin mit einer Panzermine in der Nähe der syrischen Stadt Rakka.
Foto: Getty Images

Darum gehts

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Lino SchaerenRedaktor

Ein Tritt, ein metallisches Klicken, dann ein Knall: Nach Bashar al-Assads (59) Sturz kehren Vertriebene zurück – ahnungslos, dass unter der Erde Gefahr lauert. Nach Uno-Schätzungen zählt Syrien zu den am stärksten verminten Ländern weltweit. Strassen, Felder und Wohnviertel sind mit explosiven Hinterlassenschaften verseucht, was eine sichere Rückkehr für Millionen Menschen erschwert.

Besonders perfide: Viele Minen wurden nicht militärisch verlegt, sondern gezielt eingesetzt, um Zivilisten zu terrorisieren. Improvisierte Sprengsätze verstecken sich in Schubladen, auf Spielplätzen oder in Eingangstüren. Mehr als 1000 Menschen wurden seit Assads Sturz durch Landminen und Blindgänger getötet oder verstümmelt. Eine landesweit koordinierte Minenräumung gibt es nicht.

Das Genfer Zentrum für humanitäre Minenräumung (GICHD) wurde deshalb im Juni von den Weisshelmen, dem syrischen Zivilschutz, um Unterstützung gebeten. Ein Genfer Expertenteam ist am Samstag nach Damaskus gereist, um beim Aufbau eines nationalen Zentrums zur Minenräumung zu helfen.

Selenskis Regierung beraten

Tobias Privitelli (49) ist Direktor des GICHD und hat den Status eines Schweizer Botschafters. Er sagt: «Niemand weiss genau, wie stark Syrien minenverseucht ist.» Es wird zur Aufgabe seiner Leute gehören, beim Kartografieren der Gefahrenzonen mitzuhelfen. Das Zentrum wird von 18 Staaten, den Vereinten Nationen und einigen privaten Stiftungen getragen, die Schweiz finanziert die Hälfte des 20-Millionen-Budgets. Strukturen für eine professionelle Minenräumung aufzubauen, gehört zur Kernkompetenz der Organisation.

Das hat das GICHD bereits in der Ukraine bewiesen. Das Genfer Zentrum hat die Regierung von Wolodimir Selenski (47) beim Aufbau eines neuen Anti-Minen-Programms unterstützt; Privitelli sitzt im Beratungsgremium des staatlichen ukrainischen Zentrums für humanitäre Minenräumung. Mindestens 135’000 Quadratkilometer der Ukraine sind mit russischen Minen und sonstigem Sprengstoff verseucht – mehr als dreimal die Fläche der Schweiz.

Antipersonenminen sind besonders grausam: Sie sollen Feinde verletzen, nicht töten – um Ressourcen zu binden und den Vormarsch zu verlangsamen. Meist trifft es jedoch die Zivilbevölkerung. 2024 war mehr als jedes dritte Minenopfer ein Kind, 85 Prozent waren Zivilisten. Darum verbietet die Ottawa-Konvention von 1997 Antipersonenminen. 166 Staaten sind unterzeichnete Vertragspartner.

Minenverbot auf der Kippe

Doch das Verbot bröckelt: Russland, die USA und China haben nie unterschrieben. Die Ukraine will sich ebenfalls nicht mehr daran halten. Selenski sagte jüngst: «Landminen sind oft ein unersetzliches Mittel zur Landesverteidigung.» Estland, Lettland, Litauen, Polen und Finnland kündigten bereits an, angesichts der Bedrohung durch Moskau wieder Antipersonenminen einzusetzen. Von einem gigantischen Nato-Minengürtel ist die Rede.

Hansjörg Eberle, CEO der Fondation suisse de déminage (FSD), sagt: «Die Ottawa-Konvention ist leider Schönwetterpolitik – alle sind gegen Minen, bis sie selbst bedroht sind.» Die Schweizer Stiftung zählt zu den weltweit führenden Organisationen bei der Minenräumung und arbeitet in der Ukraine mit Risikoaufklärung, Minenräumfahrzeugen und Spezialteams, die in Trümmern nach Munitionsresten suchen. Die Schweiz unterstützt die FSD dort bis 2027 mit 40 Millionen Franken.

Auch in Syrien stehen die FSD-Experten bereit, sind aber zum Warten verdammt. «Wir können innerhalb von drei Monaten 200 bis 300 Lokale zu Minenräumerinnen ausbilden», sagt Eberle. Doch die instabile Lage unter den neuen Machthabern schrecke derzeit viele Geldgeber ab.

Doch Finanzierungsschwierigkeiten gibt es nicht nur in Syrien: Das Interesse an Minenräumung sinkt trotz wachsendem Bedarf. Überall gilt: Sicherheit vor Abrüstung. «Für die Ukraine findet sich Geld, aber oft auf Kosten anderer Regionen», so Eberle. Vor allem der Rückzug der USA hat dramatische Folgen.

170 Minenräumer entlassen

Bis zu Trumps zweiter Amtszeit waren die USA der grösste Geber für humanitäre Minenräumung, doch seit Februar kürzte er die Mittel radikal. Auch Frankreich, Italien und Grossbritannien drosseln ihre Unterstützung. Eigene Sicherheitsüberlegungen stehen jetzt im Vordergrund. Bei der FSD fiel ein Drittel des Budgets weg. «Wir mussten uns aus Afghanistan zurückziehen und 170 lokale Minenräumer entlassen», sagt Eberle.

Vernachlässigt werden stark minenverseuchte Regionen wie Vorderasien mit Afghanistan und Irak, Kambodscha, Westafrika oder die Sahelzone. Auch Tobias Privitelli vom Genfer Zentrum für Minenräumung spürt die schwindende Bereitschaft, Projekte zu finanzieren – besonders in Afrika. Trotz allem ist der Trend nicht nur negativ: Dank der Ottawa-Konvention wurden 50 Millionen Antipersonenminen vernichtet. Zwar steigen die Opferzahlen wieder, doch sie lagen in den 1990ern noch höher.

Das Schweizer Aussendepartement (EDA) betont auf Anfrage die Wichtigkeit des humanitären Engagements: Ohne Minenräumung gibt es keinen Wiederaufbau. Die Schweiz bedauere den Rücktritt einzelner Staaten aus der Ottawa-Konvention und ermutige sie zum Umdenken.

2024 investierte die Schweiz 44 Millionen Franken in Minenräumung und zählt damit zu den zehn grössten Geldgebern weltweit. 16 Länder profitierten 2024 vom Schweizer Engagement – darunter auch Syrien. Dort leisteten Bundesexperten Gefahrenaufklärung und Opferhilfe.

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