Darum gehts
Ein Totenkopf mit Strohhut weht über den Dächern von Antananarivo (Madagaskar), an Motorrädern in Jakarta (Indonesien), vor dem Parlament in Kathmandu (Nepal). Ursprünglich stammt das gruselige Logo aus dem japanischen Manga «One Piece» – heute ist es das Banner einer wütenden Jugendbewegung: In mehreren Ländern des globalen Südens erhebt sich die Generation Z gegen korrupte Eliten, politische Stagnation und dagegen, dass den 1995 bis 2010 Geborenen niemand eine gesicherte Zukunft garantieren kann.
In Madagaskar begann der Protest im September. Auslöser waren Stromausfälle und Wassermangel. Ein paar Wochen später war der Präsident gestürzt. Die jungen Menschen auf den Strassen, viele kaum älter als 20, hatten genug davon, in einem Land zu leben, in dem drei Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, während sich die politische Elite bereichert. Der Inselstaat im Indischen Ozean erlebte den ersten Aufstand seit Jahren – getragen von einer Jugend, die bisher als politisch uninteressiert galt.
In Nepal reichte – ebenfalls im September – ein Social-Media-Verbot, um die Regierung zu Fall zu bringen. Als Facebook, Instagram und Youtube blockiert wurden, organisierten sich Zehntausende Jugendliche über Discord – eine Plattform, die sonst Gamer verbindet. In wenigen Tagen eskalierte der Protest: Das Parlament brannte, der Premierminister trat zurück. Noch während Feuerwehrleute mit den Flammen kämpften, diskutierte die Jugend online über die Übergangsregierung. Und wählte sie auch gleich, ebenfalls über Discord.
Die Widerstandsbewegung in Marokko nennt sich «GenZ 212», nach der Telefonvorwahl des Landes. Ihr Slogan: «Gesundheit statt Fussball». Denn während die Regierung für die WM 2030 Millionen in Stadien steckt, fehlen Jobs, Schulen und Spitäler. Nach mehreren Todesfällen in einem Krankenhaus zogen Tausende junge Menschen durch die Strassen – viele von ihnen organisierten sich über Social Media.
Auch in Indonesien, auf den Philippinen, in Peru und in Kenia begehrt die Jugend auf. Auch hier unter einem Symbol der Popkultur: der Fahne mit dem Strohhut-Schädel.
Der Protest kennt keine Landesgrenzen
Was diese Bewegungen im Kampf gegen ihre jeweiligen Regierungen eint, ist nicht nur jene «Jolly Roger»-Flagge und die Wut – sondern die Art und Weise, wie sich die Proteste formieren. Die Gen Z ist die erste globale Generation, die in Echtzeit politisch voneinander lernt. Videos aus Kathmandu landen in den Feeds junger Menschen in Antananarivo. Hashtags aus Marokko verbreiten sich in indonesischen Gruppen-Chats. Ideen und Symbole wandern von Land zu Land, kopiert, weiterentwickelt, neu interpretiert. Die Strohhut-Flagge ist ein visuelles Bindeglied – ein Meme, das zum Code eines neuzeitlichen Verständnisses von Politik geworden ist.
Wo frühere Generationen Flugblätter druckten, genügen heute ein Handy und ein WLAN-Signal. Proteste entstehen digital, wachsen viral, überspringen mühelos Landesgrenzen. Auf Discord, Tiktok oder Telegram entstehen neue Formen der Organisation – ohne Anführer, ohne Partei, ohne klare Ideologie.
Was kommt nach der Wut?
Doch genau das macht sie so unberechenbar. Regierungen können Demonstrierende festnehmen und einzelne Server abstellen. Sie können das Internet drosseln, aber kaum verhindern, dass Bilder, Botschaften und Memes weiterverbreitet werden, selbstverständlich international. Jeder Akt der Repression wird zum Auslöser von weiterem Widerstand, jede Zensurmassnahme zur Selbstbestätigung der Protestierenden.
Bleibt die Frage: Wie nachhaltig ist diese Wut? Wie viel davon ist bloss ein viraler Impuls – und wie viel politischer Wille, der über Hashtags hinaus Bestand hat? Der dezentrale Charakter, der diese Bewegungen stark macht, ist zugleich ihre Schwäche. Es fehlt an langfristigen Strukturen, an Strategien, an jedem Schutz vor Spaltung oder Vereinnahmung durch den politischen Gegner. Und: Nicht jede Strohhut-Flagge bewirkt politischen Fortschritt. In Madagaskar wurde Mitte Oktober der Militärchef als Präsident eingeschworen – ist das wirklich im Sinne der Protestbewegung?
Trotzdem lässt sich die Wirkung nicht kleinreden. Diese Proteste haben den politischen Raum neu definiert – analog wie digital. Sie zwingen Regierungen, genauer hinzusehen. Und sie erinnern den Rest der Welt daran, dass Popkultur und Politik längst keine Gegensätze mehr sind, sondern zwei Seiten einer weltweiten Sehnsucht sein können: nach Mitbestimmung, nach Gerechtigkeit, nach Zukunft.