Darum gehts
Ein Anruf, ein Fauxpas, ein Sturz. Für Paetongtarn Shinawatra (38), Tochter eines politischen Übervaters und selbst Premierministerin Thailands – zumindest bis vor wenigen Tagen – ist das Machtspiel vorerst vorbei. Was als diplomatische Geste gedacht war, wurde zum Stolperstein: Ein Telefongespräch mit dem kambodschanischen Ex-Diktator Hun Sen, einem alten Familienfreund, das nie für die Öffentlichkeit bestimmt war, wurde publik. Und mit ihm auch ein politisches Drama, das sich nun in rasantem Tempo entfaltet.
Naivität, die nach Machtverlust schmeckt
Was als harmlose diplomatische Geste begann, entpuppte sich als politischer Sprengsatz: Mitte Juni rief Shinawatra den ehemaligen Premierminister Kambodschas, Hun Sen, an. Hintergrund war ein eskalierender Grenzkonflikt, bei dem ein kambodschanischer Soldat ums Leben gekommen war. Im Gespräch – so sagte sie später – wollte sie zur Deeskalation beitragen. Hun Sen ist ein alter Bekannter der Familie, ein vermeintlich vertrauter Gesprächspartner. Doch statt diskret zu bleiben, wurde das Telefonat zum öffentlichen Eklat: Zunächst tauchte ein kurzer Audioclip auf Social Media auf. Dann veröffentlichte Hun Sen das gesamte 17-minütige Gespräch eigenhändig – angeblich, um Missverständnissen vorzubeugen.
Die Aufnahme entfaltete rasch ihre zerstörerische Wirkung: Darin nennt Paetongtarn Hun Sen «Onkel», bietet ihm ihre Hilfe an («Wenn du etwas brauchst, sag es einfach – ich kümmere mich drum») und kritisiert einen ranghohen General der eigenen Armee. Was wie Loyalität gegenüber einem alten Familienfreund wirkte, wurde von Kritikern als politische Naivität, ja als Landesverrat gewertet.
Ob sie naiv war, zu vertraulich oder schlicht überfordert – fest steht: Die Veröffentlichung des Gesprächs durch Hun Sen selbst traf sie wie ein Hammerschlag. Öffentlich gedemütigt wurde damit nicht nur Shinawatra, sondern die gesamte Shinawatra-Familie, die seit Jahrzehnten die politische Bühne Thailands prägt – und spaltet.
Dynastie in der Dauerkrise
Die Familie Shinawatra steht für Populismus, Polarisierung – und permanentes Ringen mit der konservativen Elite. Vater Thaksin wurde 2006 durch einen Putsch entmachtet und lebt seither in wechselhafter Exil- und Rückkehrstrategie. Seine Schwester Yingluck, Premierministerin von 2011 bis 2014, wurde durch ein Gerichtsurteil abgesetzt – dem ein Militärputsch folgte. Auch Schwager Somchai war kurz Premier – ebenfalls abgesetzt.
Paetongtarn Shinawatra ist die vierte aus der Familie an der Regierungsspitze – und vielleicht die Letzte. Ihr Aufstieg wirkte fast märchenhaft: jung, weiblich, hochschwanger im Wahlkampf, und als Kompromisskandidatin der Pheu-Thai-Partei angetreten. Ihre Koalition mit einstigen Gegnern – ein faustischer Pakt, der die junge, reformorientierte Move Forward Party aus der Regierung fernhielt – war von Anfang an instabil. Jetzt ist sie zerbrochen.
Ein Land auf Standby für den nächsten Putsch
Thailand ist kein Neuling in Sachen politischer Erschütterung. Seit dem Ende der absoluten Monarchie 1932 gab es ein Dutzend Putsche. Das Verhältnis zwischen gewählter Regierung, konservativer Elite, Justiz und Armee ist – freundlich formuliert – angespannt. Seit Wochen fordern Zehntausende auf den Strassen Shinawatras Rücktritt, nachdem das Telefonat öffentlich wurde. Ihre Zustimmungswerte liegen laut Umfragen bei neun Prozent – ein Totalschaden.
Ein diplomatischer Albtraum – und ein persönlicher
Am Dienstag suspendierte das Verfassungsgericht sie vorläufig, während eine Ethikkommission wegen möglichen Verstössen gegen die Verfassung und die nationale Sicherheit ermittelt. Gleichzeitig prüft die Anti-Korruptionsbehörde mögliche Anklagen. Mindestens drei Petitionen wurden eingereicht, darunter eine wegen angeblicher Gefährdung der nationalen Souveränität. Parallel verhandeln verbliebene Koalitionsparteien fieberhaft über die Bildung einer neuen Regierung.
Eine Rückkehr ins Amt scheint für Shinawatra ausgeschlossen. Sie selbst bittet zwar öffentlich um Entschuldigung – ein Rücktrittsangebot bleibt aus. Die Familie Shinawatra mag noch nicht ganz am Ende sein. Doch die Luft wird dünner. Die alte Loyalität aus der Landbevölkerung bröckelt, neue Gesichter drängen auf die Bühne. Und während Hun Sen sich aus Phnom Penh in die thailändische Innenpolitik einmischt, droht der «Onkel» zum Totengräber einer ganzen Dynastie zu werden.