Premier im Sudan warnt
«Der Krieg könnte sich ausweiten»

Die RSF-Rebellen im Sudan schlachten Zivilisten ab. Über 10 Millionen Menschen sind auf der Flucht. «Wenn die Situation ausser Kontrolle gerät, fördert das illegale Migration», warnt Premier Kamil Idris – und fordert mehr Hilfe von der Schweiz.
Publiziert: 02.11.2025 um 13:20 Uhr
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Aktualisiert: 02.11.2025 um 15:30 Uhr
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Der Krieg im Sudan droht sich auszuweiten – die RSF-Rebellen sind auf dem Vormarsch.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Herr Premierminister, sind Sie in Gefahr?
Premier Kamil Idris:
Nein, ich befinde mich in Port Sudan am Roten Meer – hier fühle ich mich sehr sicher. Der Krieg hat sich nicht in diesen Teil des Landes ausgeweitet. Meine Sicherheitskräfte arbeiten sehr professionell. 

Was passiert gerade im Sudan?
Die Rapid Support Forces (RSF) haben uns diesen Krieg aufgezwungen. Die RSF waren ein Teil der sudanesischen Armee. Sie wollten einen Staatsstreich und spalteten sich später in Milizen ab. Als sie vom Militär und dem sudanesischen Volk abgelehnt wurden, weiteten sie den Krieg aus. Diese Woche wurde in al-Faschir erneut deutlich, wie sie furchtbare Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Der Sicherheitsrat hat diese Woche all diese Gräueltaten verurteilt.

Was ist in al-Faschir passiert?
Kinder werden getötet. Frauen werden vergewaltigt und getötet – sogar vor den Augen ihrer Familien. Alte Menschen werden getötet. Hunderte von Patienten in Krankenhäusern werden angegriffen und ermordet. 

Als Premier sind Sie für den Schutz Ihrer Bürger verantwortlich. Welche Massnahmen ergreifen Sie, um die Zivilbevölkerung zu schützen?
Ich bin der internationalen Staatengemeinschaft dankbar, dass sie uns unterstützt. Wir gewähren humanitären Zugang und versuchen, so vielen Menschen wie möglich Unterkunft, Hilfe und Nahrung zu bieten. 

Videos zeigen schreckliche Gräueltaten in al-Faschir. Ist die internationale Gemeinschaft ausreichend engagiert?
Nein, die internationale Gemeinschaft tut zu wenig. Ich bin dankbar für die Erklärung des Uno-Sicherheitsrats, die diese Woche die Gräueltaten der Milizen verurteilt und eine Parallel-Regierung durch die Milizen ablehnt. Das ist aber nicht genug. Wir brauchen nicht nur Worte, sondern Taten. Sämtliche Verbrechen müssen juristisch verfolgt werden – auch international. Und alle Uno-Mitgliedsländer müssen die RSF als terroristische Organisation einstufen und entsprechend bekämpfen. 

Erleben wir ein zweites Ruanda?
Was 1994 in Ruanda passierte, war schrecklich. Aber die Gräueltaten, die wir in al-Faschir gesehen haben, übertreffen das, was in Ruanda geschah.

Was erwarten Sie von der Schweiz?
Wir erwarten von der Schweiz humanitäre Unterstützung und juristische Hilfe. Als neutrales Land ist die Schweiz sehr gut dafür geeignet, sich für uns einzusetzen. Wir erwarten von der Schweiz auch mehr Geld für humanitäre Hilfe.

Eine Lehre aus Ruanda und Srebrenica ist die Schutzverantwortung: Staaten müssen eingreifen, um Völkermorde zu verhindern. Warum ist eine Intervention von aussen kein Thema?
Die Welt beginnt nun, darüber zu sprechen. Wegen eigennütziger Interessen einzelner Länder schrecken manche Regierungen vor einer Intervention zurück. Zugleich bin ich der Meinung, dass Uno-Friedensmissionen im historischen Kontext der Uno-Charta bei uns unerwünscht sind. 

Warum fordern Sie keine Friedenstruppen an? Wer soll Frieden stiften, wenn nicht Truppen von aussen?
Internationale Truppen würden die Souveränität und die territoriale Integrität unseres Landes verletzen. Das ist illegal, schafft nur Verwirrung und ist kontraproduktiv. Die Armee und das sudanesische Volk sind fest entschlossen, al-Faschir zu retten und zu befreien.

Es gab 2024 Friedensgespräche in Genf. Warum sind diese gescheitert?
Weil die Vertreter der RSF keine ernsthaften Interessen an einem Frieden haben. Sie sind Heuchler. Niemand erkennt sie an – daher verbreiten sie Angst und Schrecken und ermorden Zivilisten. 

Ausser den RSF: Wer ist für diese humanitäre Katastrophe verantwortlich?
Die RSF arbeiten eng mit Söldnern zusammen – diese stammen aus der ganzen Welt, vor allem aus Kolumbien. Hier kämpfen Gangster, die unser Land nicht kennen und nicht einmal die Kriegsziele der RSF verstehen. Die Söldner kämpfen nur fürs Geld und ziehen irgendwann weiter. 

Sind Söldner in Kolumbien seit dem Friedensabkommen mit der Farc arbeitslos, oder warum kämpfen so viele Kolumbianer im Sudan?
Ich habe mich mit einer sehr deutlichen Botschaft auf Spanisch an das kolumbianische Volk gewandt. Die kolumbianische Regierung hat sehr gut darauf reagiert und versucht, uns zu helfen. Allerdings hat sie auch keine Kontrolle über die Söldner. Man kann Drogenhändler und Gangster wie Waren kaufen.

Millionen Sudanesen sind auf der Flucht. Wie viele wollen nach Europa?
Über zehn Millionen Sudanesen sind in Nachbarländer geflohen. Europa ist vom Flüchtlingsstrom noch nicht so stark betroffen. Das könnte sich jedoch ändern, wenn sich die Situation hier weiter verschärft. Die Rebellen gefährden nicht nur unsere, sondern auch die regionale und die internationale Sicherheit. Der Sudan grenzt an viele Länder – der Krieg könnte sich ausweiten. 

Donald Trump denkt transaktional. Was können Sie ihm anbieten? Warum sollte ihn der Sudan kümmern?
Wenn die Situation ausser Kontrolle gerät, fördert das illegale Migration. Die Menschen würden weiter aus dem Sudan fliehen. Die Uno-Mitgliedsstaaten haben die rechtliche und moralische Verpflichtung, die Zivilbevölkerung zu schützen. Wir müssen gemeinsam gegen diese Verbrecher vorgehen. Der Sudan verfügt über seltene Mineralien, Gold, Öl, Uran. Wir haben viel Süsswasser, durch unser Land fliesst der Nil. Wir haben Millionen Hektar fruchtbares Land für Landwirtschaft. Die nächsten Kriege werden um Nahrung und Wasser geführt – die Ressourcen des Sudans könnten hier eine Lösung sein.

Die Menschen in der Schweiz interessieren sich für den Krieg in der Ukraine und in Gaza, nicht aber für den Sudan. Woran liegt das?
Ich weiss, dass die Schweiz mit anderen Konflikten beschäftigt ist. Das hat damit zu tun, dass Medien nur selten über den Sudan berichten. 

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