Darum gehts
- Chiara-Poggi-Mordfall: Neue Indizien bringen neuen Tatverdächtigen ins Licht
- DNA unter Fingernägeln identifiziert, Tatwaffe möglicherweise gefunden
- Alberto Stasi 2015 zu 16 Jahren Haft verurteilt, sitzt im halboffenen Vollzug
Vor 18 Jahren wurde die Studentin Chiara Poggi (†26) in ihrem Elternhaus südlich von Mailand brutal ermordet. Ganz Italien war geschockt. Jedes kleinste Detail zum brisanten Kriminalfall wurde akribisch untersucht.
Fast zwei Jahrzehnte und ein Urteil später ist das Interesse der italienischen Öffentlichkeit noch immer gross. Der Fall wurde von der Staatsanwaltschaft wieder aufgerollt. Neue Indizien rücken einen neuen Tatverdächtigen in den Fokus. Es drängt sich der Verdacht auf, dass ein Unschuldiger den Mord im Gefängnis absitzt.
Ausgerechnet ihr damaliger Freund, Alberto Stasi, fand die Leiche von Poggi – in einer Blutlache auf der Kellertreppe. Und Stasi war es auch, der zum Hauptverdächtigen wurde. Als die Polizei kam, fiel auf, dass seine Kleidung, besonders die Schuhe, ungewöhnlich sauber waren. Keine Blutflecken, obwohl das ganze Haus voller Blut war.
Vermutlich wollte Chiara Poggi während des Angriffs fliehen, brach aber schliesslich auf der Treppe zusammen. Das Motiv des Freundes? Gemäss Polizei ein Streit, weil Poggi ihn dabei erwischt haben soll, wie er Pornos konsumierte.
Trotz Mangels an Beweisen wurde er verurteilt
Die gemäss Forensik stumpfe Tatwaffe wurde während der ersten Ermittlungen vergeblich gesucht. Stichhaltige Beweise für Stasis Schuld gab es ebenfalls nie. Es handelte sich um einen Indizienprozess. In erster und zweiter Instanz wurde Poggis Freund sogar freigesprochen.
In höchster Instanz wurde er jedoch letztendlich wegen vorsätzlicher Tötung verurteilt. Das Urteil: 16 Jahre Haft. Das war 2015. Mittlerweile sitzt Stasi die Strafe im halboffenen Vollzug ab. Möglicherweise ist er jedoch der Falsche. Tatsächlich hat Stasi nie ein Geständnis abgelegt – und streitet sämtliche Vorwürfe bis heute ab.
Im Mordfall gibt es noch immer viele offene Fragen. Eines ist allerdings klar: Chiara Poggi musste ihren Mörder gekannt haben. Das Haus wies schliesslich keine Einbruchsspuren auf. Sie muss dem oder den Tätern am frühen Morgen, noch im Pyjama gekleidet, die Tür geöffnet haben.
Neue Indizien lassen einen Justizirrtum vermuten
Schon ein Jahr später wurde das Urteil gegen Stasi angezweifelt: Unter Chiaras Poggis Fingernägeln wurde die DNA einer anderen Person identifiziert. Doch es reichte damals nicht für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Mittlerweile aber schon – dank einer neuen Analysemethode. Die Staatsanwaltschaft forderte schliesslich die DNA von drei Personen ein: von zwei Cousinen des Opfers sowie vom Freund ihres Bruders.
Bei Letzterem gibt es einen Treffer. Die Staatsanwaltschaft ermittelt offiziell gegen Andrea S.* So seien auch seine Fingerabdrücke am Tatort festgestellt worden, berichtet der Sender Rai. Dessen Familie zweifelt die Beweise an, glaubt weiterhin an die Schuld Stasis.
Doch es bleibt nicht allein dabei. Neben einem weiteren Zeugen soll auch die verschollene Tatwaffe plötzlich aufgetaucht sein. So wurde ein Bach gestaut. Dieser fliesst am Haus der Grossmutter der zwei Cousinen vorbei. Im Wasser stiessen die Ermittler Berichten zufolge auf einen Hammer und andere Metallgegenstände.
Der Tatort wurde vor wenigen Tagen erneut von den Ermittlern untersucht. Wie «Il Messaggero» berichtet, hat die Polizei das Haus mit neusten Technologien vermessen, um die Blutspuren genauer zu identifizieren und so den Tathergang zu rekonstruieren.
*Name bekannt