Grossmächte kämpfen um Macht und Ressourcen im Norden
Alle wollen die Arktis – knallt's bald am Polarkreis?

Die USA verstärken ihre Präsenz in Grönland, Russland schickt neue Truppen in den Norden – und China forscht mit versteckter Agenda. Warum die abgelegene Eiswüste plötzlich ins Zentrum der Weltpolitik rückt. Eine Analyse.
Publiziert: 28.03.2025 um 19:43 Uhr
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Aktualisiert: 29.03.2025 um 13:49 Uhr
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Von der einsamen Basis Pituffik aus überwachen die USA Flugbahnen – zwischen Russland und dem amerikanischen Festland.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Mitten in der eisigen Weite Grönlands liegt Pituffik – die nördlichste und wohl abgeschottetste US-Militärstationen. 1500 Kilometer entfernt von der grönländischen Hauptstadt Nuuk, 1207 Kilometer nördlich des Polarkreises – willkommen am Ende der Welt! Aktuell besuchen US-Vizepräsident J. D. Vance (40) und seine Ehefrau Usha Vance (39) die Basis.

Was auf der Karte wie ein leeres Nichts aussieht, ist in Wahrheit ein strategisches Alles. Kein Wunder also, dass sich die USA, Russland und China im hohen Norden in Stellung bringen. Doch was genau macht diese Region so brisant?

Die unsichtbare Grenze am Polarkreis

Geostrategisch gesehen ist die Arktis von grosser Bedeutung. Wer hier stationiert ist, kontrolliert nicht nur polare Flugrouten, sondern sichert auch die Nordflanke Nordamerikas – eine potenzielle Schwachstelle, die lange unterschätzt wurde.

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Eisiger Vorposten: Die US-Basis Pituffik liegt rund 1’200 Kilometer vom Nordpol entfernt – mitten im geopolitischen Spannungsfeld.
Foto: keystone-sda.ch

Vom abgeschotteten Pituffik aus erkennen die USA russische Raketenstarts, berechnen Flugbahnen und aktivieren im Ernstfall ihre Raketenabwehrsysteme. Hyperschallraketen, die tief fliegen und schwer zu orten sind, machen das Frühwarnsystem «Upgraded Early Warning Radar» in Pituffik unverzichtbar für die amerikanische und europäische Sicherheit.

Grönland – das strategische Auge der USA

«Pituffik ist das strategische Auge Amerikas», sagt der dänische Verteidigungsanalyst Peter Ernstved Rasmussen der New York Times. Und US-Experte Troy Bouffard geht noch weiter: Pituffik sei derzeit der wichtigste militärische Standort der USA.

Die US-Präsenz vor Ort ist allerdings dünn: Gerade einmal rund 150 Soldaten sind dauerhaft auf Pituffik stationiert. Pituffik ist dabei der einzige US-Stützpunkt innerhalb des Polarkreises – ein krasser Gegensatz zu den 32 russischen Militäranlagen in der Region. Romain Chuffart, Präsident des Arctic Council, weist im Gespräch mit Blick auf einen entscheidenden Punkt hin: «Seine Einzigartigkeit verdeutlicht auch die Verwundbarkeit der amerikanischen Verteidigung in der Arktis.»

Kein Wunder also, dass US-Präsident Donald Trump (78) nicht nur seine Präsenz in der Region verstärken, sondern direkt ganz Grönland unter amerikanischer Flagge wissen will. Mehr Militär sei nicht automatisch besser: «Ein rein auf Sicherheit ausgerichteter Ansatz birgt die Gefahr, dass die Spannungen zunehmen», warnt Chuffart.

Wo die Weltmächte aufeinanderprallen

Nicht nur militärisch gesehen sind Inseln in der Arktis wichtige Puzzleteile. Die Arktis schmilzt – und mit ihr verschwinden Eispanzer, die jahrhundertelang unpassierbar waren. Das eröffnet Seewege und Zugang zu gigantischen Rohstoffreserven. Die fünf Anrainerstaaten – Kanada, Russland, Norwegen, Dänemark (via Grönland) und die USA (via Alaska) – ringen zunehmend aggressiv um Einflusszonen.

Russland hat in den letzten zehn Jahren über ein Dutzend Militärbasen entlang der russischen Nordküste modernisiert und wieder in Betrieb genommen. Die russische Marine nutzt die Nordostpassage zunehmend für militärische Patrouillen. «Obwohl die Militarisierung in der Arktis nicht so hoch ist wie während des Kalten Krieges», warnt Chuffart, «hat Russlands Reaktivierung sowjetischer Stützpunkte und der Ausbau seiner Nordflotte zu Recht Besorgnis ausgelöst.»

Auch China drängt in die Arktis, wenn auch subtiler. Unter dem Vorwand wissenschaftlicher Kooperation wurden mehrere Forschungseinrichtungen errichtet, oft begleitet von Eisbrechern, die theoretisch auch militärisch einsetzbar wären. Peking verfolgt eine eigene «Polare Seidenstrasse» – und strebt langfristig eine Rolle als arktische Macht an, auch wenn China geografisch kein Anrainerstaat ist.

Knallt's bald im ewigen Eis?

Noch ist die Arktis kein Krisenherd – aber es könnte ein erneuter Kalter Krieg drohen. Die russische Führung sprach am Donnerstag offen von einem «strategischen Gegengewicht zur Nato» im Norden. Kremlchef Wladimir Putin (72) betonte zwar, man sei zu wirtschaftlicher Kooperation bereit, auch mit westlichen Partnern. Doch seine Warnung ist deutlich: Man werde «keine fremden Einmischungen» dulden. Gleichzeitig verlegt Russland neue Truppen in die Region und testet regelmässig neue Waffensysteme unter arktischen Bedingungen.

Jeder Schritt, jede Station, jeder Satz kann hier eine Kettenreaktion auslösen. Die Arktis ist längst kein weisser Fleck mehr – sondern ein Pulverfass mit Frostschicht.

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