Sie reden, ohne etwas zu sagen – und das mit voller Absicht. Die Sprache der Diplomatie ist eine ganz eigene Kunstform. Jeder Satz klingt bedeutungsvoll, meint aber oft das Gegenteil. Niemand beherrscht diese Kunst so perfekt wie Politikerinnen und Politiker in Friedensverhandlungen. Mit einer möglichen Ausnahme: Donald Trump (78) sagt bekanntlich lieber direkt, was er denkt – ob die Beteiligten es hören wollen oder nicht. Da dieser aber an den aktuellen Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul nicht anwesend ist, werden wir im Anschluss vermutlich wieder einige Floskeln hören.
Damit du beim nächsten «konstruktiven Dialog» weisst, was wirklich gespielt wird: Klemens Fischer, Professor für Internationale Beziehungen und Geopolitik an der Universität Köln (D), hat für Blick das Diplomaten-Deutsch übersetzt und verrät, welche Verhandlungsschritte hinter den jeweiligen Aussagen stecken.
Was sie meinen: «Wir haben uns nicht angeschrien.»
Fischer: «Die Positionen der beiden Seiten sind zu diesem Zeitpunkt zwar noch weit voneinander entfernt, aber zumindest hörte man sich die Argumente der Gegenseite an und stellte Nachfragen. Anschliessend geht man mit diesen Erkenntnissen in die eigene Hauptstadt und sucht nach Möglichkeiten, die Positionen einander näherzubringen. Ziel ist es, Verhandlungen fortzuführen, aber auch Zeit zu gewinnen.»
Was sie meinen: «Niemand ist vom Fleck gekommen.»
Fischer: «Das Treffen diente noch keiner Verhandlung, die Positionen wurden nur vorgetragen, ohne dass Nachfragen gestellt werden. Anschliessend plant man in den Hauptstädten die eigene Verhandlungslinie, vor allem, welche weiteren Informationen notwendig sind.»
Was sie meinen: «Erwartet bitte nichts.»
Fischer: «Keine der beiden Seiten beabsichtigt, sich zu bewegen. Ziel des Treffens ist es, ein Gefühl für die andere Seite zu bekommen. Noch sitzt man nicht am Verhandlungstisch. Anschliessend überlegt man in den Hauptstädten, ob, wann und mit welchem Ziel weiter vorgegangen wird.»
Was sie meinen: «Es flogen fast die Fetzen.»
Fischer: «Die Verhandlungen sind in vollem Gang, aber sie drohen zu eskalieren. Die Parteien stoppen, ehe es zum Bruch kommt, da man eigentlich weiterverhandeln will, und hoffen auf Abkühlung der Gemüter während der Pause.»
Was sie meinen: «Niemand hat eine klare Lösung – aber wir wollen die Tür nicht zuschlagen.»
Fischer: «Die Verhandlungen gehen in die Endrunde, aber der zündende Gedanke fehlt, wie man vermeidet, als Verlierer dazustehen.»
Was sie meinen: «Jetzt wirds spannend, aber ihr erfahrt nichts.»
Fischer: «Die Verhandlungen nähern sich ihrem Ende, und es geht um die Frage, wie ein endgültiger Ausgleich gefunden wird. Niemand darf als klarer Sieger oder als klarer Verlierer vom Tisch aufstehen.»
Was sie meinen: «Vielleicht. Irgendwann. Wenn es sein muss.»
Fischer: «Beide Seiten reden über den Inhalt und stecken rote Linien ab. Eine Einigung ist zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, man ist nicht sicher, wann es weitergehen soll und wie weit man der Gegenseite trauen kann. Man plant aber, weiterzuverhandeln.»
Was sie meinen: «Einer hat vielleicht mal gezuckt.»
Fischer: «Die Verhandlungen kommen voran. Eine der beiden Parteien zeigt Kompromissbereitschaft, die andere Seite geht darauf ein und deutet an, auch ein Angebot zu machen.»