Darum gehts
Sie sind der mit Abstand wertvollste Export, den Russland derzeit zu bieten hat: ukrainische Kriegsgefangene. Zehntausende schmoren in Putins Kerkern vor sich hin. Am Wochenende kamen 1000 von ihnen im bislang grössten Gefangenenaustausch seit Kriegsbeginn frei. Die emotionalen Bilder der Kahlgeschorenen (sowohl Erniedrigungstechnik als auch Läuseprävention), die ihren Familien nach teils jahrelanger Gefangenschaft wieder in den Armen liegen, gingen um die Welt.
Genau gleichzeitig zum Tausend-gegen-tausend-Austausch aber liess Putin am Wochenende die bislang heftigsten Angriffe mit rund 300 Drohnen und 70 Raketen auf ukrainische Städte verüben. Hier die gute Geste des Gefangenentauschs, da der brutale Terror aus der Luft: Dahinter steckt ein perverses Kalkül des Kreml.
Dass die Ukraine ihre festgehaltenen Soldaten nach Hause holen will, ist logisch. Neun von zehn werden in Putins Kerkern gefoltert, die abgemagerten Rückkehrer erzählen Horrorgeschichten wie jene vom Kohlblatt im kochend heissen Wasser, das ihnen als einzige Tagesmahlzeit aufgetischt worden sei. Verbrannter Hals oder weiter hungern: Sie hatten die Qual der Wahl.
Russland will Gefangene nicht zurück
Verständlich also, dass Wolodimir Selenski (47) seine Soldaten an der Front immer und immer wieder ermutigt, russische Eindringlinge, falls irgendwie möglich, lebendig zu fassen und damit «unseren Austausch-Fonds wieder aufzufüllen». Seit geraumer Zeit schlägt der ukrainische Präsident Moskau einen «alle gegen alle»-Kriegsgefangenenaustausch vor. Doch Moskau winkt ab.
Denn: Russland hat gar kein wirkliches Interesse daran, seine POWs (so heissen die «Prisoners of War» im Kriegsjargon) nach Hause zu holen. Das erklärten Geheimdienstvertreter gegenüber Blick im November 2023 beim Besuch im damals einzigen ukrainischen Kriegsgefangenenlager an einem geheimen Ort in der West-Ukraine.
Erstens seien viele der Inhaftierten Kriminelle, die nur wegen des Versprechens auf Straferlass in den Krieg gezogen seien und von denen niemand will, dass sie in Russland wieder frei auf der Strasse herumlaufen.
Zweitens würden die gefangenen russischen Soldaten schnell merken, dass an den Horrorstorys über das Nazi-Regime in der Ukraine wenig dran ist und dass ihr Regime zu Hause Schauermärchen verbreitet. Ein russischer Kriegsgefangener sagte beim Lagerbesuch gegenüber Blick: «Ich kam, um Nazis zu töten. Aber ich habe keine gefunden. Sie behandeln uns gut.»
Trump fällt auf Ablenkungsmanöver herein
Trotzdem hat Wladimir Putin (72) den Rekord-Austausch am Wochenende abgesegnet. Der Grund: Er weiss, dass er damit bei US-Präsident Donald Trump (78) den Anschein erwecken kann, dass er für Verhandlungen bereit ist und das Feld der Diplomatie nicht gänzlich verlassen hat – ganz egal, wie brutal er seinen Angriffskrieg nebenher weiterführt.
Das Ablenkungsmanöver hat funktioniert. Trump gratulierte «beiden Seiten» schon am Freitag zum Deal – bevor dieser effektiv über die Bühne gegangen war. «Könnte das zu etwas Grossem führen?», wollte Trump wissen.
Die Antwort gab Putin ihm in der Nacht auf Sonntag mit den schwersten Angriffen seit Kriegsbeginn gleich selbst. Von der Bereitschaft zu einem Waffenstillstand ist Moskau so weit weg wie eh und je. Dafür aber hat Russland dank des Gefangenenaustauschs jetzt wieder 1000 kampferprobte Soldaten mehr in seinen Reihen, die – so beschreiben es russische Deserteure und Gefangene gegenüber der ukrainischen Seite – auf schnellstem Weg zurück an die Front geschickt werden.