Droht uns eine Terrorwelle?
«Der Islamismus hat nichts an seiner zerstörerischen Kraft eingebüsst»

Chanukka endet in Sydney im Blutbad. Ein jüdisches Fest wird zum Ziel eines mutmasslich dschihadistischen Anschlags. Der Angriff ist mehr als eine einzelne Tat – er reiht sich ein in ein beunruhigendes Muster.
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Kerzen, Blumen und Gebete am Tatort. Sydney trauert um die Opfer des antisemitischen Anschlags in Bondi Beach.
Foto: AFP

Darum gehts

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Ein jüdisches Fest, Familien, Lichter – dann Schüsse. Mindestens 15 Personen wurden getötet, dazu einer der beiden Täter. Diese waren Vater und Sohn. Im Täterauto befand sich gemäss Medien eine Flagge der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS), dies ist nicht durch Behörden bestätigt. Der Sohn war den Sicherheitsdiensten bekannt, hatte nachweislich Kontakt zum IS.

Australien ist erschüttert – und der Westen stellt sich einmal mehr die unbequeme Frage: Kehren dschihadistischer Terror und antisemitische Gewalt mit neuer Wucht zurück?

«Der IS war nie weg»

Die Versuchung ist gross, von einer traurigen Verkettung einzelner Taten zu sprechen. Doch genau davor warnt die Extremismusforscherin Susanne Schroeter. «Der internationale Dschihadismus war nie eingeschlafen», sagt sie. Lange galt der sogenannte Islamische Staat als besiegt. Syrien und Irak schienen befriedet, dann kam die Pandemie, die Anschläge wurden weniger. Doch diese Ruhe war trügerisch.

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Hunderte Menschen gedenken in Sydney der Opfer des Anschlags auf die jüdische Gemeinde.
Foto: Getty Images

«Der IS war nie weg», sagt auch der Zürcher Extremismusforscher Dirk Baier. Nach dem Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan sei der dortige Ableger «IS Provinz Khorasan» «schnell in die Lücke gesprungen». Zentralasien habe sich zu einem neuen Schwerpunkt entwickelt, dazu kämen dschihadistische Gruppen in Afrika. Sein Befund ist eindeutig: «Der Dschihadismus ist die grösste terroristische Bedrohung für europäische Länder.»

Keine gebannte Gefahr

Allein 2024 gab es mehrere Anschläge in Deutschland. Von einer «gebannten Gefahr» könne keine Rede sein, betont Schroeter. Besonders alarmierend: Viele Taten gehen auf Täter zurück, die den Behörden bekannt waren, dann aber «aus dem Blick geraten» sind – ein Muster, das sich auch im australischen Fall zeigt. 

Hinzu kommt ein globaler Brandbeschleuniger: der Gaza-Krieg. Seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 habe der islamistische Extremismus «deutlich an Dynamik gewonnen», sagt Schroeter. Der Konflikt wirke wie ein Durchlauferhitzer – nicht nur für dschihadistische Radikalisierung, sondern auch für offenen Antisemitismus, mitten in westlichen Gesellschaften.

Besonders gefährlich sei dabei eine neue ideologische «Querfront». Islamisten, säkulare Linke aus muslimischen Ländern und Teile westlicher akademischer Milieus würden Israel delegitimieren und Gewalt relativieren. Begriffe wie «Apartheidstaat» oder «Kolonialprojekt» fungierten als ideologisches Einfallstor. «Vergleicht man linke und islamistische Propaganda gegen Israel, muss man oft nur einzelne Wörter austauschen – der Inhalt ist identisch», warnt Schroeter. Das legitimiere Hass und sei «Wasser auf die Mühlen der Dschihadisten».

Der lange Arm des IS

Global betrachtet verdichten sich die Warnsignale. Der IS greift in Syrien wieder US-Soldaten an, nutzt ein Machtvakuum und schwächelt keine Sekunde bei der Rekrutierung. Der Fall Sydney passe in dieses Bild. Der Sohn des Täters hatte bereits 2019 Kontakt zum IS. «Man sieht daran, wie lang der Arm des IS ist», sagt Baier. Wer sich einmal identifiziert habe, komme aus diesem Denken nicht einfach wieder heraus. Die Rekrutierung habe nie aufgehört. Das ist die zentrale Nachricht dieses Anschlags: «Der Islamismus hat nichts an seiner zerstörerischen Kraft eingebüsst», so Baier.

Droht uns also ein «Terrorwinter»? Wie Susanne Schroeter es formuliert: Europa ist gut beraten, «diese Gefahr endlich ernsthaft zu analysieren – inklusive des Vorfelds». Denn wer heute wegschaut, wird morgen erklären müssen, warum er nichts kommen sah.

Werden Anschläge primär an Weihnachten oder anderen Festen geplant und durchgeführt? Schroeter sagt, dass sich symbolträchtige Ereignisse wie religiöse Feiertage besonders eignen, weil Terrorismus Öffentlichkeit erzeugen wolle. «Aber es reicht auch, wenn jemand im Bus drei Menschen ersticht und die Tat im Namen Allahs oder Palästinas rechtfertigt», sagt die Expertin. Der IS übernehme dann begeistert die Verantwortung. «Wir müssen uns auf ganzjährige Anschläge einstellen», warnt Schroeter.

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