Darum gehts
- 51 Tote bei Protesten in Nepal, Regierungschef tritt zurück
- Ein Schweizer hat die Unruhen miterlebt
- Ausgangssperren und Militärpräsenz beunruhigen Touristen in Pokhara
- Über 12'500 entflohene Gefängnisinsassen noch auf der Flucht
51 Menschen wurden in dieser Woche bei den Protesten gegen die Regierung in Nepal getötet. Unter den Todesopfern seien «mindestens 21 Demonstranten und drei Polizisten», sagte Polizeisprecher Binod Ghimire am Freitag. Zudem seien mehr als 12'500 Gefängnisinsassen, die im Zuge der Unruhen in dem Himalaya-Staat entkommen waren, noch immer auf der Flucht. Insgesamt waren nach Polizeiangaben am Mittwoch mehr als 13'500 Insassen entkommen.
Unter den 51 Toten seien auch Gefangene, die während oder nach ihrer Flucht bei Zusammenstössen mit nepalesischen Sicherheitskräften getötet worden seien, erklärte Ghimire.
Grund für den Ausbruch der Proteste war unter anderem eine vorübergehende Blockade von Social-Media-Plattformen wie Facebook, Youtube und X. Tausende Menschen im Himalaya-Staat gingen daraufhin auf die Strassen. Die Polizei reagierte mit Gewalt und ging massiv gegen die Demonstrierenden vor.
Benjamin H.* befindet sich derzeit in Pokhara, einer Stadt am Phewa-See in Zentralnepal. Er hat die Proteste miterlebt. Inzwischen scheint sich die Lage etwas beruhigt zu haben. «Es gibt derzeit Ausgangssperren von 19 bis 7 Uhr. Niemand darf in dieser Zeit auf die Strasse. Polizei und Militär haben Checkpoints errichtet, patrouillieren und überprüfen Passanten.»
«So hat man sich die Ferien eigentlich nicht vorgestellt»
Angst habe der Schweizer allerdings keine, berichtet er gegenüber Blick. «Im Hotel bekommt man eigentlich nichts mit. Man merkt einfach, dass man nach 19 Uhr nicht mehr raus kann. Die Strassen sind wie leer gefegt.» Nur Personen mit einer Sondergenehmigung dürften sich dann noch draussen aufhalten. «Das ist schon eine extreme Situation. So hat man sich die Ferien eigentlich nicht vorgestellt», erzählt H.
Als die Unruhen am Dienstag noch im vollen Gang waren, trat der Regierungschef KP Sharma Oli (73) überraschend zurück. Kurz darauf stürmten Hunderte Demonstranten den Parlamentssitz in der Hauptstadt Kathmandu und setzten ihn in Brand. Oli war erst im Juli 2024 zum vierten Mal zum Regierungschef des Himalaya-Staates ernannt worden.
Der Vorsitzende der Nepalesischen Kommunistischen Partei hatte das Amt erstmals 2015 übernommen. Seine Regierung sah sich zuletzt mit wachsender Unzufriedenheit über die politische Instabilität, weit verbreitete Korruption und die schleppende wirtschaftliche Entwicklung in Nepal konfrontiert.
Nepalesen wünschen sich Normalität zurück
Das Land zu verlassen, kommt für Benjamin H. nicht infrage. Abgesehen davon, dass die Nepalesen die Geschehnisse auf ihren Handys verfolgen, merke man abseits der grösseren Städte wie Kathmandu und Pokhara kaum etwas von den Unruhen. Wirklich Schlimmes habe er auch nicht erlebt, berichtet H. weiter. «Man sieht einfach die abgebrannten Häuser und Autos am Strassenrand.» Doch, wenn man mit den Menschen auf der Strasse rede, merke man vor allem eines: «Sie wollen so schnell wie möglich wieder Normalität. Denn der Tourismus im Land wird leiden.»
Für Nepal sei die aktuelle Situation ohne Frage eine Katastrophe – vor allem, weil niemand bereit scheint, das noch junge demokratische Land zu führen. Nach Protesten schaffte Nepal 2008 die Monarchie ab und führte die Demokratie ein. Doch seither scheiterten 14 Regierungen vorzeitig. Viele fordern nun einen Neuanfang, manche sogar die Rückkehr zur Monarchie. Besonders junge Nepalesen sehen keine Perspektive.
Land steht vor einer grossen Aufgabe
Die seit Jahren grassierende Korruption hat die Unzufriedenheit der Bevölkerung eskalieren lassen. Das Social-Media-Verbot war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ein 25-jähriger Nepalese, mit dem H. am Flughafen in Kathmandu sprach, bestätigte: Die Ungleichheit im Land sei gross. Während die Regierung im Wohlstand schwimme, kämpften die Nepalesen mit Perspektivlosigkeit und Armut.
Der Rücktritt der Regierung hat offenbar ausgereicht, um die Situation zumindest etwas zu entschärfen, die Probleme des Landes aber nicht gelöst. Um das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen, braucht es eine Regierung, die bereit ist, tiefgreifende Reformen anzugehen. Doch bisher hat sich niemand dazu bereiterklärt.
*Name geändert