BLICK an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien
Das Nadelöhr in ein besseres Leben

Hat Mazedonien die Grenze zu Griechenland nun dicht gemacht oder nicht? BLICK-Reporter schauen sich die verwirrende Lage vor Ort an – und landen mitten in einem Brennpunkt des kriselnden Europa.
Publiziert: 29.01.2016 um 21:14 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 13:40 Uhr
Peter Hossli (Text) und Pascal Mora (Fotos)

Die Sonne verschwindet am Horizont hinter der griechischen Grenzstadt Idomeni. Unter einem Zelt warten Nassim (23) und Rokhsar (19) auf Einlass nach Mazedonien. Vor wenigen Stunden erst ist das afghanische Ehepaar im Bus angekommen. Am Freitagmorgen stiegen sie in der griechischen Hafenstadt Piräus zu.

Nasim (23) und seine Frau Rokshar (19) aus Kabul, Afghanistan, erhoffen sich ein besseres Leben in Europa.
Foto: © PASCAL MORA

«Macht euch bereit!», ruft ein griechischer Polizist. Das Paar aus Kabul packt seine Sachen. «Woher kommen Sie?», fragt der mazedonische Grenzwächter, hinter ihm Stacheldraht. «Afghanistan», sagt Nassim und belegt es mit Papieren.

Afghane zu sein, ist in Mazedonien derzeit ein Vorteil.Das Land mit zwei Millionen Einwohnern ist das Nadelöhr der europäischen Flüchtlingskrise. Trotz Winter kommen täglich rund 3000 Flüchtlinge hier durch.

IMAGE-ERRORVor ein paar Wochen entschied die Regierung, nur noch Iraker, Syrer und Afghanen ins Land zu lassen. Seither herrscht Verwirrung: Mal heisst es, das Land habe sich abgeschottet, dann wieder, es sei offen.In Wahrheit betreibt Mazedonien seine Grenze nun wie ein Ventil.

«Ein paar Stunden ist sie offen, dann fällt der Schlagbaum, oft geht er mitten in der Nacht wieder auf», berichtet Nadine, eine amerikanische Helferin, die in Athen lebt. «Wie rasch Flüchtlinge weiter dürfen, bestimmt die mazedonische Polizei.»

Stehen in Mazedonien Züge bereit, um die Flüchtlinge sofort nach Serbien zu schleusen, öffnet sich die Grenze.Wer im Durchgangscamp wartet, legt sich auf eine Pritsche. Kranke besuchen das Feldspital. Ein alter Grieche verkauft heissen Nescafé aus seinem Food-Truck, den Becher zu 1.50 Euro.

In einem Zelt ist ein Kinderhort untergebracht, der ist voll. «Es sind noch mehr Kinder als im Sommer unterwegs», sagt Hortleiterin Zaharoula (21). Sie zeichnet mit syrischen Mädchen, andere schauen Trickfilme. «Für wenige Stunden können Kinder hier Kinder sein.»

Der Grenzwächter winkt Nassim und Rokhsar durch. Es ist nun dunkel. Zu Fuss marschieren sie vier Kilometer ins Empfangszentrum Gevgelija in Mazedonien. Ihr Ziel? «Eine Universität in Deutschland», sagt Nassim in perfektem Englisch. «Wir flohen, weil uns die Taliban nicht lernen lassen.»

Auf dem Weg nach Norden sehen sie die grellen Lichter mazedonischer Kasinos. Dort zocken Griechen. Heute sind es wenige. Zwar ist die Grenze für die Flüchtlinge offen. Den offiziellen Übergang aber blockieren griechische Bauern mit Traktoren. Sie fordern mehr Geld aus Brüssel.Hier Flüchtlinge, dort Griechenlandkrise – auf wenigen Quadratkilometern Europa ist klar: Der alte Kontinent erlebt eine Zerreissprobe.

BLICK an den Brennpunkten des kriselnden Kontinents

Es war das Thema am Weltwirtschaftsforum. Und es ist das Thema, seit die Mächtigen und Reichen Davos verlassen haben: die Flüchtlingskrise droht Europa zu spalten. Deutsche Behörden sind überfordert von der Migration aus dem Nahen Osten und Afrika. Trotz Winter ebbt sie nicht ab.

Der serbische Premierminister Aleksandar Vucic (45) – die Balkanroute verläuft mitten durch sein Land – rechnet mit einer weiteren Zunahme: «Unternimmt die EU nichts, werden nächsten Sommer noch mehr Flüchtlinge nach Europa fliehen als im Sommer 2015.» Auf dem Balkan und sogar innerhalb der Europäischen Union senken sich die Schlagbäume. Grenzen schliessen. So lässt Frankreich keine Flüchtlinge mehr von Italien einreisen. Österreich will Kontingente einführen.

Die «Wir schaffen das»-Botschaft könnte der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (61) das Amt kosten. Zumal der deutsche Präsident Joachim Gauck (76) und Aussenminister Wolfgang Schäuble (73) laut über eine Begrenzung der Zuwanderung reden. Für die französische Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde (60), ist klar: «Wie die Flüchtlingskrise gemeistert wird, entscheidet über das Schicksal von Europa.» Eine «grundlegende Krise der EU» erkennt der in Ungarn geborene amerikanische Investor George Soros (85). Seine düstere Prognose: «Die EU wird auseinander fallen.» Gezielt benutze der russische Präsident Wladimir Putin (63) «die Flüchtlingskrise, um Europa zu destabilisieren». Denn Putin wäre in der Lage, den Krieg in Syrien zu beenden. Diese einzig echte Lösung interessiert er ihn nicht.

Derweilen schottet sich Grossbritannien ab und verlangt von EU-Kommissaren in Brüssel mehr Eigenständigkeit. Im Sommer stimmen die Briten über ihre Zugehörigkeit zur EU ab. Im EU-Land Polen regieren neuerdings Minister, die grundsätzliche demokratische Ideen missachten, etwa die Pressefreiheit oder eine unabhängige Justiz. Und in Köln befürchten Karneval-Besucher ähnliche Übergriffe wie in der Silvesternacht. BLICK reist an die Brennpunkte des kriselnden Kontinents. Erste Station ist Mazedonien. Der kleine Balkan-Staat gehört nicht zum Schengen-Raum. Es grenzt an das EU-Mitglied Griechenland und ist zentrales Transitland. Flüchtlinge besteigen in der mazedonischen Grenzstadt Gevgelija den Zug. In vier Stunden bringt er sie an die mazedonisch- serbische Grenze. Nun aber ist Gevgelija ein Nadelöhr der europäischen Krise. Es gibt Tage, da bleibt die Grenze ganz dicht. Dann müssen Flüchtlinge ausweichen, etwa über Albanien und die Adria nach Bari (I). Das ohnehin strapazierte Italien geriete weiter unter Druck. Und die Schweiz muss damit rechnen, in Chiasso TI in kurzer Zeit Zehntausende von Flüchtlingen in Empfang zu nehmen. (hos)

Es war das Thema am Weltwirtschaftsforum. Und es ist das Thema, seit die Mächtigen und Reichen Davos verlassen haben: die Flüchtlingskrise droht Europa zu spalten. Deutsche Behörden sind überfordert von der Migration aus dem Nahen Osten und Afrika. Trotz Winter ebbt sie nicht ab.

Der serbische Premierminister Aleksandar Vucic (45) – die Balkanroute verläuft mitten durch sein Land – rechnet mit einer weiteren Zunahme: «Unternimmt die EU nichts, werden nächsten Sommer noch mehr Flüchtlinge nach Europa fliehen als im Sommer 2015.» Auf dem Balkan und sogar innerhalb der Europäischen Union senken sich die Schlagbäume. Grenzen schliessen. So lässt Frankreich keine Flüchtlinge mehr von Italien einreisen. Österreich will Kontingente einführen.

Die «Wir schaffen das»-Botschaft könnte der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (61) das Amt kosten. Zumal der deutsche Präsident Joachim Gauck (76) und Aussenminister Wolfgang Schäuble (73) laut über eine Begrenzung der Zuwanderung reden. Für die französische Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde (60), ist klar: «Wie die Flüchtlingskrise gemeistert wird, entscheidet über das Schicksal von Europa.» Eine «grundlegende Krise der EU» erkennt der in Ungarn geborene amerikanische Investor George Soros (85). Seine düstere Prognose: «Die EU wird auseinander fallen.» Gezielt benutze der russische Präsident Wladimir Putin (63) «die Flüchtlingskrise, um Europa zu destabilisieren». Denn Putin wäre in der Lage, den Krieg in Syrien zu beenden. Diese einzig echte Lösung interessiert er ihn nicht.

Derweilen schottet sich Grossbritannien ab und verlangt von EU-Kommissaren in Brüssel mehr Eigenständigkeit. Im Sommer stimmen die Briten über ihre Zugehörigkeit zur EU ab. Im EU-Land Polen regieren neuerdings Minister, die grundsätzliche demokratische Ideen missachten, etwa die Pressefreiheit oder eine unabhängige Justiz. Und in Köln befürchten Karneval-Besucher ähnliche Übergriffe wie in der Silvesternacht. BLICK reist an die Brennpunkte des kriselnden Kontinents. Erste Station ist Mazedonien. Der kleine Balkan-Staat gehört nicht zum Schengen-Raum. Es grenzt an das EU-Mitglied Griechenland und ist zentrales Transitland. Flüchtlinge besteigen in der mazedonischen Grenzstadt Gevgelija den Zug. In vier Stunden bringt er sie an die mazedonisch- serbische Grenze. Nun aber ist Gevgelija ein Nadelöhr der europäischen Krise. Es gibt Tage, da bleibt die Grenze ganz dicht. Dann müssen Flüchtlinge ausweichen, etwa über Albanien und die Adria nach Bari (I). Das ohnehin strapazierte Italien geriete weiter unter Druck. Und die Schweiz muss damit rechnen, in Chiasso TI in kurzer Zeit Zehntausende von Flüchtlingen in Empfang zu nehmen. (hos)

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