Darum gehts
- Patienten drohen mit schlechten Onlinebewertungen für Rabatte bei Zahnärzten
- Google-Bewertungen beeinflussen Praxiswahl, Erpressung schwer nachweisbar
- Jeder fünfte Gastronom wurde laut Umfrage bereits erpresst
Für viele ist der Gang zum Zahnarzt doppelt schmerzhaft: Zuerst beim Bohren – dann, wenn die Rechnung kommt. Um wenigstens den finanziellen Schmerz zu lindern, greifen manche Patienten zu perfiden Tricks. Ein Zahnarzt aus der Region Zürich, der nicht genannt werden möchte: «Kürzlich forderte ein Kunde einen Rabatt auf seine Rechnung, sonst werde er auf Google eine Ein-Stern-Bewertung über unsere Praxis abgeben.» Berufskollegen hätten ihm schon von ähnlichen Drohungen berichtet.
Das Dilemma der Zürcher Praxis: Die Konkurrenz ist zumindest im städtischen Raum gross – und Google-Bewertungen sind für viele ein wichtiges Kriterium bei der Wahl der Praxis. «Wenn unser Sterne-Durchschnitt sinkt, tut das richtig weh», so der Zahnmediziner zu Blick.
«Standhaft bleiben, sich nicht erpressen lassen»
Markus Gubler (46), Leiter Kommunikation der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO, über den Umgang mit solchen Fällen: «Wir raten Betroffenen, standhaft zu bleiben und sich nicht erpressen zu lassen.» Bewertungen im Internet seien tatsächlich sehr beliebt, die SSO sehe sie aber generell kritisch: «Dort dominieren oft intransparente und nicht überprüfbare Einzelmeinungen, die die Behandlungsqualität nur scheinbar abbilden.» Sie böten Patientinnen und Patienten daher kaum Orientierung.
«Die Bedeutung von Onlinebewertungen nimmt zu», sagt der auf Rechtsfragen im digitalen Raum spezialisierte Anwalt Martin Steiger (47) – vor allem, seit auch künstliche Intelligenz Bewertungen nutze, um etwa die Frage nach dem besten Zahnarzt in der Stadt zu beantworten. Neben Medizinern sind laut Steiger auch Handwerker, Hotellerie und Gastronomie vermehrt von solchen Erpressungsversuchen betroffen.
Gastronomen leiden besonders stark
Dass dies in der Gastronomie ein verbreitetes Phänomen ist, bestätigte letztes Jahr eine Mitgliederumfrage von Gastrosuisse: Jeder fünfte Beizer gab an, schon einmal erpresst worden zu sein. Mehr als 80 Prozent berichteten, sie hätten unwahre, irreführende und verletzende Kommentare über sich gelesen.
«Betroffene Unternehmen müssen erhebliche Ressourcen aufwenden, um ihren Ruf wiederherzustellen», so Patrik Hasler-Olbrych (51), Direktor ad interim von Gastrosuisse, auf Anfrage von Blick: «Besonders fatale Auswirkungen können solche Bewertungen auf neu gegründete Betriebe haben, die ihre Stammkundschaft aufbauen und erst wenige Bewertungen erhalten haben.»
Wer mit schlechten Kritiken drohe, um einen Preisnachlass zu erwirken, mache sich potenziell der Erpressung oder der Nötigung schuldig, sagt Anwalt Steiger. «Aber beweisen lässt sich ein solcher Versuch fast nie, eine Strafanzeige bringt wenig.»
Oft funktioniert die fiese Masche
Fake-Bewertungen könnten zwar gemeldet werden – manchmal werden sie auch gelöscht. Aber, so Steiger, manchmal eben auch nicht: «Deshalb ist der Anreiz für Betroffene gross, auf die Erpressung einzugehen und die geforderten Vorteile zu gewähren.»
Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch
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Google macht keine Angaben darüber, wie häufig Schweizer Firmen die Löschung von Kommentaren beantragen und mit welchem Erfolg. Statt konkrete Fragen zu beantworten, schickt ein Sprecher des US-Internetkonzerns Blick lediglich folgendes Statement: «Im Rahmen unserer Bemühungen, vertrauenswürdige Informationen auf Google Maps bereitzustellen, entfernen wir Bewertungen, wenn sie gegen unsere Inhaltsrichtlinien oder lokale Gesetze verstossen – aber nicht nur, weil sie einem Unternehmen nicht gefallen.»
Das Thema beschäftigt den Bundesrat
Anwalt Steiger ist denn auch der Meinung, dass Google nicht genug unternimmt, um Fake-Bewertungen zu bekämpfen. Das Thema beschäftigt nun sogar den Bundesrat. Grund ist ein Vorstoss von Fabio Regazzi (63). Der Tessiner Mitte-Ständerat und Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands argumentiert, dass Unternehmen derzeit nicht genügend rechtliche Mittel haben, sich gegen rufschädigende Bewertungen zu wehren. Im September 2024 überwies der Ständerat Regazzis Postulat an den Bundesrat. Der muss nun prüfen, wie Bewertungsplattformen stärker in die Pflicht genommen werden können.