Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti über Inflation und Eurokrise
«Wir müssen den Franken erstarken lassen»

Die Inflation steigt. Doch wie hoch klettert sie? Das hängt vor allem von unseren Erwartungen ab, sagt Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti im Interview mit SonntagsBlick.
Publiziert: 26.06.2022 um 00:52 Uhr
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Aktualisiert: 29.06.2022 um 14:41 Uhr
«Die Nationalbank hat richtig reagiert», sagt Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti.
Foto: Peter Mosimann
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Interview: Danny Schlumpf

Die Inflation ist da, die Zinsen gehen rauf. In der Schweiz herrscht Alarmstimmung. Doch ist es wirklich so schlimm?
Aymo Brunetti: Nicht im internationalen Vergleich. Andere Länder haben ganz andere Probleme. Allerdings ist die Inflation für Schweizer Verhältnisse stark gestiegen. Es gibt jetzt auch erste Anzeichen, dass sie sich verbreitert. Eine solche Dynamik nach oben haben wir hierzulande seit 30 Jahren nicht gesehen.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat die Zinsen noch vor der Europäischen Zentralbank (EZB) erhöht. Zu Recht?
Es ist eine schwierige Aufgabe, die Zinsen zu heben, wenn die Wirtschaftslage gut ist. Aber es war richtig und keinen Moment zu früh, dass die SNB diesen Schritt unabhängig von der EZB getan und die Zinsen gleich um 0,5 Prozent erhöht hat. Das ist ein starkes Zeichen.

Persönlich

Aymo Brunetti (59) leitete von 2003 bis 2012 die Direktion für Wirtschaftspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Seither unterrichtet er als Professor für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomie an der Universität Bern. Brunetti ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Aymo Brunetti (59) leitete von 2003 bis 2012 die Direktion für Wirtschaftspolitik im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Seither unterrichtet er als Professor für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomie an der Universität Bern. Brunetti ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

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Das heisst aber auch, dass der Franken stärker wird. Genau dagegen hat sich die Nationalbank lange gewehrt. Ist das jetzt kein Problem mehr?
Im Gegenteil. Der Schweizer Franken ist nicht mehr überbewertet. Wir müssen ihn erstarken lassen, denn diese Aufwertung hilft im Kampf gegen die Inflation.

Ist die Teuerung damit vom Tisch?
Es wird weitere Zinserhöhungen brauchen. In den letzten zehn Jahren hatten wir eine extrem expansive Geldpolitik mit Zinsen unter null. Die SNB hat ihre Bilanz massiv ausgedehnt, um eine Aufwertung des Frankens zu verhindern. Jetzt ist ein erstes Signal gekommen, dass diese Zeit endet.

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Im Bundeshaus herrscht Aufregung. Es hagelt Vorstösse von allen Seiten: Steuersenkungen auf Treibstoffe, Mietnebenkosten-Deckel, Anpassungen der Renten. Was bringt das?
Gar nichts. Wir können die Inflation nicht bekämpfen, indem wir einzelne Preiserhöhungen verhindern. Nehmen Sie den Erdölpreis: Öl ist im Moment knapp, deshalb ist es das richtige Signal, dass der Preis steigt. Wenn die Politik diesen künstlich senkt, sendet sie das gegenteilige Signal aus, dass mehr Erdölkonsum erwünscht sei. Das geht zudem auch umweltpolitisch in die völlig falsche Richtung.

Was hilft denn wirklich?
Die Teuerung kriegen wir nur mit restriktiver Geldpolitik in den Griff. Wichtig sind in einer solchen Phase die Inflationserwartungen. Sie beeinflussen die Lohnverhandlungen. In den USA sind sie so gestiegen, dass sie bereits eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt haben. Die Löhne steigen dann, was wiederum die Preise in die Höhe treibt. Ist der Prozess weit fortgeschritten, kann man die Inflation nur noch mit einer extrem restriktiven Geldpolitik reduzieren. Die Folge ist in der Regel eine schwere Rezession.

Kann die Schweiz einer solchen Krise entgehen?
Die Nationalbank hat genau aus diesem Grund vergleichsweise früh reagiert. Die Zinserhöhung soll hochschnellende Inflationserwartungen im Keim ersticken. Unsere Ausgangslage ist gut, weil die Inflation in der Schweiz noch eher moderat ist. Wir haben einen Vorsprung gegenüber den USA und der Eurozone. In den USA ist die Lohn-Preis-Spirale bereits im Gang, in der Eurozone hat sie wohl auch schon begonnen.

Und die Europäische Zentralbank hat noch nicht einmal reagiert. Warum ist sie so passiv?
Die EZB hat eine Zinserhöhung erst angekündigt. Sie ist aber auch in einer sehr speziellen Lage. Denn wenn sie nicht gut aufpasst, droht eine zweite schwere Eurokrise. Und das Extremszenario eines allfälligen Auseinanderbrechens der Eurozone wäre eine Katastrophe.

Das wäre schon 2012 um ein Haar passiert.
Damals standen Griechenland und andere Eurozone-Länder vor dem Staatsbankrott. Um das zu verhindern, ist die EZB viel weiter gegangen, als sie gemäss Mandat eigentlich dürfte. Sie kaufte Anleihen gefährdeter Staaten in grossen Mengen und hat damit bis heute nicht aufgehört. Das drückt die Zinsen dieser Länder runter und erleichtert ihnen die Staatsfinanzierung.

Wenn die Zentralbank jetzt die Zinsen hebt, wird es für diese Länder ungemütlich.
Das ist ein Dilemma. Um die Inflation zu bekämpfen, muss die Zentralbank jetzt Staatsanleihen verkaufen und die Zinsen erhöhen. Aber das führt rasch zu einer Instabilität in der Eurozone. Die Zinsdifferenz zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen steigt bereits an.

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Deswegen hat die EZB letzte Woche sogar eine Notsitzung einberufen.
Sie ist sich des Problems natürlich bewusst. Aber sie steckt in einer Zwickmühle. Wenn sie jetzt deutlich restriktiver wird, schiessen in Griechenland und Italien die Zinsen nach oben. Dann stellt sich die Frage, ob es sich diese Länder überhaupt leisten können, in der Eurozone zu bleiben. Doch um die Inflation zu bekämpfen, muss die EZB die Zinsen erhöhen.

Wie löst sie das Dilemma?
Dieser Zielkonflikt ist schwierig. Sie wird wohl nach wie vor alles dafür tun, dass die Eurozone nicht auseinanderfällt. Darum dürfte die eigentlich jetzt schon inakzeptabel hohe Inflation in Europa wohl für längere Zeit hoch bleiben.

Die Europäische Zentralbank schützt also Staaten auf Kosten von Konsumenten und Unternehmen.
Das kann man kurzfristig so sehen. Aber wenn es wirklich zu einem Ausbrechen – zum Beispiel von Italien – aus der Eurozone kommt, folgt eine schwere Rezession, die allen massiv schadet. Die Inflation könnte also schlicht das kleinere Übel sein.

Klingt nach Pest und Cholera. Was heisst das für die Schweiz?
Schwere Turbulenzen im Euroraum könnten zu einer schockartigen Aufwertung des Frankens führen, was wirtschaftlich schädlich wäre. Das hätte dann nichts mit der moderaten Aufwertung zu tun, die uns heute bei der Inflationsbekämpfung hilft.

Nicht nur Staaten haben sich in den letzten Jahren massiv verschuldet. Die Hypothekarschulden in der Schweiz sind auf eine Billion gestiegen – angetrieben von der staatlichen Steuerpolitik.
Die Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen bei den Steuern ist ein Problem. So hat man kaum einen Anreiz, seine Hypothek zurückzuzahlen. Würden die Zinsen sehr stark steigen, könnte dies zu Stabilitätsrisiken führen.

In der Schweiz führte eine Immobilienkrise Anfang der 90er zu einer schweren Rezession. Am Beginn der globalen Finanzkrise von 2008 stand der Immo-Crash in den USA. Warum ists immer der Häusermarkt?
Dort steckt die grösste Privatverschuldung drin. Eigenheimbesitzer investieren einen grossen Teil ihres Vermögens in ihre Häuser. Noch grösser sind die Schulden, die sie dafür machen. Da kommen riesige Beträge zusammen. Wenn es heute ein Risiko für die Finanzstabilität gibt, dann geht es wieder von diesem Markt aus. Wir haben mittlerweile aber eine deutlich bessere Kapitalisierung der Banken, und die Tragbarkeitskriterien wurden aus guten Gründen nicht gelockert.

Die Schweizer Staatskasse wirkt dank der Schuldenbremse auf den ersten Blick solide. Schaut man aber auf die implizite Verschuldung, zeigt sich ein anderes Bild. Die ausstehenden Rentenversprechen betragen satte 125 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
Das sind natürlich nicht direkte staatliche Schulden, aber sie könnten am Schluss tatsächlich beim Staat landen. Wenn wir das ungelöste Finanzierungsproblem in der ersten und zweiten Säule nicht lösen, kommen grosse Verpflichtungen auf den Staat zu.

Das Problem wird immer grösser, weil es immer mehr Rentner gibt, die immer länger leben. Doch die Parlamentarier hantieren nur hinter dem Komma am Umwandlungssatz, weil sie Angst haben, den älteren Wählern die Wahrheit zu sagen: Die Renten sind zu hoch.
Das ist tatsächlich die Wahrheit. Eigentlich ist der Umwandlungssatz eine rein technische Angelegenheit. Er richtet sich nach der Lebenserwartung und dem angesparten Alterskapital. Das ist keine politische Frage. Deshalb sollte die Anpassung des Umwandlungssatzes auch automatisch erfolgen. Weil das aber nicht der Fall ist, werden jedes Jahr Milliardenbeträge intransparent von den Jungen zu den Alten umverteilt. Das ist einer der zahlreichen Gründe, warum wir das Rentenalter erhöhen müssen. Daran führt kein Weg vorbei.

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