Deutschlands Wirtschaft schafft pro Arbeitsstunde 56 Euro. Damit könnten sich die Deutschen vier mal so viel leisten wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders der 1960er Jahre. Wenn da nicht dieser Lohndruck wäre. Gemessen am BIP liegt Deutschlands Durchschnittslohn rund 30 Prozent tiefer als in der Schweiz. Bei einem Mindestlohn von 9,19 Euro oder knapp darüber verdient etwa ein Fünftel der Beschäftigten nicht genug, um eine Familie zu unterhalten und für die Pensionierung Vorsorge zu tragen.
In Italien werden die Arbeitslosen schon fast zur Billigarbeit geprügelt. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 33 Prozent. Seit 1997 sind die Löhne der Jungen um rund 30 Prozent gesunken. Weil Italien weder einen Mindestlohn, noch eine Arbeitslosenversicherung für alle kennt, gibt es für den Lohn fast keine Untergrenze.
Jede Stelle annehmen
Wer das neu eingeführte Reddito di Cittadinanza (Bürgergeld) beanspruchen will, muss erst seine Wertsachen (wie etwa ein teures Auto) versilbern, gesamtes Vermögen bis auf 6000 Euro aufbrauchen und – nach einem Jahr – jede Stelle annehmen, auch am anderen Ende des Stiefels.
All das ist gewollt, ist Ergebnis einer bewussten Politik der «Flexibilisierung der Arbeitsmärkte». Diese beruht auf der dummen Annahme, dass Jobs von den Unternehmen geschaffen werden. Das Argument geht so: Tiefe Löhne – hohe Gewinne – mehr Investitionen – mehr Jobs. Die Realität ist ein wenig komplexer: Die Anzahl der Jobs hängt vom Konsum und damit von den Löhnen ab. Aber die Unternehmer entscheiden darüber, wo produziert wird.
In Deutschland zu polnischen Löhnen arbeiten
Die EU hat nun im Rahmen ihrer «vier Grundfreiheiten» die Palette aus denen Investoren auswählen können, stark erweitert. Statt für 4000 Euro pro Job in Deutschland, können sie auch für rund 1000 Euro in Polen oder 700 Euro in Rumänien produzieren. Oder sie können die Polen kommen lassen und zwar – bis vor zehn Monaten – zu polnischen Löhnen.
Inzwischen gilt zwar das Arbeitsortsprinzip vom gleichen Lohn am gleichen Ort. Doch dieser Wandel kommt reichlich spät. Längst haben sich die Arbeitgeber der EU daran gewöhnt, dass sie Arbeit nicht nur billig einkaufen können, sondern dafür auch noch staatliche Zuschüsse erhalten.
Wie sehr der Arbeitsmarkt der EU versaut ist, zeigt etwa auch ein Bericht im SonntagsBlick vom vergangenen Wochenende. Danach hat eine Firma aus Frankreich unter anderem ungarische Metallarbeiter für weniger als 5 Franken pro Stunde in die Schweiz zur Arbeit geschickt. Reisespesen wurden nicht vergütet, für die Unterkunft zahlen die «Entsandten» oft noch überhöhte Preis, was die Lohnkosten weiter drückt.
Katastrophal dumme Wirtschaftspolitik
Die tiefen Löhne haben den Unternehmen – wie erwartet – hohe Gewinne eingebracht. Weil sie aber auch die Nachfrage gedämpft haben, konnten die Unternehmen die Gewinne nicht sinnvoll investieren. Deswegen haben allein die Unternehmen der Euro-Staaten in den letzten zehn Jahren rund 2500 Milliarden Euro Finanzguthaben aufgebaut, beziehungsweise dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Über den Daumen gepeilt, kostet das 4 bis 5 Prozent aller Arbeitsplätze in den Ländern des Euro.
Fazit: Die EU-Zentrale hat unter der Führung von Deutschland eine katastrophal dumme Wirtschaftspolitik betrieben. Dagegen regt sich jetzt aber Widerstand der Betroffenen und der Intelligenten. Diese Koalition könnte die Schweiz mit ihrer harten Haltung betreffend Lohnschutz stärken. Darauf setzt die SP Schweiz mit dem Versuch, ihre europäischen Schwesterparteien ins Boot zu holen. Das Pokerspiel geht weiter. Falls sich die Schweiz durchsetzt, profitieren auch die EU-Bürger.