Darum gehts
- Vermögen der Reichen wachsen schneller als die Wirtschaft
- Tiefe Zinsen und Investitionen in Aktien und Immobilien treiben Vermögenskonzentration
- Reichste 10 Prozent halten 63 Prozent der Gesamtvermögen in der Schweiz
Das neue «Bilanz»-Ranking zu den 300 Reichsten im Land zeigt: Das Pro-Kopf-Vermögen auf der Liste hat sich seit 1989 auf 2,8 Milliarden Franken mehr als vervierfacht. Die Vermögen der superreichen Schweizerinnen und Schweizer wachsen viel schneller als die gemächliche Wirtschaft. Die Vermögenskonzentration bei den Reichsten im Land nimmt zu. So halten 7 Prozent der Steuerpflichtigen gut 71 Prozent des gesamten Privatvermögens.
Die Reichen hängen die Mittelschicht also immer weiter ab: Wie kommt es zu dieser Vermögenskonzentration? Und was heisst sie für die Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz? Stellt sie gar ein Problem dar?
Inflation bei den Vermögenswerten
Ein wichtiger Grund für die unterschiedliche Entwicklung sind die Vermögenswerte: Während die Mittelschicht ihre Ersparnisse vorwiegend auf dem Sparkonto hat, investieren Reiche in Aktien und Immobilien. Deren Wert ist über die Jahre steil angestiegen. Das liegt vor allem an den tiefen Zinsen. Diese erhöhen die Risikobereitschaft, wie man sein Vermögen anlegt. «Reiche Menschen können höhere Risiken eingehen, weil sie Verluste besser abfedern können», sagt Marius Brülhart (58), Wirtschaftsprofessor an der Universität Lausanne.
Weil die vermögenden Leute Immobilien und Aktien halten, haben sie von diesen Preisanstiegen voll profitiert. «Das ist ein zentraler Treiber der wachsenden Vermögensungleichheit», sagt Isabel Martínez (39) vom KOF Institut der ETH Zürich. Sie forscht zu Themen wie Einkommens- und Vermögensverteilung. Ein Ergebnis ihrer Forschung: Die Vermögen sind inzwischen auf das Achtfache der Einkommen gestiegen.
Der Anteil der Immobilien am Vermögenszuwachs kann kaum überschätzt werden: Mit tiefem Eigenmittelanteil und hoher Verschuldung wirkt ein riesiger Hebel, der das investierte Kapital über die Jahre vervielfacht.
Ungleiche Vermögensverteilung
Die reiche Schweiz schneidet bei der Vermögensverteilung im internationalen Vergleich äusserst schlecht ab. Bei den erwerbstätigen Haushalten liegen im Mittel gerade mal einige 10'000 Franken auf der hohen Kante.
Diese Konzentration der Vermögen an der Spitze scheint durchaus Folgen für den Mittelstand zu haben. Die wachsenden Vermögen werfen Erträge ab und können belehnt werden. Dieses Geld wird wiederum gewinnbringend angelegt. Eine Studie der Universität Columbia kommt deshalb zum Schluss: Die Vermögenszuwächse bei den Reichen erhöhen die Nachfrage nach Vermögenswerten und treiben deren Preise in die Höhe. Eine Spirale, die langfristig immer weiterdreht.
Milliardenzufluss in Immobilienmarkt
Dieser Preiseffekt dürfte auch in der Schweiz spielen. Schliesslich hat die Schweizer Steuerpolitik die Vermögenskonzentration an der Spitze über die Jahrzehnte verstärkt, wie Martínez Anfang Jahr in einer Studie nachgewiesen hat. Und wo mehr Geld liegt, steigt die Nachfrage nach gewinnbringenden Vermögenswerten. Bei Nullzinsen, wie sie die Schweiz derzeit hat, lockt das Betongold.
Von Januar bis Ende September flossen knapp 7 Milliarden Franken zusätzliches Kapital in Immobilienanlagen, so eine Raiffeisen-Studie. Gemäss der Bank hat das viele Geld bis anhin «keinerlei Angebotsimpulse» ausgelöst. Werden zu wenig neue Wohnungen gebaut, streiten sich die Investoren um bestehende Renditeimmobilien. Das führt zu steigenden Preisen und verzögert auch zu höheren Mieten.
Mittelschicht wird Zugang zu Immobilien erschwert
Aus Sicht der Mittelschicht sind zwar Lebensmittel, Fernseher oder Kleider über die Jahrzehnte deutlich günstiger geworden. Der Weg zum Wohneigentum hingegen ist für viele wegen der hohen Preise enorm steinig geworden oder ganz blockiert. Wenig überraschend liegt das Durchschnittsalter von Ersterwerbern einer Wohnung mittlerweile bei 48 Jahren. «Wir stellen fest, dass Erstkäufer immer häufiger eine Schenkung oder eine Erbschaft erhalten», so Brülhart.
Wer eine Immobilie besitzt, darf sich weiterhin freuen. Denn neben dem vielen Geld, das in den Immobiliensektor fliesst, gibt es noch weitere Preistreiber: das knappe Bauland, der Anstieg der Baukosten und eine Nachfrage, die das Angebot übertrifft. Die Kaufpreise bei Wohneigentum legten gemäss der Immobilienberatungsfirma Iazi im schweizweiten Schnitt allein seit 2019 um 26 Prozent zu. Die Reallöhne haben in diesem Zeitraum stagniert.